# taz.de -- Neu inszeniertes Verdi-Requiem: Kurz vom Nervenzusammenbruch | |
> Calixto Bieito sucht mit seiner Inszenierung von Guiseppe Verdis Requiem | |
> an Hamburgs Staatsoper ausnahmsweise mal nicht die Provokation. | |
Bild: Hart: Die Sängerin Nadeshda Karyazina (Mezzosopran) schneidet sich die P… | |
HAMBURG taz | Eigentlich ist es kaum zu ertragen, wenn eine Totenmesse zum | |
Soundtrack für eine zuweilen grelle Gruppentherapie wird. Und auch Calixto | |
Bieitos Neuinszenierung von Giuseppe Verdis „Messa da Requiem“ an der | |
Staatsoper Hamburg ist nichts für zarte Gemüter. Bieito zeigt Menschen am | |
Rande des Nervenzusammenbruchs, weil der Tod ihr Leben erschüttert hat. | |
Allerdings ist die bilderreiche Inszenierung des Katalanen auch nicht so | |
schockierend, wie mancher es von ihm vielleicht erwartet hat. | |
Der härteste Moment: Wenn ungefähr in der Mitte der Aufführung, im | |
Lacrimosa, alle, Chor und Solisten, Jesus um ewige Ruhe für die Toten | |
bitten, während eine alte Frau in rotem Plüschbademantel und in Pantoffeln | |
tote Kinder auf die Bühne zieht. | |
Vorne an der Bühnenrampe hockt der Bass als männliche Pietà und hält einen | |
toten Jungen im Arm. Die Mezzosopranistin schneidet sich aus Verzweiflung | |
die Pulsadern auf, das Blut spritzt auf ihr goldgelbes Kleid. | |
Calixto Bieito ist bekannt für seine gern saftig-skandalösen | |
Regie-Arbeiten. Hier im Lacrimosa lässt er zwar ein wenig davon aufblitzen, | |
insgesamt sucht der erfahrene Theatermann aber nicht die Provokation. Das | |
Thema Tod ist aufwühlend genug. Bieito zeigt die vier Gesangssolisten als | |
mehr oder weniger individuelle Charaktere, doch ohne durchlaufende | |
dramatische Handlung, vielmehr als inneres Stationendrama entlang der | |
Totenmesse. | |
## Erinnerung an eine glückliche Zeit | |
Besonders konkret ahnt man das Schicksal des Soprans: Die Sängerin sitzt | |
traurig zu Beginn vorne an der Bühne, hält einen kleinen Ball in der Hand, | |
rollt ihn fort. Dann kommen der Bass und der Junge dazu, mit dem Sopran | |
spielen sie gemeinsam Ball. Alles wirkt wie eine Erinnerung an eine | |
glückliche Zeit. Die Sängerin hält inne und schluchzt. | |
Calixto Bieito skizziert mit dieser Situation die maximale Erschütterung, | |
den Tod des eigenen Kindes. In Gänze spannt er allerdings nicht den Bogen, | |
auch wenn der Sopran gerade am Ende das ewige Licht heraufbeschwört, ohne | |
Ball, ohne Bezug zur Ausgangssituation. | |
Bühnenbildnerin Susanne Gschwender hat für diese szenische Totenmesse drei | |
meterhohe Holzregale mit vielen Fächern gebaut – offenbar inspiriert von | |
einer Friedhofsgasse in Barcelona, die das Titelbild auf dem aktuellen | |
Staatsoper-Journal zeigt. | |
Diese Regale lassen sich bewegen, teilen und von hinten farbig anleuchten, | |
so dass sie an Kirchenfenster erinnern. Der Chor und die Solisten krabbeln | |
in die Fächer, hängen sich mit Gurten an die Holzteile. Ganz am Schluss | |
sinkt das hintere Regal zu Boden. Ein riesiges Grabfeld entsteht. In die | |
Gräber verschwindet der Chor, um aus den Grablöchern heraus die Arme nach | |
vorn auszustrecken. | |
