# taz.de -- Urteil zur Schuldenbremse: Keine Katastrophe | |
> Ja, es ist lästig und nervig. Jede Partei der Ampel muss ihrer Klientel | |
> gewisse Opfer zumuten. Dennoch: die Einsparungen sind zu stemmen. | |
Bild: Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) | |
Schwamm drüber“ ist eine hilfreiche Devise. Schwarze Folie hilft auch. | |
Damit hat das Bundesfinanzministerium gerade ein riesiges Plakat an seiner | |
Fassade verdecken lassen. „Mit Geld und Verstand. Schulden bremsen, Chancen | |
schaffen. Unser Bundeshaushalt“, war dort vorher zu lesen. Leider gähnt im | |
Haushalt jetzt ein tiefes Loch, weil das Bundesverfassungsgericht | |
mindestens 60 Milliarden Euro annulliert hat. Der Spruch passte nicht mehr. | |
Schwamm drüber, dachte auch Peer Steinbrück, der ehemalige | |
SPD-Bundesfinanzminister. 2009 trug er maßgeblich dazu bei, die | |
Schuldenbremse ins Grundgesetz zu schreiben. Nun sagte er, dieser | |
Verfassungsgrundsatz sei nicht mehr „zeitgemäß“. Nur 14 Jahre, ein | |
Verfassungsartikel ist ja nicht für die Ewigkeit. | |
Beides sind Reaktionen auf das Urteil des obersten Gerichts vom 15. | |
November. Es lautet: In früheren Jahren beschlossene Staatsschulden können | |
nicht einfach für aktuelle und künftige Ausgaben verwendet werden – [1][die | |
Ampelregierung aus SPD, Grünen und FDP] habe also gegen die Schuldenbremse | |
verstoßen. Damit fehlen der Koalition in diesem Jahr wohl 40 Milliarden | |
Euro, in den kommenden Jahren weitere 60 Milliarden Euro. Die Regierung | |
muss nun ihren Bundeshaushalt 2023 noch mal aufschnüren und kann den Etat | |
für 2024 vorläufig nicht beschließen. | |
## Gar nicht so gigantisch | |
Eine elegante, große Lösung für dieses Problem, das eine mittlere | |
Regierungskrise ausgelöst hat, existiert nicht. Ein Weg bestünde zwar | |
darin, [2][die Schuldenbremse grundsätzlich zu lockern]. Dafür plädieren | |
etwa ÖkonomInnen. Doch das erforderte eine verfassungsändernde | |
Zweidrittelmehrheit im Bundestag, der sich FDP und Union verweigern. Diese | |
Parteien lehnen auch Steuererhöhungen ab. | |
Trotzdem herrscht jetzt keine Katastrophe. Die fehlenden Summen sehen zwar | |
riesig aus, bei genauerer Betrachtung sind sie dann aber doch nicht so | |
gigantisch. Für 2023 wird die Koalition die Schuldenbremse noch mal | |
aussetzen und sich die fehlenden 40 Milliarden Euro leihen, wofür sie keine | |
Zweidrittelmehrheit braucht. | |
Und von den 60 Milliarden für die nächsten Jahre, die das | |
Verfassungsgericht blockiert hat, sind im Klimafonds des Bundeshaushalts | |
2024 bisher nur etwa 18 Milliarden Euro vorgesehen. Zum Vergleich: Der | |
Bundesetat soll nächstes Jahr ein Volumen von 476 Milliarden Euro umfassen. | |
So kann man entsprechende Einsparungen oder Umschichtungen im | |
Bundeshaushalt als normale Regierungsarbeit betrachten. Wenn sich die | |
Regierungsparteien darauf einigen, läuft es auf ein Potpourri verschiedener | |
Maßnahmen hinaus. | |
Da wären zunächst die sogenannten Haushaltsreste – das ist eigentlich | |
verplantes Geld, das 2023 jedoch nicht ausgegeben wurde und deshalb für | |
2024 zur Verfügung steht. In jedem Bundeshaushalt bleiben am Jahresende | |
einige Milliarden Euro übrig. | |
Zweitens könnte die Ampel die eine oder andere Steuervergünstigung | |
abschmelzen, etwa die heute niedrigen Abgaben für Dieseltreibstoff und | |
Dienstwagen anheben. Das brächte ein paar Milliarden Euro Mehreinnahmen. | |
Drittens kämen kleinere [3][Einsparungen im Sozialbudget] in Frage, dem | |
größten Einzeletat der Regierung. Und schließlich könnte | |
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) seine Ausgaben für Klimapolitik | |
und Industrieansiedlung etwas strecken. Sicherlich ließe sich eine gewisse | |
Summe von 2024 nach 2025 und 2026 verschieben, ohne dass die geplanten | |
Projekte sterben. | |
So etwas ist lästig und nervig. Jede Partei der Ampel muss ihrer Klientel | |
dann gewisse Opfer zumuten. Dennoch erscheint es realistisch. Es handelt | |
sich um Haushaltspolitik unter verschärften Umständen. Wobei das Loch im | |
Klimafonds 2025 absehbar größer ausfällt als 2024. Da müsste sich die Ampel | |
noch mal zusammenraufen. Danach hätte sie die schlimmsten Folgen des | |
Urteils jedoch bewältigt. Die vom Bundesverfassungsgericht annullierte | |
60-Milliarden-Euro-Rücklage wäre dann sowieso mehr oder weniger aufgebracht | |
gewesen, und für die Klimapolitik stehen nur noch die eigenen, aber | |
steigenden Einnahmen des Klimafonds zur Verfügung. | |
Ja, das Urteil des obersten Gerichts ist schwierig. Wenn es auch keine | |
Katastrophe auslöst, werden seine Folgen dennoch zu spüren sein. Weil der | |
staatliche Investitionsanschub später kommt, mag es die Transformation der | |
hiesigen Wirtschaft zur Klimaneutralität etwas verzögern. Stattfinden wird | |
sie trotzdem. Für den eigentlich geplanten sozialen Ausgleich, das | |
Klimageld für die Privathaushalte, sind aus heutiger Sicht dann allerdings | |
keine Mittel vorhanden. So könnte die Klimapolitik die sozialen Spannungen | |
erhöhen – das ist der Preis. | |
26 Nov 2023 | |
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## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
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