# taz.de -- Verdis „Rigoletto” an der Deutschen Oper: Der Schurke ist immer… | |
> Regisseur Jan Bosse möchte in seiner Verdi-Inszenierung ein Theater im | |
> Theater spielen lassen. Das ist dann aber nur wieder das alte, das uns | |
> nichts angeht. | |
Bild: Ganz in Gold: Andrzej Dobber als Rigoletto. | |
Am Ende ist die Bühne doch wieder leer. Hinter der wie immer grauen | |
Rückwand singt jemand „La donna e mobile”, davor stirbt die Primadonna und | |
der Titelheld verzweifelt. Schade. Es hatte so viel besser begonnen. Es gab | |
gar keine Bühne, stattdessen ein genau inszeniertes Spiegelbild des Großen | |
Saales der Deutschen Oper von Berlin. | |
Auf zwei Rängen suchten Menschen ihren Platz, setzten sich, unterhielten | |
sich, das Programmheft in der Hand, aus dem unweigerlich der Zettel mit dem | |
Hinweis auf Umbesetzungen in letzter Minute heraus fiel, der immer | |
herausfällt. Man muss ihn mühsam zwischen den Stuhlreihen suchen, lesen | |
kann man ihn aber nicht, weil schon wieder jemand auf der Suche nach seinem | |
Platz dazwischen kommt. | |
So ist es nun mal am Anfang jeder Oper, und die Idee des bislang im | |
Sprechtheater erfolgreichen Regisseurs Jan Bosse, diese ritualisierte | |
Situation des Kunstkonsums tatsächlich an den Anfang des „Rigoletto” von | |
Giuseppe Verdi zu stellen, hätte sehr wohl auch der Anfang einer | |
Interpretation dieses Werkes sein können, die seinen inneren Widerspruch | |
auflöst, an dem es trotz seiner Popularität seit jeher leidet. | |
Mit großem psychologischem Feingefühl gezeichnete Figuren sind in einer | |
Handlung miteinander verknüpft, die jedem denkbaren Realismus spottet. Dass | |
der Text auf Victor Hugos Satire „Le roi s' amuse” beruht, macht die Sache | |
nicht einfacher. Hugos wütende Polemik gegen die monarchistische | |
Restauration in Frankreich hat ihre Aktualität verloren und wäre ohne | |
Verdis Musik heute auf keinem Theater der Welt mehr zu finden. | |
Als Theater im Theater jedoch, wie es Bosses Anfangsbilder zeigen, hätte | |
sie eine zweite Chance, nämlich als Skandalreportage aus der Yellow Press | |
für uns Voyeure von heute. Alles ist öffentlich, die täglichen Sexaffären | |
des Herzogs von Mantua ohnehin, aber auch die Geschäfte des Berufskillers | |
Sparafucile und das kleine Geheimnis des buckligen Clowns Rigoletto: seine | |
Tochter Gilda, die er zu Hause einsperrt, damit sie Jungfrau bleibt. | |
Natürlich geht das schief, am Ende ist sie tot, erstochen von dem Mörder, | |
den er selbst bezahlt hat. | |
## Grotesk überzeichnete Kolportage | |
Barrie Kosky hat vor vier Jahren an der Komischen Oper in Berlin die | |
verstörend bösartige Grausamkeit vorgeführt, die in dieser grotesk | |
überzeichneten Kolportage steckt. Mit seiner Inszenierung des Publikums, | |
das manchmal als Chor mitsingt, aber auch dann mitspielt, wenn es nur | |
zuschaut, hätte Bosse durchaus eine vergleichbar intensive Wirkung erzielen | |
können. | |
Aber seltsamerweise hat er sich nicht getraut, diese Idee bis zum Ende | |
durchzuhalten. Schon nach kurzer Zeit schickt er ausgerechnet die Leute, | |
Chor und Statisten, in die Kulissen, die uns mit soviel Sorgfalt alles | |
abgeschaut haben, was wir an Gesten und Mimik von der Straße mitbringen. | |
