| # taz.de -- Verbale sexuelle Belästigungen in Berlin: Miau mich nicht an, Mann! | |
| > Catcalling stellt für viele Frauen eine alltägliche Bedrohung dar. Eine | |
| > Streetart-Initiative kämpft dagegen an und fordert gesetzliche | |
| > Verschärfungen | |
| Bild: Aktiv sind die Ortsgruppen und @catcallsof Accounts in 127 deutschen Stä… | |
| taz | Berlin Für die einen wird der Berliner Sommer mit dem ersten | |
| Paddelausflug auf dem Landwehrkanal eingeläutet, für die anderen mit dem | |
| ersten Grilltag auf dem Tempelhofer Feld. Für viele Frauen mit dem ersten | |
| „geile Titten!“-Ruf der Saison. Meiner wurde mit einem „schöne Größe, … | |
| zu dünn“ eingeläutet. Vergangenes Jahr war es ein: „Ich würde dich bumse… | |
| wenn du nicht so groß wärst.“ | |
| Die sexistischen Kommentare sind keine rein saisonale Erscheinung, sie sind | |
| treue, alljährliche Begleiter. Aber im Sommer, wenn Frauen sich leicht | |
| bekleidet durch die Stadt bewegen, nehmen sie erst richtig an Fahrt auf. | |
| Den Vorgeschmack, den die ersten Sommertage in Berlin auf die diesjährige | |
| Catcalling-Saison gegeben haben, reichen für die ein oder andere Frau schon | |
| aus, um sich die kältere Jahreszeit der übergroßen Hoodies | |
| zurückzuwünschen. | |
| Um auf das Problem von Catcalling, also [1][verbaler sexueller Belästigung | |
| im öffentlichen Raum, aufmerksam zu machen, setzen sich die | |
| Aktivist*innen von Catcalls of Berlin ein]. Die Initiative sammelt per | |
| Privatnachrichten auf Instagram Vorfälle (verbaler) sexueller Belästigung | |
| und schreibt diese mit Kreide am Ort des Geschehens auf die Straße: „Na ihr | |
| zwei Schnecken? Ich habe richtig Bock euch durchzuficken“, steht etwa am | |
| Hauptbahnhof. „Geiler Arsch, schade, dass deine Titten so klein sind“, am | |
| S-Bahnhof Lichtenberg. | |
| Die angekreideten Kommentare fotografieren und posten sie zusammen mit der | |
| anonymisierten Nachricht auf ihrem Instagram Account @catcallsofberlin. | |
| Ziel ist es, damit „den Ort für die betroffene Person zurückzuerobern“ und | |
| Menschen, die daran vorbeilaufen, darauf aufmerksam zu machen, dass dort | |
| Belästigung stattfindet, sagt Lisanne Richter, die Vorsitzende von Chalk | |
| Back Deutschland, dem Dachverband der deutschen @catcallsof Accounts, die | |
| es mittlerweile in 127 Städten gibt. Sie sind eine Zweigstelle der | |
| internationalen Organisation Chalk Back, die 2016 mit @catcallsofnyc | |
| begann. | |
| ## Betroffene werden für die Vorfälle verantwortlich gemacht | |
| Dass man als Frau gar nicht freizügig gekleidet sein muss, um Catcalling zu | |
| erfahren, darauf machte damals das Video „10 Hours of Walking in NYC as a | |
| Woman“ der feministischen Initiative Hollaback! aufmerksam. Dabei lief eine | |
| Schauspielerin zehn Stunden lang mit versteckter Kamera durch New York. Das | |
| Ergebnis: 108 Männer sprachen sie an, von kurzen Begrüßungen bis hin zu | |
| verbalen sexuellen Belästigungen. Die Schauspielerin trug eine Jeans und | |
| ein schwarzes T-Shirt. | |
| Trotzdem würden Betroffene häufig für diese Art der Belästigung | |
| verantwortlich gemacht, sagt Richter. Das zeige etwa ein Vorfall am | |
| U-Bahnhof Seestraße, den die Initiative postete: Ein Mann streichelte einer | |
| Frau den Arm, warf ihr einen Kussmund zu und sagte, sie müsse damit | |
| rechnen, wenn sie so angezogen sei. | |
| Sexuell belästigende Aussagen würden zudem oft als Komplimente abgetan. | |
| „Hey Tussi, schön siehste aus!“, sagten etwa zwei Männer einer Frau am | |
| U-Bahnhof Heinrich-Heine-Straße. „Du könntest wenigstens Danke sagen!“ | |
| Erinnert uns bitte noch mal: wofür? „Einige der Täter*innen denken, das | |
| sei witzig oder ein Flirtversuch“, so Richter. „In einem patriarchalen | |
| System kann man sich das einreden.“ Andere würden das Machtgefälle bewusst | |
| genießen. Diese Macht umzudrehen – und den öffentlichen Raum | |
| zurückzuerobern –, darum geht es den Aktivist*innen. | |
| [2][Wie in den allermeisten Ländern ist Catcalling als berührungslose | |
| Belästigung auch in Deutschland nicht strafbar.] Geahndet werden kann es | |
| höchstens als Beleidigung nach Paragraf 185 StGB, der die Ehre schützt. | |
| Dabei gebe es eine Gesetzeslücke, sagt Richter. „Viele Sprüche, bei denen | |
| Menschen sich bedroht oder degradiert fühlen, fallen nicht darunter.“ „Du | |
| Schlampe“ etwa gelte als Beleidigung der Ehre, „geiler Arsch“ hingegen | |
