# taz.de -- Unicef-Sprecher über Gaza: „Ohne Ende Horrorgeschichten“ | |
> James Elder von Unicef war jüngst in Gaza. Das Leid der Kinder dort habe | |
> er „in 20 Jahren noch nicht gesehen“ – und hat klare Forderungen. | |
Bild: „Ich stehe auf der Seite der Kinder“: vertriebene Palästinenser in e… | |
taz: Herr Elder, Sie sind vergangene Woche aus dem Gazastreifen | |
zurückgekehrt. Sie haben von der Lage vor Ort berichtet, fast wie ein | |
Reporter: live aus Krankenhäusern oder nach Luft schnappend mitten im | |
israelischen Bombardement. Was war der Sinn Ihres Besuchs? | |
James Elder: Als Sprecher von Unicef ging es darum, die Geschichten von | |
Frauen, Kindern und humanitären Helfern zu erzählen. Meine Rolle war es, | |
ein Sprachrohr zu sein für die Kinder, die keine Stimme haben und zumindest | |
einige der schrecklichen Ereignisse vor Ort einzufangen. Außerdem war es | |
mein Ziel, Klarheit in die Situation zu bringen, denn einige der Narrative | |
aktuell sind sehr schwierig. | |
Zum Beispiel? | |
Das Narrativ der Sicherheitszonen. Rechtlich ist eine Sicherheitszone nicht | |
nur ein Ort, der nicht bombardiert wird, sondern wo die Zivilbevölkerung | |
auch Zugang zu Lebensmitteln, Wasser und Medizin hat. In den | |
Sicherheitszonen in Gaza fehlt dies alles. Die Menschen [1][werden | |
aufgerufen, in Straßenzüge oder Nachbarschaften zu fliehen, in halbfertige | |
Gebäude oder auf leeres Land], ohne Zugang zu Wasser oder Sanitäranlagen. | |
Israel hat mehrere Gebiete zu Sicherheitszonen erklärt, die größte davon | |
ist al-Mawasi, ein Gebiet an der Küste. Wie sieht es da aus? | |
Al-Mawasi ist 14 Quadratkilometer groß, vier Prozent des Gazastreifens, und | |
sollte ursprünglich sogar die einzige Sicherheitszone sein. Doch im | |
Gazastreifen wurden 1,8 Millionen Menschen vertrieben. Die anderen | |
Sicherheitszonen sind noch kleiner. Innerhalb von Stunden füllen sie sich | |
mit Tausenden von Menschen, die oftmals schon drei- oder viermal den Ort | |
gewechselt haben mit dem wenigen, was sie tragen können. Mädchen müssen | |
teilweise fünf Stunden anstehen, um eine Toilette zu benutzen. Die meisten | |
Sicherheitszonen haben gar keine Sanitäranlagen. Wir haben daher die große | |
Sorge, dass sich Krankheiten wie Cholera oder Typhus ausbreiten. Die | |
Bedingungen dafür sind da: keine Sanitäranlagen, wenig Wasser, Regen und | |
Kälte. | |
Sicher vor Beschuss sind die Sicherheitszonen aber? | |
Es ist das Mindeste, dass Sicherheitszonen nicht bombardiert werden. Im | |
Norden allerdings hat es laut Berichten Gebiete gegeben, die, nachdem sie | |
zur Sicherheitszone erklärt wurden, unter Beschuss gerieten. Kriegsparteien | |
müssen alle machbaren Vorkehrungen treffen, um die Zivilbevölkerung zu | |
schützen. Es ist irreführend, die Leute aufzufordern, sich in die | |
Sicherheitszonen zu bewegen. Nichts an ihnen ist sicher. | |
Ihre Videos und Audios aus Gaza wurden viel geteilt, was auch daran liegt, | |
dass Sie sehr offen, vielleicht auch undiplomatisch sind. Sie sprachen etwa | |
von „Angriffen auf Mütter und Kinder“, einem „Krieg gegen Kinder“ oder | |
einem „Blutbad“, was vor allem von propalästinensischen Medien wie Al | |
Jazeera aufgegriffen wurde. Müssen Sie sich als UN-Mitarbeiter nicht | |
neutraler ausdrücken? | |
Mehr als 6.000 Kinder wurden laut den Behörden getötet. Das sind über 40 | |
Prozent der Toten, prozentual mehr als in irgendeinem anderen Krieg. Wenn | |
Ihre Frage darauf abzielt, auf wessen Seite ich stehe, dann ist meine | |
Antwort: Ich stehe auf der Seite der Kinder. Wir haben seit dem | |
grauenhaften Angriff vom 7. Oktober auch immer wieder die Freilassung der | |
israelischen Kinder in Gaza gefordert. Die Qual, die die Eltern | |
durchmachen, ist unvorstellbar, wissend, dass ihre Kinder von Bewaffneten | |
