# taz.de -- Tuaregrock aus Mali: Musizierende Soldaten | |
> Hinter der Band Tinariwen liegt ein langer Weg: Exil, Krieg, Verlust. | |
> Ihre Entbehrungen in der Diaspora verarbeitet sie zu hypnotischer Musik. | |
Bild: Man erkennt sie am Turban: die Band Tinariwen aus Mali. | |
Das Land, von dem ihre Songs handeln, ist von einer kargen Schönheit. Die | |
Mitglieder der Band Tinariwen sind die bekanntesten Vertreter des | |
Nomadenvolks der Tuareg, das zwischen Mali, Niger, Libyen und Algerien seit | |
Jahrhunderten umherzieht und etwas mehr als eine Million Menschen umfasst. | |
Keith Richards oder Thom Yorke gehören zu den erklärten Fans von Tinariwen, | |
mehrfach tourte die Band durch die Welt. | |
All der Erfolg konnte die Musiker aber nicht davor bewahren, mehrmals ihre | |
Heimat – die Gebirgsregion Kidal im Norden Malis – verlassen zu müssen. Das | |
Trauma beginnt 1963. Die Tuareg erheben sich gegen den drei Jahre zuvor | |
unabhängig gewordenen Staat Mali. Die Rebellion findet ein jähes Ende. Der | |
damals vierjährige Ibrahim Ag Alhabib muss die Hinrichtung seines Vaters | |
mitansehen. Die Zeit des ersten Exils beginnt. In Algerien lernt Ag Alhabib | |
Ende der siebziger Jahre Alhassane Ag Touham und die Brüder Liya und | |
Itedeyen Ag Ablil kennen. Sie beginnen Musik zu machen, Ag Alhabib spielt | |
Gitarre. | |
Assouf nennen die Tuareg ihren Wüstenblues. Die vier Musiker lassen sich | |
aber auch von algerischem Folk und Pop inspirieren sowie von US-Rock. Ihre | |
Texte verfassen sie auf Tamaschek. Als der libysche Machthaber Muammar | |
al-Gaddafi eine Tuaregarmeeeinheit aufbaut, lassen sich die Musiker | |
verpflichten, wie viele andere Tuaregs. | |
Ab 1983 treten Tinariwen – auf Deutsch bedeutet der Name Wüste – als Band | |
in Erscheinung. Sie sind zunächst musizierende Soldaten, die Gitarre auf | |
dem Rücken, das Gewehr vor der Brust. 1989 kehren sie nach Mali zurück, nur | |
um ein Jahr später am nächsten Tuaregaufstand teilzunehmen. Er endet mit | |
einem Friedensvertrag und wird zur Zäsur in der Bandgeschichte: Erstmals | |
können Tinariwen dauerhaft als Band in Kidal existieren, sie legen die | |
Waffen nieder. | |
## Die Gründerväter des Tuaregrock | |
Abdallah Ag Alhousseyni stößt zur Band. Er ist mit Ibrahim Ag Alhabib, Liya | |
Ag Ablil, und Alhassane Ag Touhami auf dem Cover der Kassette „Ténéré“ | |
abgebildet, die Tinariwen 1993 in der Elfenbeinküste aufnehmen – damals | |
noch ohne Turban, den heute alle Tinariwen-Mitglieder tragen, mit Ausnahme | |
von Ag Alhabibs. Synthie-Beats verraten zwar den Einfluss von Hausa Pop, | |
später in den Neunzigern entwickeln sich Tinariwen aber zu den | |
Gründervätern des Tuaregrock – auch Künstler wie Tamikrest, Omara „Bombi… | |
Moctar oder Mdou Moctar werden dank ihrer Vorarbeit zum Genre gezählt. | |
Tinariwen selbst verleiben sich diese neue Generation durch eine | |
Erweiterung der Band ein. 1998 werden Kontakte nach Frankreich geknüpft, | |
2001 gründet man in Mali das Tuaregmusikfest Festival au Désert. Und mit | |
„The Radio Tisdas Sessions“ veröffentlichen Tinariwen auf Wayward Records | |
das erste von mittlerweile sechs Alben für den westlichen Markt. | |