## Starkes Bild zu packender Musik | |
Auch beim letzten „Dies irae“, beim hochdramatischen Beschwören jenes Tages | |
des Zorns, wenn alle Toten auferstehen, ergibt sich ein starkes Bild zu | |
packender Musik. Verdi hat diesen mittelalterlichen Text über den Jüngsten | |
Tag in den katholischen Messtext eingefügt. Wie eine Mahnung erinnert das | |
mehrmals wiederkehrende Dies irae an den Umstand, dass man sein Leben, | |
seinen Lebenswandel, dann vor einem strengen Richter wird verantworten | |
müssen. | |
George Bernhard Shaw hat Verdis 1874 uraufgeführte „Messa da Requiem“ als | |
dessen größte Oper bezeichnet. Tatsächlich nutzt der italienische | |
Musiktheater-Meister hier genau auch jene Klangsprache, die seine reifen | |
Opern wie Aida und Otello zu Klassikern des Repertoires gemacht haben: | |
Eindringliche Melodien, Chorgesang zwischen Furor und Entrückung, dazu das | |
Orchester, das den Schrecken und die Hoffnungen rund ums Thema Tod mit | |
starken Klangfarben und Rhythmen beschreibt. | |
An der Staatsoper Hamburg sorgt der Dirigent Kevin John Edusei dafür, dass | |
Verdis Musik ihre Kraft und Schönheit entfalten kann, ohne zu plakativ zu | |
wirken. Der hervorragende Chor der Staatsoper (Leitung: Eberhard Friedrich) | |
spielt und singt ausdrucksstark: Alle tragen wie die SolistInnen Kleidung | |
von heute (Kostüme: Anja Rabes). | |
Der Chor bleibt dabei die getriebene Menge, die sich kollektiv am Tod | |
abarbeitet und beim Dies irae immer wieder auf den Sopran aggressiv | |
zustürmt, als sei diese Frau Schuld an der Tatsache, dass wir alle sterben | |
müssen, dass wir nicht wissen, was dann kommt. | |
## Feier der Vergänglichkeit | |
Das SolistInnenquartett ist hochkarätig besetzt: Bass Gábor Bretz, Tenor | |
Dmytro Popov und Mezzosopranistin Nadezhda Karyazina besitzen Stimmen, die | |
mit dramatischer Wucht und Ausdruck punkten. Die Schwedin Maria Bengtsson | |
ist hingegen kein typischer Verdi-Sopran mit überbordender Klangfülle. Der | |
schlankere, hellere Klang von Bengtssons Stimme passt aber gut zu dieser | |
letztlich recht geerdeten Inszenierung von Calixto Bieito. | |
Mag manche Interaktion zwischen den SolistInnen irritierend wirken, weil | |
sie einen Text singen, der sich an Gott wendet und nicht an ihr direktes | |
Gegenüber, so funktionieren Bieitos szenische Ideen besonders gut, wenn er | |
zum Text der Totenmesse frei assoziiert. | |
In Erinnerung bleibt, wie die Aufführung in einer Szene geradezu die | |
Vergänglichkeit feiert, wenn eine schon ältere Statistin in nur einem Hauch | |
von Kleid sehr langsam auf die Bühne schreitet, um sich ganz vorn an der | |
Rampe über den Souffleurkasten zu legen und ihren vom Leben gezeichneten | |
Körper zu zeigen. | |
Es ist ein meditativer Moment. Ganz am Ende sitzt die Sopranistin an | |
gleicher Stelle: blond, schön, noch jung, doch gereift von der durchlebten | |
Totenmesse. Die Musik endet. Und sie bleibt sitzen: ruhig, aufrecht im | |
hellen Licht. Die Todesangst und Trauer scheint überwunden. | |
18 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Dagmar Penzlin | |
## TAGS | |
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Deutsche Oper | |
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