# taz.de -- Weltmusik: Das afrikanische Dilemma | |
> Im Afrika singen sie für Auftraggeber, bei uns sind sie gefeierte | |
> Künstler: die Griots. Einer von ihnen ist Bassekou Kouyate. | |
Bild: Bassekou Kouyate und seine Ngoni | |
MALI Der Niger liegt still. Eine Mücke surrt, der Muezzin ruft zum | |
Morgengebet. Ein Generator springt an. Der Swimmingpool wird frisch | |
gefüllt, dazu braucht es Strom. Hier in Bamako, im Hotel Mandé, hat Ali | |
Farka Touré seine letzten CDs eingespielt. | |
Der zweifache Grammy-Gewinner ist immer noch ein Held in Mali. Sein | |
Krebstod jährt sich zum ersten Mal und zu den Gedenkfeierlichkeiten kommen | |
Fans aus aller Welt. Seit Touré in seinen letzten Schaffensjahren den Blues | |
entdeckte, ist der Mythos des Wüsten- und Savannenstaates als Geburtsstätte | |
des Blues bei Musikerinnen und Produzenten festgeschrieben. Stars wie Dee | |
Dee Bridgewater und Damon Albarn, Björk oder Stefan Eicher reisen nach | |
Mali, um - unter teilweise zwiespältigen Umständen - mit lokalen Musikern | |
zu jammen. Umgekehrt sind malische Musiker auf dem Weltmusikmarkt gut | |
vertreten: Toumani Diabaté, