| # taz.de -- Verkehrsforscherin über Nahverkehr: „6 Prozent steigen um“ | |
| > Ist der Nahverkehr kostenlos, sind massive Investitionen in den | |
| > öffentlichen Verkehr nötig, sagt die Verkehrsforscherin Barbara Lenz. | |
| Bild: Ist der Nahverkehr kostenlos, müssen U-Bahn- oder Straßenbahn-Netze aus… | |
| taz: Frau Lenz, taugt das Luxemburger Modell als Vorbild für Deutschland? | |
| Barbara Lenz: Wenn wir das gleiche Verständnis für einen kostenlosen ÖPNV | |
| wie in Luxemburg haben, nämlich als zusätzlichen Anreiz zur ÖPNV-Nutzung – | |
| warum nicht? Allerdings wäre in Deutschland der Unterschied zwischen der | |
| aktuell gezahlten ÖPNV-Förderung und der Förderung, die im Falle eines | |
| kostenlosen Tickets notwendig wäre, deutlich höher. | |
| Ein Nulltarif animiert kaum einen Autofahrer zum Umsteigen. Das zeigen | |
| Erfahrung in Städten wie Tallinn. Ist der erhoffte Umwelteffekt nicht bloß | |
| Augenwischerei? | |
| Das ist so nicht ganz korrekt. Es gibt durchaus mehr Fahrgäste im | |
| öffentlichen Verkehr, wenn er kostenlos angeboten wird. Allerdings genügt | |
| der Nulltarif alleine nicht, um die große Masse der Autofahrerinnen und | |
| Autofahrer zum Umsteigen zu bewegen – das erwartet man auch in Luxemburg | |
| nicht. Berechnungen, die wir am DLR-Institut für Verkehrsforschung zu dem | |
| Thema gemacht haben, kommen zu einer Umsteigerquote von etwa 6 Prozent der | |
| heutigen Fahrten mit dem Auto in den dann kostenlosen öffentlichen Verkehr | |
| in den Städten in Deutschland. Dieser Wert erscheint nicht sehr hoch, er | |
| bedeutet aber, dass die Verkehrsleistung des öffentlichen Verkehrs um 90 | |
| Prozent steigen würde. Und die zusätzliche Nachfrage würde sich nicht | |
| gleichmäßig über den Tag verteilen, sondern vor allem in den | |
| Hauptverkehrszeiten anfallen, also besonders in den Morgenstunden und am | |
| späteren Nachmittag. In diesen Zeitfenstern würde sich die Nachfrage | |
| verdoppeln. Ohne massive Investitionen in den Ausbau des ÖPNV ließe sich | |
| das nicht bewältigen. | |
| Schon jetzt [1][platzen Busse und Bahnen in den Stoßzeiten aus allen | |
| Nähten. Müsste nicht erst das Angebot ausgeweitet werden], was Jahre dauert | |
| und Milliarden Steuergelder kostet, bevor der Individualverkehr | |
| eingeschränkt werden kann? | |
| Viele ÖPNV-Unternehmen und Kommunen haben längst begonnen, Maßnahmen zu | |
| entwickeln, die relativ kurzfristig wirksam werden. Zum Beispiel schnelle | |
| Buslinien vom Stadtrand oder aus umliegenden Regionen in die Innenstadt | |
| speziell für Pendler. Sie gehen aber auch langfristige Strategien an, wie | |
| den Ausbau von U-Bahn- oder Straßenbahn-Netzen. In beiden Fällen geht es | |
| nicht ohne zum Teil erhebliche zusätzliche Kosten, dafür gibt es dann im | |
| Gegenzug weniger CO2 und eine höhere Lebensqualität im öffentlichen | |
| Straßenraum. | |
| Wie kann ein praktikables System der Steuerfinanzierung aussehen? | |
| Ob der öffentliche Verkehr überhaupt über direkte Steuern finanziert werden | |
| sollte, wäre zu diskutieren. Denkbar sind ja auch andere | |
| Finanzierungssysteme, beispielsweise über Straßenbenutzungsgebühren für | |
| Privat-Pkws ähnlich wie die Lkw-Maut: Gezahlt wird für die tatsächliche | |
| Nutzung, die Gebühren gehen zweckgebunden in die ÖPNV-Finanzierung. | |
| Laufen Vorschläge für einen Nulltarif nicht stets darauf hinaus, dass | |
| Wohlhabende sich die Fahrt im eigenen Auto leisten können, sozial | |
| Schwächere sich mit der Holzklasse begnügen müssen? | |
| Dieses Argument kann ich nicht nachvollziehen. Schon heute sind wir doch | |
| vielfach entsprechend unserer individuellen ökonomischen Möglichkeiten | |
| unterwegs. Das interessante in einer Stadt wie Berlin ist ja, dass Menschen | |
| aus nahezu allen Bevölkerungsschichten den öffentlichen Verkehr nutzen. Den | |
| öffentlichen Verkehr als „Holzklasse“ zu diffamieren, finde ich ganz | |
| einfach falsch. | |
| Was müssten Bund, Länder und Kommunen jetzt schnell anpacken, um das | |
| Verkehrsproblem der Innenstädte in den Griff zu bekommen und vor allem auch | |
| die CO2-Emissionen durch den Verkehr dauerhaft zu senken? | |
| Weniger Auto, mehr öffentlicher Verkehr und mehr Gebrauch der sogenannten | |
| „aktiven“ Verkehrsmittel Fahrrad und Füße. [2][Dazu brauchen wir | |
| entsprechende Infrastrukturen] und auch Steuerungsmaßnahmen, die das | |
| Vorhalten und die Nutzung eines privaten Pkws in bestimmten Bereichen vor | |
| allem der Städte weniger attraktiv und selbstverständlich machen. Ein | |
| starker ÖPNV als Alternative ist dafür unerlässlich. Es gibt ja durchaus | |
| richtig gute Ideen, wie das Angebot der Öffentlichen auch noch jenseits von | |
| bunten Polstern und verbesserter Fahrgastinformation – beides ist aber | |
| wichtig – erweitert werden und damit die Bedürfnisse der Nutzerinnen und | |
| Nutzer von heute, aber auch möglicher neuer Nutzergruppen bedienen kann. | |
| 1 Mar 2020 | |
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| [1] /Mobilitaetsforscher-ueber-Tempolimit/!5656151&s=Weniger+Unf%C3%A4lle/ | |
| [2] http://Der%20Verbraucherzentrale%20Bundesverband%20(vzbv)%20einigt%20sich%2… | |
| ## AUTOREN | |
| Wolfgang Mulke | |
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