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# taz.de -- US-Historiker über Putins Atomdrohungen: Wie man Perversion liest
> Die Atompropaganda des Kreml verfolgt ein bestimmtes Ziel. Gleichzeitig
> erteilt sie über die Ukraine hinaus eine Lektion – Atomwaffen betreffend.
Bild: TV-Ansprache am 24.02, das Foto wurde von der russischen Staatsagentur Ta…
Die Ukrainer kämpfen für die Verteidigung ihres Landes. Jeder Tag, an dem
sie sich der russischen Invasion widersetzen, gibt dem Rest von uns Zeit:
etwas zu tun, um zu helfen, unsere eigenen Werte neu zu bewerten oder zu
bekräftigen, über die Zukunft nachzudenken und zu überlegen, wie es dazu
kommen konnte.
Am 24. Februar hielt Wladimir Putin eine Rede, die eine von ihm bereits
befohlene Invasion rechtfertigen sollte. Neben vielem anderen Unsinn
behauptete er, die Ukraine sei im Begriff, sich Atomwaffen zu beschaffen.
Dieses Argument wiederholte Russlands Außenminister in Genf.
Nicht nur, dass es für diese Behauptung keine Grundlage gibt. Sie ist
widersprüchlich und abwegig.
Die Ukraine hat keine Atomwaffen und auch kein Atomwaffenprogramm. Die
Ukraine hat mehr für die Nichtverbreitung von Nuklearwaffen getan als jedes
andere Land. Anfang der 1990er Jahre verfügte die Ukraine über das
drittgrößte Atomwaffenarsenal der Welt, ein Erbe der Sowjetunion. Im
Gegenzug für Sicherheitsgarantien des Vereinigten Königreichs, der
Vereinigten Staaten und der Russischen Föderation erklärte sich das Land
1994 bereit, vollständig abzurüsten. Als die nukleare Abrüstung 1996
abgeschlossen war, wurden als Zeichen des Friedens Sonnenblumen um die
leeren ukrainischen Silos gepflanzt.
## Die Lektion Russlands
Man muss innehalten und tief Luft holen, bevor man die Widersprüche und
Perversionen der Argumentation des Kreml über Atomwaffen zum Ausdruck
bringt, denn sie sind so tief und so zahlreich. Mit dem Einmarsch in die
Ukraine im Jahr 2014 und auch jetzt wieder hat Russland mehr für die
Verbreitung von Kernwaffen getan als jedes andere Land der Welt. Es hat die
Lektion erteilt, dass Länder ein Atomwaffenarsenal behalten oder aufbauen
sollten, um große aggressive Nachbarn davon abzuhalten, in sie einzufallen.
Es ist nicht nur so, dass Russland sein Versprechen gebrochen hat, die
Ukraine zu verteidigen, das 1994 im sogenannten Budapester Memorandum
festgeschrieben wurde. Es wirft dem Land, das die Atomwaffen aufgegeben
hat, vor, sie zu erwerben, während es selbst über das größte
Atomwaffenarsenal der Welt verfügt. Und während Russland dies tut, schwingt
Putin seine eigenen Atomwaffen in einer höchst unverantwortlichen Weise,
indem er andeutet, dass ihr Einsatz in einem sinnlosen Krieg, den Russland
ohne Provokation begonnen hat, akzeptabel wäre.
Wie die russische Propaganda im Allgemeinen soll auch das Thema Atomwaffen
schockieren und verwirren, um eine psychologische Öffnung zu schaffen. Wir
sollen dem Thema innewohnenden Druck nachgeben, uns einbilden, dass an den
Aussagen des Kremls irgendetwas vertretbar sein muss, und ein Zugeständnis
machen, das der russischen Führung passt. Wir werden eingeladen, uns am
Generieren von Unsinn zu beteiligen. Wenn wir widersprüchliche und abwegige
Argumente wiederholen, binden wir einen Teil unseres Verstands an sie und
beginnen, selbst weniger vernünftig zu werden.
## Es ist Unsinn
Nichts von dem, was der Kreml über die russischen Kriegsziele gesagt hat,
macht wirklich Sinn. Es ist Unsinn. Doch der Krieg in der Ukraine ist nur
allzu real. Aber der russische Krieg wird auch in der Unwirklichkeit und
für die Unwirklichkeit geführt, um seinen Einfluss auf unsere Köpfe so weit
wie möglich auszudehnen. Wenn sich die Unwirklichkeit ausbreitet, wird die
Wirklichkeit mörderischer.
Das unsinnige Gerede über Atomwaffen ist ein Beispiel dafür. Und das
Erzeugen von Unsinn ist ein wesentliches Element der russischen
Kriegsführung. Als solches erfordert es Analyse und Widerstand.
Aus dem Englischen von Tania Martini, im englischen Original veröffentlicht
auf [1][snyder.substack.com]
12 Mar 2022
## LINKS
[1] https://snyder.substack.com
## AUTOREN
Timothy Snyder
## TAGS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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Atomwaffen
Wladimir Putin
Ukraine
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Holocaust
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