# taz.de -- Twittern über Vögel: „‚Didü‘ ist ein Stimmfühlungslaut“ | |
> Der Journalist Günter Hack twittert über seine Balkonvögel, vom | |
> Psychospatz bis Madame Amsel. Warum macht er das? | |
Bild: Die meisten Vögel können körperliche Nähe nicht so ab. Intimität und… | |
taz am wochenende: Herr Hack, Sie sind Journalist, Schriftsteller, waren | |
mal Blogger und informieren Ihre Twitter-Follower seit Jahren über die | |
Machenschaften, Essgewohnheiten und Lautmalereien Ihres „Hausamslerich“, | |
der „Madame Amsel“, vom „Blaumeisli“, dem „Psychospatz“ und manchma… | |
von Überraschungsgästen wie der „Wacholderdrossel“ vor Ihrem Fenster. | |
Ziemlich oft, manchmal mehrmals am Tag, twittern Sie „didü“. Was wollen Sie | |
damit sagen? | |
Günter Hack: Das ist ein Stimmfühlungslaut. Die meisten Vögel können | |
körperliche Nähe nicht so ab. Intimität und Nähe stellen die akustisch her. | |
Wenn ich „didü“ poste, wissen meine Freunde, dass es mir gut geht. So wie | |
wenn der Vater vorm Fernseher sitzt und vor sich hinbrummt. Das | |
Aktualisieren der Kommunikationswege, ohne dass es explizit werden muss, | |
das macht ja Intimität aus. | |
Warum füttern Sie die Vögel auf Ihrem Balkon? | |
Wenn ich dem Vogel was zu fressen geben kann, weiß ich, dass ich selbst so | |
viel habe, dass ich was abgeben kann. Das beruhigt. Das ist so ein | |
Bauernding: Man ist zufrieden, wenn das Federvieh happy ist. | |
„Einsamkeit ist ein Zustand ohne Meise“ lautete der Titel einer Kolumne, | |
die Sie mal in einer Vögel-Reihe für die Zeitschrift Merkur verfasst haben. | |
Warum haben Sie Meisen? | |
Ich halte mir ja keine. Das sind einfach meine Nachbarn. Wenn man denen | |
eine angenehme Umgebung schafft, Rosinen und Körner hinlegt und frisches | |
Wasser zum Baden, kommen sie immer wieder. Außerdem braucht man kein | |
Netflix, wenn man Birdflix hat. Es ist immer was los. | |
Woran erkennen Sie, dass da immer wieder dieselben Vögel zu Ihnen fliegen? | |
Speziell in der Stadt gibt es nicht so viele Vögel. Man kennt sich nach | |
einer Weile. Und die Amseln siedeln auch meistens da, wo man selbst ist. | |
Mit denen kann man sich besonders gut anfreunden. Die sind sehr neugierig | |
und lassen einen beobachten, wie sie ihre Jungen großziehen, wie sie sich | |
streiten. An denen kann man ein bisschen sehen, wie man als Mensch | |
funktioniert. | |
Würden Sie auch zu dem Menschen zurückkehren, der Ihnen Rosinen hinlegt? | |
So funktioniert Kapitalismus: Man muss jeden Tag zur Arbeit gehen. Ich | |
denke aber, dass der Hausamslerich kein größeres Entfremdungsproblem hat, | |
wenn er meine Rosine nimmt. Er mag ja lieber Würmer und nimmt die Rosine | |
nur, wenn er grad nichts anderes findet. | |
Und warum kriegt er von Ihnen keine Würmer? | |
Weil er die selber findet. | |
Warum überhaupt Rosinen? | |
Weil Amseln Wein mögen. | |
Warum füttern Sie Vögel? | |
Es ist Anthropomorphismus, zu glauben, man darf die Vögel nicht füttern, | |
weil die sonst verlernen zu jagen. Das sind wilde Tiere, speziell für die | |
Blaumeise ist es eine richtige Überwindung, auf den Balkon zu kommen. Aber | |
sie macht es, wenn sie wegen ihrer Kinder arg im Stress ist. Dann nimmt sie | |
die Körner und das Vollbad dankbar an. Und man kann den Kollegen doch mit | |
ein paar Körnern ein bisschen unter die Arme greifen, wenn wir denen schon | |
die Umwelt versauen. | |
Merken die Amseln das? | |
Vögel sind eine Indikatorspezies. Bienenfresser beispielsweise waren | |
hierzulande eigentlich ausgestorben und erobern sich aber gerade aufgrund | |
der Klimaerhitzung den Norden zurück. Man kann an den Verhaltensmustern von | |
Vögeln definitiv Umweltveränderungen ablesen. Denken Sie nur an den | |
berühmte Kanarienvogel in den Kohleminen, den die Bergleute dabei hatten. | |
Wenn Grubengas austrat, fiel der Vogel um und die Arbeiter wussten, sie | |
müssen schnell raus. Vögel zu beobachten, sensibilisiert für die Umwelt, | |
ohne dass man zum Birder werden muss. | |
Sind Sie ein Birder? | |
Um Himmels willen, nein und auch kein Twitcher. Ich beobachte ja nur ganz | |
normale Vögel, die an meiner Wohnung vorbeifliegen oder sich in der Stadt | |
aufhalten, in der ich sowieso grade bin. Diese Leute, die alle ins Auto | |
springen, wenn irgendwo jemand einen seltenen Vogel gesehen und auf | |
Facebook gemeldet hat und plötzlich stehen da 150 Typen irgendwo in der | |
Landschaft mit Fernglas – mit denen hab ich nichts zu tun. | |
15 Aug 2021 | |
## AUTOREN | |
Doris Akrap | |
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