# taz.de -- Verdi am Opernhaus Zürich: Nihilistischer geht es nimmer | |
> In Zürich tauchen der Regisseur Barrie Kosky und der Dirigent Teodor | |
> Currentzis Verdis „Macbeth“ in Schwärze und Spannung. | |
Bild: Markus Brück als Macbeth | |
In Giuseppe Verdis „Macbeth“ lauert die erste Falle für die Regie gleich am | |
Anfang: Was macht man mit dem Hexen-Chor? Vermummte Choristinnen um einen | |
brodelnden Kessel tanzen lassen? Die Szene in ein Bordell verlegen? Oder | |
doch eine Balletteinlage im wabernden Bühnennebel? | |
Der Multi-Stilist Barrie Kosky hat nun am Opernhaus Zürich gemeinsam mit | |
seinem Bühnenbildner Klaus Grünberg dafür eine radikale und wahrhaft | |
geniale Lösung gefunden: Die Hexen bleiben unsichtbar. Sie tönen vielmehr | |
aus einem allgegenwärtig klingenden Off, im ganzen Opernhaus scheint es zu | |
rascheln und zu wispern. Denn die Hexen sind nicht anders als Macbeth’ | |
Kopfgeburten. Die flüsternden, ordinären, grausamen Stimmen in seinem Kopf, | |
seine Dämonen. | |
Wie alles, was an diesem Abend auf der Bühne passiert, im Kopf des Macbeth | |
und der hier als fatale Symbiose gezeigten Beziehung mit der Lady Macbeth | |
seinen Ursprung zu haben scheint. Das ganze mörderische Drama kocht Kosky | |
auf ein hoch giftiges Destillat ein, reduziert Verdis Shakespeare-Deutung | |
auf äußerste szenische Zuspitzung, die in ihrer Konzentration und Strenge | |
an japanisches No-Theater erinnert, nicht zuletzt durch Klaus Bruns in | |
raffinierten Varianten der Grundfarbe Schwarz gehaltenen Einheitsgewänder. | |
## Begraben unter Krähen | |
Überhaupt ist Schwarz die beherrschende Farbe: Die Bühne ist nichts als ein | |
unheimlicher, schwarzer, sich scheinbar im Endlosen verlierender Tunnel, | |
erleuchtet nur von wenigen fahlen Lichtern. In der ersten Szene liegt ein | |
seltsames Geschöpf auf dem Boden, über und über bedeckt mit toten Vögeln. | |
Es sind Krähen, unter denen Macbeth begraben liegt. Dann setzt sich aus dem | |
Bühnentunnel eine Schar nackter Bewegungsstatisten in Bewegung, aber ihre | |
Nacktheit hat es in sich. Denn die Frauen tragen männliche | |
Geschlechtsteile, die Männer Brüste. | |
Unheimliche Zwitterwesen sind das, deren Identitäten und Geschlechter durch | |
Videoüberblendungen noch mehr verschwimmen. Langsam befreien sie zu Beginn | |
Macbeth von den toten Vögeln. Später folgen sie ihm, bedrängen ihn manchmal | |
wie seine inneren Dämonen, dann wieder flankieren sie seitlich das | |
Geschehen und ersetzen stumm den Chor, der weiterhin – bis auf eine Szene – | |
aus dem Off tönt. | |
## Aus dem Stillstand | |
Zwei Stühle sind die einzigen Möbelstücke, die bisweilen die Haltepunkte | |
für die großen Dialoge zwischen Macbeth und der Lady bieten, sonst bleibt | |
die Bühne leer. Kosky lässt seine hoch konzentrierte Personenregie wie aus | |
dem Nichts kommen. Aus dem Stillstand, der in sich mit äußerster Spannung | |
aufgeladen ist und sich im Laufe des Abends in einem allumfassenden | |
Crescendo zu totaler Destruktion steigert. Schwärzer, pessimistischer, ja | |
nihilistischer geht’s nimmer. | |
Dass Koskys Rechnung in Zürich auf derart packende Weise aufgeht, verdankt | |
sich wesentlich dem Mann im Graben, der einmal mehr beweist, dass der Hype | |
um ihn gerechtfertigt ist: Teodor Currentzis, der aus Griechenland | |
stammende Wahl-Russe, stellt alle Verdi-Konventionen auf den Kopf und | |
dirigiert einen spröden, zerklüfteten Verdi, der sich mit jeder Note dem | |
dramatischen Bühnengeschehen verpflichtet fühlt und keine Sekunde in | |
schönen Stellen badet. | |
Jenen Mut zur Hässlichkeit, den Verdi einst für „Macbeth“ verlangte, | |
betreibt der Dirigent Currentzis mit atemberaubender Konsequenz. Er | |
erinnert damit an jene Zeit am Züricher Opernhaus, als Nikolaus Harnoncourt | |
Claudio Monteverdis Opern wiederentdeckte und damit die Revolution der | |
historischen Aufführungspraxis auf die Opernbühne holte. Currentzis | |
durchlüftet Verdis Partitur nun mit eben jenem Geist der historischen | |
Aufführungspraxis und geht auch klanglich zurück: zum Geräusch, zum | |
gepressten Atem, zum Flüstern und zum Sprechgesang, zu dem er die Sänger | |
ermuntert. | |
## Keine Gemütlichkeit | |
Man hört sehr viel Piano an diesem Abend, auch wenn Currentzis durchaus | |
auch große Klangexplosionen zündet und Vulgäres, Brutales zulässt. Aber es | |
gibt keinerlei Wildwuchs, keine Gemütlichkeit, die sich oft unter der | |
Bezeichnung „Italianità“ versteckt. | |
Die Sänger beglaubigen das radikale Konzept grandios: Markus Brück ist ein | |
irrlichternder Macbeth, der seinen ungeheuer modulationsfähigen Bariton bis | |
an die Grenzen belastet. Tatiana Serjan ist eine majestätische Lady, die | |
ihre mörderische Rolle ganz aus dem verhaltenen Piano heraus entwickelt, | |
Wenwei Zhang ist ein weich strömender Banco, Pavol Breslik ein wunderbar | |
lyrischer Macduff, alle weiteren Rollen sind famos besetzt. Großer Jubel, | |
nach atemlos durchgehaltener Spannung. | |
6 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Regine Müller | |
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