Ihre Musik wogt hin und her, verdichtet sich zwischen den trabenden | |
Gitarrenriffs. Immer wieder heben die Musiker zum Chorgesang an, das | |
melancholische Timbre von Ibrahim Ag Alhabib trägt die Hörer durch die | |
Nacht. Ag Alhabib ist bei den Auftritten der Band zuletzt allerdings in den | |
Hintergrund getreten: Entbehrungen und das schmerzlindernde Rauchen | |
diverser Substanzen haben dem Endfünfziger zugesetzt. | |
## Erst kämpferisch, dann nachdenklich | |
Ihre politische Situation thematisiert die Band am explizitesten auf dem | |
Album „Aman Iman: Water Is Life“ (2006). „Soixante Trois“ reflektiert d… | |
tragische Ende des Aufstands von 1963, „Ahimana“ die Zerrissenheit im | |
libyschen Exil. Auf dem Album befindet sich jener „Soundtrack der | |
Rebellion“, mit dem Tinariwen für den westlichen Markt inszeniert werden: | |
„Wenn der Tag anbricht, ergreift eure Waffen und erklimmt die Hügel / Wir | |
töten unsere Feinde und werden wie die Adler / Wir werden alle befreien, | |
die in der Ebene leben.“ Alhassane Ag Touhami hat diesen Song namens | |
„Tamatant Tilay“ bereits 1983 geschrieben. | |
Auf dem Album „Imidiwan: Companions“ (2009) schlägt Ibrahim Ag Alhabib | |
dagegen nachdenklichere Töne an: „Ist die Revolution wie die Bäume, deren | |
Zweige wachsen, wenn man sie wässert?…/ Meine Brüder leben von Geburt an in | |
Unterdrückung / Sie werden die Bäume nicht wässern können“, heißt es in … | |
Song „Imidiwan Afrik Temdam“. | |
Etwas überraschend erhalten Tinariwen dann 2012 den World-Music-Grammy in | |
der Kategorie „Bestes Album“ für ihr musikalisch aufregendes, textlich | |
bislang aber allgemeinstes Werk „Tassili“. Ob die Musiker zu jener Zeit das | |
Gewehr nur hinter den Rücken geschnallt hatten, bleibt unklar. Noch vor | |
drei Jahren sagt Abdallah Ag Alhousseyni in der Zeitung Algérie News: „Wir | |
sind militärische Künstler! Wenn wir heute sehen, dass unsere Brüder eher | |
Waffen statt Musik brauchen, werden wir an die Front gehen.“ | |
## Instrumente werden verbrannt | |
Der libysche Bürgerkrieg endet zu jener Zeit und Tausende ehemals | |
Gaddafi-treuer Tuaregkämpfer ziehen gen Süden. Tinariwen beginnen | |
öffentlich die MNLA, die Nationale Bewegung für die Befreiung des Azawad, | |
zu unterstützen. Diese kann sich aber nicht gegen die von al-Qaida | |
unterstützte Ansar Dine behaupten, mit denen sie zeitweilig paktiert hatte. | |
Im Juni 2012 bringen die Mudschahedin nicht nur die malische Stadt | |
Timbuktu, sondern auch die Tuareghochburg Kidal unter Kontrolle und führen | |
die Scharia ein. Musik wird verboten, Instrumente werden verbrannt, | |
Musikern wird mit Verstümmelung gedroht. | |
Tinariwen-Bandmitglied Abdallah Ag Lamida wird festgenommen. „Wir hatten | |
zwei Möglichkeiten“, bilanziert Abdallah Ag Alhousseyni gegenüber teleSur, | |
„entweder verlassen wir unser Land oder wir werden zu Salafisten.“ | |
Tinariwen verlassen zum zweiten Mal ihre Heimat. Sesshaft werden sie in der | |
Joshua-Tree-Wüste in Kalifornien, im Westen der USA, wo sie das Album | |
„Emmaar“ einspielen. US-Künstler wie Saul Williams, Matt Sweeney, oder Josh | |
Klinghoffer helfen ihnen dabei. | |
