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# taz.de -- Frau ohne Menstruationshintergrund: Catcalling unterm Phallus
> Vatertag in Deutschland gleicht einem Himmelfahrtskommando für weiblich
> gelesene Menschen. Das ist in Berlin nicht anders.
Bild: Da fühlt sich mancher Mann wohl: Vatertag auf einem Floß im Treptower P…
He, Süße, komm ma her! Du bist so wat von geil!“, ruft er mir am
Alexanderplatz zu. Dann spitzt er die Lippen und macht schmatzende
Geräusche. Der Kerl ist schätzungsweise Mitte vierzig. Wehende Steppweste,
Kapuzenpulli, kurze Unterbauchjeans, Ringelsocken und Sandalen. Und er ist
das Prachtstück des Pulks. Seine weniger modebewusst angezogenen Kumpel
gackern, sie spornen ihn an. So legt er nach, als er mir auf Schritt und
Tritt folgt: „Zieh ma deene Maske runter – und deen Röckchen!“
„Hervorragend, vor allem deine Wampe“, erwidere ich, als ich ihn, über die
Schulter schauend, kursorisch von Kopf bis Fuß mustere. „Ich muss leider
gehen. Aber du kannst eh nicht kommen, nehme ich an.“
Männern missfällt es, auf den Schwanz getreten zu werden, zumindest
außerhalb von Dominastudios. Demzufolge schwört er gekränkt, dass er mich
„holen und flachlegen“ würde.
[1][Vatertag in Deutschland]. Es gleicht einem Himmelfahrtskommando, als
weiblich gelesene Person überhaupt an diesem Tage unterwegs zu sein. Wie
auch am Alex, wo bei dieser Begegnung mit dem Pulk in gewisser Hinsicht die
„Rache des Papstes“ wahrzunehmen ist. Ebenjene Etikettierung beschreibt das
sphärische Lichtkreuz, das als Reflexion entsteht, wenn die Sonne mal auf
der Kugel des Fernsehturmes gleißt.
## Kein Kavalliersdelikt
Das ist die Krux der Sache. Catcalling ist kein Kavaliersdelikt. Genau
genommen ist Catcalling kein Delikt überhaupt, was die
bundesrepublikanische Gesetzeslage anbelangt. In Deutschland hat Catcalling
also noch keinen eigenen Straftatbestand, ganz im Gegensatz beispielsweise
zu der Lage in Belgien, Frankreich, den Niederlanden und Portugal.
Hierzulande ist mit [2][Paragraf 184i des Strafgesetzbuches] zwar sexuelle
Belästigung ausdrücklich verboten und mit einer Freiheitsstrafe bis zu zwei
Jahren oder mit einer Geldstrafe zu ahnden, aber der Paragraf beschränkt
sich wortwörtlich auf „körperliche Berührung“. Die verbale Gewalt und die
psychischen Schmerzen, die infolge der unaufgefordert lasziven Bemerkungen
und aufdringlichen Blicke bei den Opfern entstehen, werden also nicht
erfasst.
Es läge auf der Hand, die Taten gemäß Paragraf 185 als Beleidigung zu
bewerten. Doch dafür müsse der Täter eine Herabsetzung der betroffenen
Person bewusst zum Ausdruck bringen. Mit „ich wollte ihr nur ein Kompliment
machen“ können noch erstaunlich viele Catcaller hierzulande laufen und
gleichsam auf Freiersfüßen wandeln.
Die Hürden sind für Betroffene so hoch wie der Fernsehturm, bedaure ich,
während ich – erhobenen Hauptes fortgehend – den Kopf doch grüblerisch und
lamentierend in die Höhe richte. Der bis ins Firmament emporragende Phallus
erlangt dabei eine Art Heiligkeit und drückt dabei auch die „Rache des
Patriarchats“ aus. Der vom Aussterben bedrohte Macho fühle sich eingeengt.
Gender-Gaga, MeToo-Emanzen, Pronomen. Es ist alles ein Zuviel. Deswegen
habe er keine andere Wahl, als zum Gegenschlag auszuholen, und sich Gehör
zu verschaffen, während sein Antrag auf Artenschutz geprüft wird. Das
Weiberanmachen im Wonnemonat gehört sowieso zu den Riten des Frühlings. Es
ist die Brunftzeit, die ja mitsamt Bierkiste und Bollerwagen zelebriert
wird.
Fakt ist, Chorprobe für Catcallers findet tagtäglich statt, und Frauen sind
Freiwild. Dieses Naturgesetz gilt allenthalben, ob in Marzahn oder auf der
Museumsinsel, in Köpenick oder auf dem Ku’damm. Das wird auf den
Bürgersteigen der Stadt auch protokolliert.
Seit 2019 lädt die inzwischen von nahezu 10.000 Followerinnen gefolgte
Instagramgruppe @catcallsofberlin Betroffene dazu ein, ihre diesbezüglichen
Erlebnisse mit bunten Kreidestiften zu dokumentieren. Es ist erschütternd,
was die Opfer, bereits mit 12 und 13 Jahren beginnend, so alles schildern.
Das Ankreiden ist eine Art Katharsis und gleichzeitig eine Kampfansage an
die ebenfalls im Cyberspace wütenden Catcaller, oft von der Gattung
Inceligentsia. Denn die farbigen, unzensierten Botschaften der Betroffenen
werden gewissermaßen für die Nachwelt abfotografiert, damit sie weder vom
Regen noch von den wild pinkelnden Paschas des Patriarchats weggespült
werden können.
2 Jun 2022
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## AUTOREN
Michaela Dudley
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