# taz.de -- Verfassungsreferendum in Belarus: Tausende Stimmen geklaut | |
> Die Abstimmung über die Verfassungsänderungen ist eine Farce. Janka | |
> Belarus schreibt über den Alltag in ihrer Heimat. Folge 115. | |
Bild: Parlamentswahl 2019: Alexander Lukaschenko bei der Stimmabgabe, damals no… | |
In den belarussischen Auslandsvertretungen wird es nicht die möglich sein, | |
beim Verfassungsreferendum abzustimmen. Diese Entscheidung begründet das | |
belarussische Außenministerium mit dem Coronavirus. Und mit Provokationen | |
und „extremistischen Aktionen“ unter denen angeblich Mitarbeiter von | |
Auslandsvertretungen während früherer Wahlkämpfe gelitten haben. | |
Da er nicht die Möglichkeit hat, OMON-Truppen (Sondereinheit der Polizei, | |
die v.a. gegen Demonstrierende eingesetzt wird; Anm. d. Redaktion) in die | |
Wahllokale im Ausland zu schicken, hat Alexander Lukaschenko mit einem | |
Erlass einfach Tausende von belarussischen Staatsbürgern aus den | |
Wählerverzeichnissen gestrichen. [1][Diejenigen, die nicht in Belarus sind, | |
aber abstimmen möchten, müssen dafür ins Land zurückkommen.] „Mein Rat an | |
euch: ab nach Hause, Reue zeigen, auf die Knie! Sonst wird es schlimmer. | |
Darum nach Hause, auf die Knie, kriechen!“, sagte Lukaschenko. | |
Das „Referendum“ findet am 27. Februar statt. Zur Abstimmung steht genau | |
eine Frage: „Nehmen Sie die Änderungen und Ergänzungen zur Verfassung der | |
Republik Belarus an?“ Antwortmöglichkeiten „Ja“ und „Nein“. | |
Demokratische oppositionelle Kräfte setzen auf die Strategie: „Streich das | |
Referendum – streich die Gesetzlosigkeit“. Beide Antwortmöglichkeiten | |
durchzustreichen bedeutet, weder dafür noch dagegen zu stimmen. Das ist | |
eine legale und ungefährliche Möglichkeit, seine Unzufriedenheit mit dem | |
Regime auszudrücken. | |
Interessant, dass es dieses Mal keine Vorhänge an den Wahlkabinen geben | |
wird. Die zentrale Wahlkommission von Belarus hat angeordnet, sie | |
abzunehmen. Formale Begründung: Corona. Tatsächlich ist es so möglich, alle | |
Handlungen der Menschen festzuhalten und später gegen sie zu verwenden, zum | |
Beispiel durch das Fotografieren der Stimmzettel. | |
Heute fand ich im Briefkasten eine Benachrichtigung, mit der ich eingeladen | |
wurde, schon vorzeitig meine Stimme abzugeben, zwischen dem 22. und 26. | |
Februar, von 10 bis 14 bzw. 16 bis 19 Uhr in meinem Wahllokal. Die zentrale | |
Wahlkommission hat derweil bereits vor drei Wochen die Wahlbeteiligung für | |
die vorgezogene Stimmabgabe bei der Volksabstimmung über die Verfassung | |
angekündigt: bis zu 40 Prozent. So werden auch diese Stimmen gestohlen und | |
für die Auszählung gegen solche ausgetauscht, die „gewünscht“ sind. | |
„Minsk hat keine Wahlbeobachter vom OSZE-Büro für demokratische | |
Institutionen und Menschenrechte zum Verfassungsreferendum eingeladen, weil | |
es schon im Voraus weiß, was in dem von dieser Einrichtung erstellten | |
Bericht über die Ergebnisse des Wahlkampfs stehen wird“, erklärte kürzlich | |
der Außenminister Wladimir Makej. | |
Die Mitglieder der Wahlkommissionen selbst haben schon über die Drohungen | |
gegen sie im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Verfassungsreferendum | |
gesprochen. | |
Darum werden die Listen der Kommissionen geheimgehalten. Und in den | |
regierungsnahen Medien ist der Flashmob #wirhabenkeineangst gestartet, wo | |
Schulleiter und andere Mitglieder der Wahlkommissionen irgendwelche Papiere | |
vor laufender Kamera zerreißen. | |
Es waren Briefe von Bürgern, in denen sie die Gesetzesartikel auflisten, | |
die von denjenigen verletzt werden, die an der Fälschung der Wählerstimmen | |
beteiligt sind. Die Augen derer, die bereit sind, das „Referendum“ zu | |
fälschen, sind leer – offenbar haben sie keine Angst davor, Sklaven zu | |
sein. | |
[2][Die neue Verfassung des Regimes sieht keine Machtübertragung vor.] Ihr | |
wichtigstes Ziel ist, dem existierenden Regime zu helfen, sich maximal | |
lange zu halten, unabhängig vom Schicksal seines „Schöpfers“. | |
Alexander Lukaschenko wird jedoch seine Amtszeiten auf Null zurücksetzen, | |
[3][um so noch zwei weitere Male kandidieren zu können.] (Die geplanten | |
Verfassungsänderungen würden eine von Lukaschenko abgeschaffte Begrenzung | |
der Zahl der Amtszeiten wieder einführen. Damit könnte jeder Präsident nur | |
zwei fünfjährige Amtszeiten haben. Dies würde aber nur für „neu gewählte… | |
Präsidenten gelten, während Lukaschenko nach Ablauf seiner aktuellen | |
Amtszeit 2025 noch zwei weitere Male zur Wahl antreten könnte, maximal bis | |
2035; Anm. d Redaktion). | |
In jedem Fall wird all dies in Belarus zu noch größerer Instabilität | |
führen. | |
Aus dem Russischen [4][Gaby Coldewey] | |
24 Feb 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Belarussische-Grenzkontrollen/!5768022 | |
[2] /Parafaschismus-in-Belarus/!5776134 | |
[3] /Politische-Stagnation-in-Belarus/!5758669 | |
[4] /Gaby-Coldewey/!a23976/ | |
## AUTOREN | |
Janka Belarus | |
## TAGS | |
Kolumne Notizen aus Belarus | |
Alexander Lukaschenko | |
Schwerpunkt Krisenherd Belarus | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Ukraine-Konflikt | |
Literatur | |
Essay | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Schriftsteller zu Russland und Ukraine: „Putin hat seine eigene Realität“ | |
Der belarussische Autor Sasha Filipenko ist nicht überrascht von der | |
Eskalation um die Ukraine. Der Westen sei schon zu lange untätig gewesen. | |
Russisches Manöver in Belarus: Kriegerische Gedankenspiele | |
In Belarus steigt die Sorge vor einer Eskalation des Ukraine-Konflikts. Das | |
gemeinsame Militärmanöver mit Russland befeuert Spekulationen. | |
Schriftsteller Artur Klinaŭ über Belarus: „Öffentlichkeit ist gefährlich�… | |
Der Schriftsteller Artur Klinaŭ aus Belarus kritisiert, dass die Politik | |
der EU sein Land in Russlands Arme treibt. Auch die Opposition mache | |
Fehler. | |
Das Jahr 2021 in Belarus: Konsolidierung oder Agonie? | |
Zivilgesellschaftliche Proteste wurden erstickt, Medien zerschlagen, | |
Oppositionelle festgenommen: 2021 war ein schlechtes Jahr für Belarus. |