| nicht. Womöglich liegt in diesem Verständnis von Ehre das Problem. | |
| ## Catcalling ist in Deutschland bislang nicht strafbar | |
| Während die schwammigen Grenzen dieser Mikroaggressionen das deutsche | |
| Rechtssystem vor Herausforderungen stellen, [3][gilt Catcalling in | |
| Frankreich, Belgien, Portugal und den Niederlanden bereits als mit | |
| Geldstrafen bewehrte Straftat]. In Deutschland unterzeichneten 2020 knapp | |
| 70.000 Menschen eine Petition für eine Gesetzesverschärfung. Passiert ist | |
| bislang nichts. Anfang des Jahres hat die niedersächsische Justizministerin | |
| Kathrin Wahlmann (SPD) angekündigt, im Rahmen der | |
| Justizminister*innenkonferenz im Juni eine Bundesratsinitiative | |
| für eine entsprechende Gesetzesänderung auf den Weg bringen zu wollen. | |
| Das ist auch dringend nötig, denn die Auswirkungen sind gravierend. Wenn | |
| Frauen ständig objektifiziert werden, neigen sie dazu, sich öfter zu | |
| objektifizieren und ihre Körper zu überwachen. Zudem handelt es sich um | |
| einen Eingriff in das grundrechtlich geschützte Recht auf sexuelle | |
| Selbstbestimmung: Viele Frauen wählen oftmals alternative Routen, um dem | |
| Pfeifkonzert an bestimmten Orten zu entgehen. | |
| Für physische sexuelle Belästigung hingegen können Täter*innen in | |
| Deutschland mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder einer | |
| Geldstrafe bestraft werden. Auch solche Vorfälle zeigt der | |
| @catcallsofberlin-Account en masse. „Er fasst mir von hinten an die Hüfte | |
| und drückt sein Gesicht an meinen Po“, lauten die Erfahrungen einer Frau am | |
| Bahnhof Zoo, „beim Vorbeigehen griff er mir in den Schritt“, die einer Frau | |
| am Ostkreuz. Doch auch in strafrechtlich verfolgbaren Fällen sei eine | |
| Anzeige oftmals nur schwer möglich, da Täter*innen den Ort des | |
| Geschehens meist schnell verließen, oder die betroffene Person, um weitere | |
| Übergriffe von sich abzuwenden, so Richter. | |
| Egal, wo man in Berlin als Frau unterwegs ist, vor verbalen und physischen | |
| sexuellen Belästigungen ist man nirgends sicher. Als der Mann unvermittelt | |
| meine Größe und Statur kommentierte, fiel mir spontan kein besserer Konter | |
| als das altbewährte „Halt dein Maul“ ein. Dabei hatte ich mir doch letztes | |
| Mal vorgenommen, die einzig wirklich relevante Frage zu stellen: Wie kommst | |
| du darauf, dir anzumaßen, über mein Aussehen zu urteilen? | |
| 11 Apr 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Petition-gegen-Catcalling/!5713269 | |
| [2] /Frau-ohne-Menstruationshintergrund/!5854999 | |
| [3] /Urteil-wegen-sexueller-Belaestigung/!5539115 | |
| ## AUTOREN | |
| Lilly Schröder | |
| ## TAGS | |
| sexuelle Belästigung | |
| Sexismus | |
| Sexismusdebatte | |
| IG | |
| Sexuelle Gewalt | |
| Sexismus | |
| Kolumne Alles getürkt | |
| sexuelle Belästigung | |
| Kolumne Frau ohne Menstruationshintergrund | |
| Sexismus | |
| sexuelle Belästigung | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Catcalling auf Berlins Straßen: Geiler Arsch ist kein Kompliment | |
| Die Bundesjustizministerin will verbale sexuelle Belästigungen strafbar | |
| machen. Doch das Problem liegt eher in der frauenfeindlichen | |
| Rechtsprechung. | |
| Vorstoß aus Niedersachsen: „Catcalling“ soll verboten werden | |
| Hinterherpfeifen auf der Straße, anzügliche Kommentare: Frauen müssen kein | |
| Freiwild sein, meint die niedersächsische Justizministerin. | |
| Das Pfeifen meiner Heizung: Obszön und ferngesteuert | |
| Seit Monaten pfeift bei mir zu Hause die Heizung. Mir ist das sehr peinlich | |
| gegenüber weiblichen Gästen. Und immer wenn der Klempner kommt, ist Ruhe. | |
| Catcalling auf Berlins Straßen: Nur mit Pulli sicher | |
| Verbale sexuelle Belästigung ist für Frauen im Sommer Alltag. Catcalling | |
| ist keine Vorstufe zu einer Tat, sie ist eine, findet unsere Autorin. | |
| Frau ohne Menstruationshintergrund: Catcalling unterm Phallus | |
| Vatertag in Deutschland gleicht einem Himmelfahrtskommando für weiblich | |
| gelesene Menschen. Das ist in Berlin nicht anders. | |
| Petition gegen „Catcalling“: Raus aus der gesetzlichen Grauzone | |
| Hinterherpfeifen, Sprüche, Machtdemonstration: Eine Petition will einen | |
| eigenen Straftatbestand für so genanntes Catcalling erwirken. Bringt das | |
| was? | |
| Urteil wegen sexueller Belästigung: Catcalling kostet | |
| Frankreich verhängt erstmals ein Bußgeld wegen einer anzüglichen Bemerkung: | |
| 300 Euro muss ein Mann nun zahlen. |