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# taz.de -- Pflichttests für Urlaubsrückkehrer:innen: Mal schauen, ob es nüt…
> Die Heilserwartungen in den starken Staat, der vor dem Coronavirus
> schützt, gehen fehl. Es kommt auf jeden Einzelnen und jede Einzelne an.
Bild: Wer Urlaub in einem Risikogebiet macht, wird bei seiner Rückkehr getestet
Jetzt kommt er also, der Corona-Pflichttest für Urlaubsrückkehrer:innen aus
sogenannten Risikogebieten. So hat es Bundesgesundheitsminister Jens Spahn
angekündigt. Schaden kann's nicht. Wie groß der Nutzen ist, wird sich
allerdings erst zeigen müssen. Das hat der einmalige Einreisetest [1][mit
der Corona-App] gemeinsam. Von der weiß man bislang auch vor allem, dass
sie hohen Datenschutzstandards entspricht. Ob sie auch das
Infektionsgeschehen positiv beeinflusst, darüber gibt es bislang keine
validen Zahlen. Nun ja: die gute Absicht zählt.
Nicht viel anders verhält es sich mit dem Pflichttest. Denn angesichts der
Inkubationszeit von Covid-19 von bis zu 14 Tagen bietet eine solche
Momentaufnahme den negativ Getesteten nur eine Scheinsicherheit. Sicherer
ist das, was geltende Rechtslage ist: eine zweiwöchige häusliche
Quarantäne. Nur: Die bußgeldbewehrte Verpflichtung dazu findet sich zwar in
den jeweiligen [2][Corona-Verordnungen der Bundesländer], ist aber das
Papier nicht wert, auf dem sie steht. Kaum jemand hält sich dran, keiner
kontrolliert’s.
Wer die Quarantäneanordnungen ignoriert und sich nicht sofort nach der
Rückkehr beim Gesundheitsamt meldet, handelt zwar sicherlich unvernünftig,
steht aber in keiner großen Gefahr, erwischt zu werden. Und das war von
Anfang an klar. Die Behörden wären mit systematischen
Urlaubsrückkehrkontrollen völlig überfordert – weswegen sie auch nie
geplant waren. Auch wenn es ein Paradoxon ist: Das ist höchst
problematisch, aber gut so.
Denn die Verordnungen der Länder kollidieren aus einem noch gravierenderen
Grund mit der Realität: Für alle Betroffenen, die nicht im Homeoffice
arbeiten können, ist die Urlaubsrückkehrquarantäne eine absolute Zumutung.
Schließlich geht sie vollständig auf eigene Kosten, es gibt keinerlei
Anspruch auf Lohnfortzahlung. Im schlimmsten Fall könnte sogar die
Kündigung drohen, wenn man die zwei Extrawochen nicht zusätzlich als Urlaub
genommen hat, sich aber dann trotzdem an die Regeln hält. Das lädt nicht
gerade dazu ein.
„Freikaufen“ davon konnte man sich bisher immerhin mittels eines
selbstbezahlten Tests. Wenn die Landesregierungen indes gewollt hätten,
dass möglichst viele Menschen nach ihrem Urlaub in einem „Risikoland“ in
Quarantäne gehen, hätten sie für dieses Problem eine sozialverträglichere
Lösung finden müssen. Denn es sind eben nicht nur diejenigen, für die Geld
keine Rolle spielt, die ihren Urlaub im Ausland verbringen wollen.
Stattdessen simulieren die Corona-Verordnungen an diesem Punkt nur
Entschlossenheit – in den Formulierungen resolut klingend, in den
praktischen Konsequenzen folgenlos. Gesetze und Verordnungen geben jedoch
nur Sinn, wenn sie zum einen einhaltbar sind, zum anderen ihre Einhaltung
auch kontrolliert werden kann und wird. Die Einführung des Pflichttests ist
daher zunächst einmal vor allem die Anerkenntnis der Unzulänglichkeit der
bisherigen Regeln.
Sicherlich lässt sich pietistisch einwenden, dass niemand gezwungen ist,
seinen oder ihren Urlaub in einem jener 130 Länder zu verbringen, die
aktuell [3][auf der Liste des Robert-Koch-Instituts (RKI) als
„Risikogebiet“ aufgeführt sind]. Aber das ist wohlfeil. Erstens eignet sich
diese Pandemie nicht für volkspädagogische Spielchen, dafür ist die von ihr
ausgehende Bedrohung zu ernst. Zweitens ist es zwar auch in Castrop-Rauxel
ganz schön, aber selbst dort nicht ungefährlich. Von Städten wie Berlin und
Hamburg ganz zu schweigen.