festgehalten werden. Angesichts der hohen Zahl getöteter und schwer | |
verletzter Kinder in Gaza entsprechen die Deutlichkeit und Dramatik meiner | |
Statements leider dem, was vor Ort passiert. | |
Sie waren in Afghanistan, in der Ukraine, in Somalia. Ist das Leid, dass | |
Sie in Gaza gesehen haben, wirklich etwas anderes? | |
Vergleiche sind schwierig. Für mich persönlich sticht die schiere Dichte | |
und Intensität von verletzten und getöteten Kindern heraus. Das habe ich in | |
zwanzig Jahren noch nicht gesehen. In den Krankenhäusern brauchte ich mich | |
nur umzudrehen, um ein weiteres Kind mit Kriegsverletzungen zu sehen. In | |
den Notunterkünften hörte ich ohne Ende Horrorgeschichten: Meine Frau wurde | |
getötet, meine beiden Töchter sind tot, ich habe mein Zuhause verloren, | |
meinen Lebensunterhalt, ich kann mein Kind nicht mehr versorgen. In den | |
Krankenhäusern sagte mir das Personal in einem Fall: Denken Sie daran, wenn | |
Sie mit dem Kind sprechen, dass es noch gar nicht weiß, dass seine Eltern | |
tot sind. Wir sprechen nicht ohne Grund von einem „Krieg gegen Kinder“. | |
Sie sind recht still, was die andere Seite angeht: [2][die Hamas] und ihre | |
Kriegsführung. Warum? Was haben Sie vor Ort gesehen, nutzt die Hamas | |
gezielt zivile Infrastruktur? | |
Das habe ich nicht gesehen. Wenn Orte genutzt werden, um sich hinter | |
Zivilisten zu verstecken, ist das ein klarer Bruch des Völkerrechts, | |
genauso wie die Gräueltaten vom 7. Oktober. Aber wir versuchen, auf die | |
Rechte von Kindern aufmerksam zu machen in einem Krieg mit der | |
unverhältnismäßigsten Tötung von Kindern in der Gegenwart. Je länger dieser | |
Krieg anhält, desto weiter entfernen wir uns von einem Frieden, der den | |
Kindern in Israel, im Gazastreifen und im Westjordanland Sicherheit bringt. | |
Was konkret fordern Sie in der aktuellen Situation? | |
Einen Waffenstillstand. | |
Und solange es keinen gibt? | |
… müssen wir damit leben, dass die Menschen an Seuchen und aufgrund von | |
Flüssigkeitsmangel sterben. Im Gazastreifen gibt es nicht genug Hilfe und | |
die Verteilung im Kriegsgebiet ist extrem schwierig. Wir brauchen Wasser, | |
Essen, Unterkünfte und Sanitäranlagen, um Seuchen zu stoppen. Wie schafft | |
man das? Mit einem Waffenstillstand. | |
12 Dec 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Israels-Offensive-in-Gaza/!5978237 | |
[2] /Nahostforscher-zur-Hamas-im-Libanon/!5978642 | |
## AUTOREN | |
Jannis Hagmann | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Unicef | |
Gazastreifen | |
Gaza-Krieg | |
Gaza | |
Kinder | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
wochentaz | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Humanitäre Lage im Gazastreifen: Es mangelt an allem | |
Laut UN haben neun von zehn Menschen in Gaza nicht genug zum Essen. | |
Eindrücke aus Chan Yunis, wo fehlende Nahrung nur ein Problem von vielen | |
ist. | |
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++: Berlin verteidigt Enthaltung | |
Die Waffenstillstandsresolution der UN stoppe die Raketen auf Israel nicht, | |
kritisiert die Bundesregierung. Kanzler Scholz wirbt für aktive EU-Rolle | |
nach dem Krieg. | |
Palästinensischer Botschafter zu Gaza: „Die Welt schaut zu“ | |
Der palästinensische Botschafter in Berlin, Laith Arafeh, wirft Israel in | |
Gaza einen Genozid vor. Einer Verurteilung des Hamas-Terrors weicht er aus. | |
Krieg in Nahost: Empörung über Entkleidete aus Gaza | |
Ob die umstrittenen Aufnahmen Hamas-Kämpfer zeigen, ist unklar. Israels | |
Armee rückt derweil weiter auf die zweitgrößte Stadt Chan Junis vor. | |
Israel als Symbol des Bösen: Das projizierte Feindbild | |
Eine Weltsicht, die die Menschheit in Unterdrücker und Unterdrückte | |
einteilt, bietet keinen Platz für distanzierte Betrachtung. Ein Blick in | |
die USA. |