## Suche nach einem Zuhause | |
„Emmaar“ ist Folk im besten Sinne. In den Texten geht um den Erhalt von | |
Natur und der Suche nach einem Zuhause, originäre Graswurzelpolitik. | |
Tinariwen verlangen eine Neubesinnung. In „Sendad Eghlalan“ heißt es: | |
„Streift diese ewige Lethargie ab / Die eure Körper und Seelen tötet / … | |
Jahrelang wurdet ihr vereinnahmt und verführt / Ohne es zu begreifen.“ Und | |
dann ist da die Rastlosigkeit: „Wenn ich doch nur eine Stange im Zelt | |
seiner Mutter sein könnte / Würde ich keinen Moment verpassen, den er | |
durchschreitet / Besonders jenen, in denen ihm seine Mutter Tifinagh | |
beibringt / Im Sand“ („Chaghaybou“). | |
Tifinagh heißt die Lautschrift der Tuareg, diese ziert auch alle westlichen | |
Veröffentlichungen von Tinariwen neben der lateinischen Schreibweise ihres | |
Bandnamens. In Tifinagh: -. ± |O : I | |
Zu sehen ist der Schriftzug auch auf der tollen EP, die jüngst unter dem | |
Titel „Inside/Outside“ veröffentlicht wurde. Das Studio ist hier für fünf | |
Songs in die Wüste verlegt. In dieser Klangkulisse kommt man Ibrahim Ag | |
Alhabib so nah wie nie zuvor. Der Alte brummt, murmelt und singt seine | |
hypnotischen Worte in die Luft von Joshua Tree. Das Finale auf „Emmaar“ | |
lautet: „Jetzt werden wir uns selbst aufwecken / Wir haben gelernt, andere | |
Waffen zu benutzen / Als jene, die uns unsere Vorfahren vermacht haben“ | |
(„Aghregh Medin“). | |
In Mali wurden die MNLA und die Islamisten zurückgeschlagen. Der Tuaregrock | |
erklingt wieder, doch die Marginalisierung des Volks bleibt. Auf Nachfrage | |
bestätigt ihr Label, dass Tinariwen die USA wieder Richtung Kidal verlassen | |
haben. Zu wünschen wäre ihnen, dass sie es von nun an nur noch für die | |
Musik verlassen müssen. | |
8 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Thomas Vorreyer | |
## TAGS | |
Nomaden | |
Mali | |
Mali | |
Afrika | |
Mali | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Bandporträt Songhoy Blues: Motorroller in Bamako | |
Die Band Songhoy Blues wurde von Islamisten verfolgt und ist in die | |
malische Hauptstadt geflohen. Nun kommt das Quartett auf Tour. | |
Friedensabkommen für Mali: Ohne die Tuareg | |
Ein Abkommen soll im westafrikanischen Mali Frieden bringen. Eine wichtige | |
Gruppe, die Tuareg, unterschreibt nicht. Hat der Plan dennoch eine Chance? | |
Musik aus Mali in der Volksbühne Berlin: Der Theatermann öffnet die Tür | |
Der Krieg in Mali trieb das „Festival au Désert“ ins Exil. Am Freitag | |
gastierte es unter dem irreführenden Titel „Schlingensief in Timbuktu“ in | |
Berlin. | |
Bildersturm in Mali: Die Ikonoklasten von Timbuktu | |
Rebellen, Islamisten, Tuareg: Die Lage in Mali ist unüberschaubar. 16 | |
wichtige Heiligengräber in Timbuktu sind derweil von einer gewaltsamen | |
Zerstörung bedroht. | |
Indierock goes Afrika: Gitarrenriffs für die Tuareg | |
Retrosound ist passé: Indiebands wie Vampire Weekend orientieren sich an | |
afrikanischen Melodien. Und Tinariwen aus Mali werden in Indiekreisen | |
gehypt. | |
Weltmusik: Das afrikanische Dilemma | |
Im Afrika singen sie für Auftraggeber, bei uns sind sie gefeierte Künstler: | |
die Griots. Einer von ihnen ist Bassekou Kouyate. |