Drittens hat die RKI-Liste etwas Willkürliches. Wer sich die Entwicklung
der Fallzahlen anschaut, kann schnell erkennen, dass ein Flug [4][nach
Barbados] weitaus ungefährlicher ist als eine Fahrradtour [5][nach
Belgien]. Und warum soll jemand in Quarantäne, der oder die seine
Verwandten in Anatolien besucht – aber wenn er oder sie Party auf der
Rambla in Barcelona gemacht hat, braucht er das nicht? Obwohl das
Auswärtige Amt doch von Reisen nach Katalonien abrät.
Nein, so funktioniert das nicht. Zumal der SPD-Gesundheitspolitiker Karl
Lauterbach ganz zu Recht darauf hinweist, dass diejenigen, die in
„Nichtrisikogebiete“ reisen, „sich zum Teil viel gefährlicher verhalten …
Leute, die weit gereist sind“. Dieses Problem wird leider auch nicht der
Pflichttest à la Spahn lösen. Denn er greift nicht weit genug – und zwar in
doppelter Hinsicht. Einerseits müsste er die Heimkehrer:innen aus allen
Urlaubsorten erfassen, ob diese nun auf der RKI-Liste stehen oder nicht.
Andererseits reicht ein einziger Test nicht aus, um wirklich aussagekräftig
zu sein. Da liegt die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns schon ganz
richtig, wenn sie einen zweiten Test fünf bis sieben Tage später fordert.
Darüber hinaus bleibt aber auch bei den Pflichttests noch das
Umsetzungsproblem. An den Flughäfen ist das noch relativ leicht möglich.
Wobei auch das nicht ganz so einfach ist, wie es auf den ersten Blick
erscheinen mag. Was ist beispielsweise mit denen, die von Buenos Aires nach
Amsterdam und von dort nach Berlin weiterfliegen? Wie wird sichergestellt,
dass sie bei den Tests nicht übersehen werden?
Noch schwieriger wird es bei der Einreise über den Landweg. Die
Bundesrepublik hat zurzeit nur eine einzige Grenze zu einem „Risikoland“,
das ist die zu Luxemburg. Die zu kontrollieren, ist tatsächlich nicht
übermäßig kompliziert. Aber was ist mit den Rückkehrer:innen aus einem
„Risikoland“, die über Belgien, Dänemark, Frankreich, Österreich, Polen,
Tschechien, den Niederlanden oder der Schweiz nach Deutschland einreisen?
Soll ihretwegen wirklich überall dort wieder eine Grenzschranke hochgezogen
werden, an der von jeder und jedem die Aufenthaltsorte der vergangenen zwei
Wochen abgefragt werden? Das ist eine lebensfremde Vorstellung.
Gerade in Krisenzeiten erfreuen sich einfache autoritäre Lösungen einer
großen Popularität. Aber die kann und darf es in einer Demokratie nicht
geben. Die einfachste Lösung wäre es übrigens, alle Menschen einfach
einzusperren, bis irgendwann ein Impfstoff gegen das Virus gefunden ist.
Und natürlich müssten bis dahin alle Grenzen vollständig abgeriegelt
werden. Aber kann das wirklich irgendjemand ernsthaft wollen? Nein,
Deutschland braucht keine neue Mauer.
Mag der eine oder die andere in der gegenwärtigen krisenhaften Situation
auch mit dem Ruf nach der hart durchgreifenden Hand liebäugeln: In einer
Demokratie ist selbst die Pandemiebekämpfung der Kompromissfindung
ausgesetzt. Und zwar zu Recht. Das bedeutet eben auch, dass es eine
absolute Sicherheit nicht geben kann. Aber jeder und jede Einzelne sollte,
ja muss seinen oder ihren Beitrag dazu leisten, dass wir die Pandemie
besser überstehen. Aufgabe eines demokratischen Staates ist es, das so
leicht wie möglich zu machen. Dazu gehören auch Gratistests. Entscheidend
bleibt gleichwohl das eigene verantwortungsvolle Verhalten. Egal wo man
sich gerade auffällt. Und auch wenn es schwerfällt.
31 Jul 2020
## LINKS
[1] /Zwei-Wochen-Corona-App/!5693582/
[2] https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/corona-bundeslaen…
[3] https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikogebiete_…
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/COVID-19-Pandemie_in_Barbados
[5] https://www.swp.de/panorama/corona-antwerpen-belgien-risikogebiet-sophie-wi…
## AUTOREN
Pascal Beucker
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