| # taz.de -- Vertreibung aus Sudan: Die Straßen bei Einbruch der Dunkelheit ver… | |
| > In Marokko werden sudanesische Asylbewerber gerne wieder zurück nach | |
| > Algerien geschickt. Sie meiden deshalb die Polizei – und wollen | |
| > eigentlich nach Europa. | |
| Bild: Auf der Suche nach einem bessere Leben: Migranten in Marokko | |
| Oujda taz | Es ist fast schon ein Ritual geworden: Seit seiner Ankunft in | |
| Oujda hat Salih sich angewöhnt, am Abend den Platz des 16. August | |
| aufzusuchen und dort seine Freunde zu treffen. An dem belebten Platz im | |
| Herzen der Stadt Oujda im Nordosten Marokkos ist immer etwas los. Um Salih | |
| herum tummeln sich die Straßenhändler, einer von ihnen beobachtet Salih und | |
| seine Freunde, die nach einem Platz zum Sitzen suchen. „Nehmt Platz!“, ruft | |
| er ihnen mit einem freundlichen Lächeln zu. „Ich komme gerne hierher“, sagt | |
| Salih und bläst in seinen Kaffee. Der Preis für einen Kaffee sei | |
| unschlagbar: nur 2,50 Dirham – etwa 20 Cent – koste dieser. | |
| Salih ist 20 Jahre alt und [1][stammt aus Sudan], aus der Metropole | |
| Omdurman. Er möchte lediglich seinen Vornamen veröffentlicht sehen. Vor | |
| etwa einem Monat kam er in der Stadt an der marokkanisch-algerischen Grenze | |
| an. „Ich bin im Mai 2023 vor dem Krieg in Sudan geflohen, weil es um mein | |
| Überleben ging“, erklärt er mit ruhiger Stimme. Um seine Worte zu | |
| untermauern, zeigt er ein Video auf seinem Handy, das verkohlte Leichen | |
| zeigt. „Das war im Juni letzten Jahres, als sie einen Markt bombardiert | |
| haben“, fügt er hinzu. Seine großen schwarzen Augen sehen sanft aus – und | |
| verbergen das Martyrium, das er während seiner Reise von Sudan nach Marokko | |
| erlitten hat. „Ich bin mit dem festen Vorsatz nach Libyen aufgebrochen, | |
| Europa zu erreichen“, sagt er, „aber ich hatte nicht einmal die Chance, es | |
| zu versuchen.“ | |
| Schon bald hätten ihn Milizen festgenommen, zehn Monate habe er in Haft | |
| verbracht. „Ich ging durch die Hölle. Sie verlangten eine Kaution, die | |
| meine Familie nicht aufbringen konnte. Ich hatte großes Glück und konnte | |
| fliehen.“ Er flieht weiter, durch Algerien, bis nach Marokko. „Ich habe das | |
| Gefühl, meinem Ziel noch nie so nahe gewesen zu sein wie nun“, erklärt er | |
| und begrüßt seinen Freund Mohamed. Der ist 19 Jahre alt und stammt aus | |
| Nayla, einer Stadt im Westen Sudans. Er hat Ähnliches erlebt: „Die | |
| Situation in Libyen ist extrem gefährlich, ein Albtraum, und die Überfahrt | |
| ist unerschwinglich, 15.000 Dinar“, sagt er – etwa 2.900 Euro. „Woher soll | |
| ich das Geld nehmen? Ich bin hierhergekommen, um auf dem Landweg in die | |
| Enklaven Ceuta oder Melilla zu gelangen“, erklärt er. | |
| Während die beiden sich unterhalten, geht die Sonne unter. Die einsetzende | |
| Dunkelheit ist das stille Signal für die Abreise. Wie jeden Abend, wenn es | |
| dunkel wird, ist es für die beiden an der Zeit, die Öffentlichkeit der | |
| Straßen zu verlassen. „Man sollte abends nicht dort herumlungern. Die | |
| Ordnungskräfte patrouillieren nachts und nehmen jeden mit, ohne | |
| Unterschied. Die Asylbewerberbescheinigung, die ich in der Tasche habe, ist | |
| wertlos. Vor einigen Tagen nahmen sie Dutzende Migranten fest, nur um sie | |
| nach Algerien zurückzuschicken. Unter ihnen waren auch sudanesische | |
