# taz.de -- UN-Geberkonferenz für Afghanistan: Größter Hilfsappell aller Zei… | |
> Die UN wollen 4,4 Milliarden für die humanitäre Krise sammeln. Die | |
> Geberländer haben durch ihre Blockade den Hunger im Land aber | |
> mitzuverantworten. | |
Bild: Frauen warten auf die Auszahlung von Geldern, die das World Food Programm… | |
Die Vereinten Nationen haben am Dienstag ihren größten jemals gestarteten | |
Hilfsappell für ein einzelnes Land lanciert. Für Afghanistan werden nach | |
Angaben der Organisation mehr als 4,4 Milliarden Euro benötigt. Damit | |
sollen die 22 Millionen Afghan:innen unterstützt werden, [1][die bereits | |
jetzt ohne humanitäre Hilfe nicht überleben können.] Ihre Zahl ist | |
gegenüber dem Vorjahr um ein Drittel gestiegen. | |
Martin Griffiths, UN-Koordinator für Krisenhilfe, und | |
UN-Flüchtlingskommissar Filippo Grandi sprachen auf der gemeinsamen | |
Pressekonferenz von „einer der weltweit am schnellsten wachsenden | |
humanitären Krisen“. Laut UN leiden bereits jetzt 4,7 Millionen Menschen, | |
davon 3,9 Millionen Kinder, an „schwerer Unterernährung“. Immerhin haben | |
sich den UN zufolge mit Ende des Krieges die Sicherheitslage verbessert, | |
wodurch sich der Zugang zu den Hilfsbedürftigen verbessert. | |
In Afghanistan wurden 2021 mit dem Krieg, der im Sommer in dem Kampf um | |
Kabul und die 33 anderen Provinzhauptstädte kulminierte, 690.000 Menschen | |
innerhalb des Landes vertrieben. Die Zahl der durch den Krieg | |
binnenvertriebenen Afghan:innen wuchs damit auf insgesamt 3,5 Millionen. | |
Neben dieser Gruppe sollen die Gelder auch afghanischen Geflüchteten und | |
1,7 Millionen Menschen in den beiden Hauptaufnahmeländern Pakistan und Iran | |
sowie in Tadschikistan, Usbekistan und Turkmenistan zugute kommen. | |
Insgesamt leben dort laut UN 6,2 Millionen afghanische Flüchtlinge. Die UN | |
wollen für ihre Hilfen mit 24 Nichtregierungsorganisationen (NRO) aus aller | |
Welt kooperieren. | |
Allerdings handelt es sich in Afghanistan nicht nur um eine Hunger- und | |
Flüchtlingskrise. „Millionen Kinder gehen nicht zur Schule, die | |
fundamentalen Rechte von Frauen und Mädchen werden angegriffen, Bauern und | |
Viehhalter kämpfen mit der schlimmsten Dürre seit Jahrzehnten, und die | |
Wirtschaft befindet sich in freiem Fall“, so Grandi und Griffiths. Trotz | |
des Endes des Kriegs zeige die humanitäre Lage „keine Anzeichen von | |
Verbesserung“. „Wo immer wir hingehen, finden wir Tausende mehr Menschen, | |
die Hilfe brauchen“, sagte [2][Babar Baloch, ein UN-Sprecher in Genf, der | |
Washington Post]. „Sie haben ihre Jobs verloren und keine Ersparnisse, und | |
ihre Überlebenssysteme kollabieren.“ | |
Dafür sind die Geberstaaten verantwortlich, die nach ihrem Scheitern und | |
Rückzug aus Afghanistan eine Finanzblockade gegen das Talibanregime | |
verhängten. Afghanische Geldreserven im Ausland wurden blockiert, Gehälter | |
von Lehrer:innen und Gesundheitspersonal konnten nicht mehr bezahlt | |
werden. Internationale Banken überwiesen aus Furcht vor US-Strafen auch | |
Gelder nichtstaatlicher Hilfsorganisationen nicht mehr nach Afghanistan, | |
was reihenweise Projekte zum Stillstand brachte. Jan Egeland, Chef des | |
Norwegischen Flüchtlingsrats, twitterte gestern deshalb, der UN-Appell | |
werde „bedeutungslos bleiben, wenn die Außenwelt und die Taliban nicht | |
rapide sicherstellen, dass Bargeld ins Land kommt“. | |
## Hilfe kommt nicht durch | |
Mit dem Appell versuchen die Geberländer über die UN nun, ihr eigenes | |
Embargo zu umgehen, das nicht in erster Linie die Taliban, sondern die | |
Bevölkerung traf. Bereits im Dezember beschloss der UN-Sicherheitsrat | |
einstimmig, dass Gelder für humanitäre Zwecke wieder nach Afghanistan | |
überwiesen werden dürfen, vorausgesetzt, die kommen nicht direkt den | |
Taliban zugute. | |
Die Taliban stimmten zu, dass Hilfsgelder nicht über Regierungskanäle | |
laufen. So sollten auch bereits die Gehaltskosten für das bisher über die | |
Weltbank finanzierte staatliche afghanische Gesundheitssystem bezahlt | |
werden. Zuvor mussten sich selbst UN-Organisationen umständlich beim | |
US-Finanzministerium um Ausnahmegenehmigungen bemühen. Kleinere | |
Hilfsgruppen waren damit hoffnungslos überfordert. | |
Sowohl NROs als auch deutsche Hilfegruppen berichteten, dass in den | |
vergangenen Tagen Überweisungen wieder nicht durchkamen. Betroffene in | |
Afghanistan berichteten der taz von höchstens sporadischen, aber keineswegs | |
landesweiten Gehaltszahlungen. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz | |
(IKRK) warnte am Freitag, 90 Prozent aller afghanischen Kliniken stünden | |
wegen des US-initiierten Embargos vor dem Kollaps. Immerhin bestätigte eine | |
afghanische Privatbank am Montag das Eintreffen eines | |
32-Millionen-Dollar-Pakets an Hilfsgeldern. | |
[3][In den letzten Wochen hatten die Taliban mehrmals Proteste, darunter | |
von Frauen, zugelassen,] wenn diese auch die Forderung nach Freigabe der | |
eingefrorenen Gelder artikulierten. In Kabul gab es aber auch am Dienstag | |
wieder Taliban-kritische Straßenproteste mit Forderungen nach Arbeit und | |
Frauenrechten. Zudem tauchten an Mauern Inschriften mit ähnlichen | |
Forderungen auf. | |
IKRK-Direktor Robert Mardini forderte die Staatengemeinschaft auf, zur | |
Überwindung der Krise mit den Taliban zu verhandeln. „Keine humanitäre | |
Organisation kann die Wirtschaft eines Landes ersetzen“, sagte er. Auch | |
nicht die UN. | |
12 Jan 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Hilfe-fuer-Menschen-in-Afghanistan/!5824213 | |
[2] https://www.washingtonpost.com/world/2022/01/08/afghanistan-winter-crisis/ | |
[3] /Frauen-aus-Afghanistan-berichten/!5799900 | |
## AUTOREN | |
Thomas Ruttig | |
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