Und das bloß deswegen, weil sich Rigoletto und Sparafucile mal in einer | |
dunklen Gasse über eine mögliche Lösung des neusten Skandals unterhalten | |
müssen! Als ob wir nicht gerade da besonders dringend gebraucht würden, | |
weil ein Geheimnis ohne Öffentlichkeit gar keines ist. Aber nein, soweit | |
wollte Bosse nun mal nicht gehen. | |
Die Konsequenz, dass wir die wahren Täter sein könnten, scheint ihn | |
verschreckt zu haben. Die Sitzreihen bleiben meistens leer. Was um sie | |
herum gespielt wird, ist ein steif vor sich hin trottendes Theater, in dem | |
der Bariton tragisch, die Primadonna ein unglückliches Kind, der Schurke | |
ein Tenor, und die Welt insgesamt sehr unmoralisch ist. | |
## Der junge Dirigent Pablo Heras-Casado sucht die Kammermusik | |
Aber es ist Verdi. Mit Pablo Heras-Casado hat die Deutsche Oper einen | |
jungen Dirigenten verpflichtet, der sehr viel mutiger als Jan Bosse | |
versucht, diesem Standardwerk des Repertoires ein neues Gesicht zu geben. | |
Heras-Casado sucht nach der Kammermusik, die man hier am wenigsten | |
erwartet. Er bringt sie so wundervoll zum Klingen, dass sich die Gewichte | |
verschieben. | |
Nicht mehr die großen Arien, und schon gar nicht der Superhit „La donna e | |
mobile” sind die Zentren des Werkes. Denn sie alle sind eingebunden in ein | |
nur scheinbar einfaches, in Wirklichkeit unglaublich subtiles und reiches | |
Spiel von Instrumentalfarben, Begleitmotiven und harmonischen | |
Verschiebungen, denen das Orchester mit hörbarer Lust am intimen Klang | |
nachspürt. Vor allem Andrzej Dobber als Rigoletto fühlt sich wohl in diesem | |
filigranen Raum, der ihm erlaubt, die Facetten der Figur gesanglich | |
auszuloten. | |
Ein beängstigende Mischung von Hass und Selbstmitleid ist zu hören, die | |
diesen gar nicht guten Vater blind macht für das wirkliche Leid seiner | |
Tochter. Für die am Tag der Premiere erkrankte Lucy Crowe konnte die junge | |
Russin Olesya Golownewa als Ersatz gewonnen werden, die mit ihrem | |
grandiosen, hochdramatischen Sopran die Rolle der Gilda weit über das | |
reichlich einfallslose Bild eines süßen, betrogenen Mädchens hinaus hob, | |
das Bosse zeichnen wollte. | |
## Der Tenor fällt aus | |
Weniger Glück hatte die Deutsche Oper mit Eric Fenell, der auch erst kurz | |
vor der Premiere den eigentlich als Herzog besetzten Rumänen Teodor Ilincăi | |
ersetzen musste. Fenell fehlt es schlicht an Stimme und Bühnenpräsenz, die | |
nun mal nötig sind für diese Rolle, auch dann, wenn es wie bei Heras-Casado | |
gar nicht um den äußeren Glanz großer Stimmen geht. | |
Man vermisst die dennoch notwendige Farbe des Tenors vor allem im großen | |
Quartett des dritten Aktes, in dem Verdi Victor Hugos Personal zu einem | |
Kontrapunkt konträrer Charaktere zusammenführt, der in der ganzen | |
Operngeschichte seinesgleichen sucht. Schade, dass auch das nicht ganz so | |
gut gelingt, wie es hätte gelingen können. Von Pablo Heras-Casado aber | |
möchte man trotzdem mehr hören. Seine Art, Verdi zu spielen ist wegweisend. | |
Warum feiern wir heuer immer nur Wagner? Verdi war einfach besser. | |
Nächste Vorstellungen: 24., 28., 30. April; Deutsche Oper Berlin | |
22 Apr 2013 | |
## AUTOREN | |
Niklaus Hablützel | |
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