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# taz.de -- Verfassungsrechtler zu Corona-Testpflicht: „Auf jeden Fall vertre…
> Jens Spahn möchte eine Testpflicht für Reisende anordnen. Der
> Rechtswissenschaftler Thorsten Kingreen hält diesen Grundrechtseingriff
> für zulässig.
Bild: Britische Touristen posieren für einen Selfie auf Mallorca
taz: Herr Kingreen, Gesundheitsminister [1][Jens Spahn will eine
Corona-Testpflicht für Reiserückkehrer] anordnen. Darf er das?
Thorsten Kingreen: Ja, nach Paragraf 5 Absatz 2 des
Infektionsschutzgesetzes darf das Bundesministerium für Gesundheit solche
Anordnungen treffen. Hinzuzufügen ist allerdings, dass die
Verfassungsmäßigkeit des Paragrafen bestritten wird, weil für derartige
Anordnungen die Länder die Verwaltungskompetenz haben.
Sie halten die Testpflicht aber für verhältnismäßig?
Ja. Das ist zwar ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit. So ein
Abstrich ist ja nicht angenehm. Aber er ist durch das Ziel, Infektionen zu
verhindern, gerechtfertigt. Man kann zwar im Moment noch nicht ganz genau
sagen, ob die Besorgnis erregenden Veränderungen des Infektionsgeschehens
in den letzten Tagen maßgeblich auf Reisende zurückzuführen sind. Es gibt
Hinweise, dass das nicht der Fall ist. Aber auf jeden Fall ist das eine
vertretbare Maßnahme.
Laut Robert-Koch-Institut hat sich aktuell tatsächlich nur ein kleiner Teil
der Neuinfizierten im Ausland ansteckt. Wenn es dabei bleibt: Wäre die
Testpflicht dann trotzdem noch haltbar?
Das hängt davon ab, was man generell von einer Testpflicht hält. Die
Rechtsprechung hält verfassungsrechtlich sogar eine generelle Impfpflicht
für zulässig – also einen wesentlich intensiveren Eingriff in die
körperliche Unversehrtheit. Meines Erachtens könnte man daher sogar jeden
dazu verpflichten, sich testen zu lassen. Testen, testen, testen ist das
Entscheidende, um schwerwiegende Freiheitseingriffe durch einen
Total-Lockdown zu verhindern. Eine flächendeckende Testpflicht ist aber
derzeit einfach nicht praktikabel, zumal es ja nicht ausreicht, die
Menschen nur einmal zu testen.
Testen lassen muss sich in Zukunft wohl nur, wer aus einem offiziellen
Risikogebiet kommt. Das ist aber ein relativ grobes Kriterium: Wer eine
Woche lang allein in seinem Ferienhaus in Luxemburg saß, muss sich testen
lassen. Wer eine Woche am Ballermann gefeiert hat, muss sich nicht testen
lassen. Ist das nicht problematisch?
Ich halte diese Unterscheidung zwischen Risiko- und Nichtrisikogebieten
zwar für fragwürdig und bin auch nicht sicher, ob man das tatsächlich
praktisch durchhalten kann. Allerdings wird es jeden Flughafen überfordern,
allen ankommenden Reisenden einer obligatorischen Testung zu unterwerfen.
Ohnehin können auch innerdeutsche Reisen eine Gefahr sein; es ist
vermutlich gefährlicher, sich eine Woche an einen Ostseestrand zu legen als
sich allein in einem Ferienhaus in Luxemburg aufzuhalten. Dem
Bundesministerium für Gesundheit bleibt also gar nichts anderes übrig als
zu differenzieren; es ist ja gut, dass jetzt überhaupt einmal damit
angefangen wird. Ganz überraschend kam die Reisewelle ja nicht.
Für Rückkehrer aus Risikogebieten im Ausland gilt bisher eigentlich eine
Quarantänepflicht, die allerdings kaum kontrolliert wird. Welches Mittel
halten sie für milder: Quarantäne oder Test?
Die Betroffenen mögen das vielleicht je nach individueller Lebenslage
unterschiedlich beurteilen. Mancher geht vielleicht lieber zwei Wochen in
Quarantäne als sich testen zu lassen und das womöglich noch bezahlen zu
müssen. Selbst wenn aber die Quarantäne ein milderes Mittel wäre, müsste
sie gleich geeignet sein. Das ist zweifelhaft, denn die Quarantäne lässt
sich, wenn überhaupt, nur mit großem Aufwand überwachen; nach meinem
Eindruck ist das in der Vergangenheit daher auch nur unzureichend
geschehen. Daher halte ich den Test für das mildere Mittel.
Und wer sollte aus Ihrer Sicht für die Tests bezahlen?
Im Infektionsschutzgesetz steht nichts darüber, dass man den Menschen, die
getestet werden dürfen, die Kosten auferlegen darf. Ich fände es sinnvoll:
Wer in Urlaub fahren kann, darf nicht zwingend erwarten, dass er sich auf
Kosten auch von Steuerzahlern testen lassen darf, die sich gerade gar
keinen Urlaub leisten können. Aber ohne Rechtsgrundlage geht das nicht.
Daher ist es vernünftig, dass Herr Spahn im Moment sagt, dass die Tests
zwar verpflichtend, aber kostenfrei erfolgen sollen.
Der Bundestag müsste also beschließen, dass die Getesteten selber zahlen?
Ja, denn die Auferlegung einer Zahlungspflicht wäre ein eigenständiger
Grundrechtseingriff, der gesetzlicher Regelung bedarf.
28 Jul 2020
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## AUTOREN
Tobias Schulze
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Reiseland Österreich
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