| Asylbewerber“, sagt Salih, und schreitet eilig von dannen. | |
| ## Bloß nicht auffallen | |
| In der Stadt Oujda gibt es keine Flüchtlingslager unter freiem Himmel mehr. | |
| Es gab einmal zwei: Hinter der Universitätsstadt und unter der Brücke über | |
| den Fluss Oued Nachef. Dort hatten viele sudanesische Migranten Zuflucht | |
| gefunden, vor einigen Monaten wurden sie aufgelöst. | |
| Nur diejenigen, [2][die über finanzielle Mittel verfügten, erhielten Zugang | |
| zu Unterkünfte]n, während ärmere Migranten andere Lösungen finden müssen. | |
| Salih und Mohamed bewohnen etwa eine verlassene Baustelle am Rande der | |
| Stadt. In diesem unfertigen Gebäude mit fensterlosen Betonwänden sind fast | |
| dreißig Personen untergekommen. Der Jüngste von ihnen ist 15 Jahre alt. | |
| „Wir gehen in kleinen Gruppen hinein, um nicht aufzufallen und die Nachbarn | |
| nicht zu stören“, erklärt Salih. Es ist eine Unterkunft für die Nacht. „… | |
| Tagesanbruch sind wir schon wieder weg, um Arbeit zu suchen. Im Moment gibt | |
| es keinen Komfort, nur Kartons, die ich zum Schlafen auf dem Boden | |
| ausbreite, aber es ist erträglich, denn nachts sind die Temperaturen zu | |
| dieser Jahreszeit noch mild“, erzählt er. | |
| Wie Salih und Mohamed versuchen Dutzende sudanesische Migranten, in der | |
| Hauptstadt der marokkanischen Region Oriental zu überleben. Was sie von | |
| anderen afrikanischen Migrantengruppen unterscheidet, ist ihre Präsenz im | |
| öffentlichen Raum. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Sudaner kleine Jobs in | |
| der Gastronomie oder im Baugewerbe annehmen. Dass die sudanesischen | |
| Migranten dieselbe Sprache sprechen – Arabisch – und denselben Glauben – | |
| Islam – teilen, erleichtert es ihnen, sich zu integrieren. Salih hat in | |
| Oujda bereits einige Tage auf dem Bau gearbeitet. Auch abseits davon findet | |
| er sich zurecht: Bei der Beschaffung von Kleidung und Lebensmitteln konnte | |
| er bisher auf die Solidarität der Bevölkerung zählen. | |
| ## Der Zustrom aus dem Sudan hält an | |
| Zwar gibt es keine genauen Statistiken – da an der Grenze keine | |
| verlässlichen Daten erhoben werden –, doch laut Vereinen und Strukturen, | |
| die Migranten unterstützen, [3][nimmt die Zahl der Sudaner im Land deutlich | |
| zu]. „Es ist eine Tatsache, dass die sudanesische Bevölkerung, die früher | |
| sehr marginal vertreten war, erheblich zugenommen hat. In den letzten | |
| beiden Jahren sind mindestens 3.000 sudanesische Migranten durch die | |
| Gemeinde gekommen sind, und dieser Zustrom hält an“, sagt Youssef Chemlal, | |
| Mitglied der marokkanischen Vereinigung zur Unterstützung von Migranten in | |
| schwierigen Situationen (AMSV). | |
| Diese Feststellung wird auch von Pater Edwin, dem Leiter der im | |
| Stadtzentrum gelegenen Kirche Saint Louis, gestützt. „Unter den Menschen, | |
| denen wir unsere Hilfe anbieten, sind sudanesische Migranten die am | |
| stärksten vertretene Gruppe. Dieses Migrationsphänomen hat sich in den | |
| letzten vier Monaten intensiviert“, erklärt er. Und: In den letzten Wochen | |
| habe man viele Frauen und Kinder aufgenommen – „etwas, das wir noch nie | |
| zuvor gesehen haben“. | |
| 31 Oct 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Hasna Belmekki | |
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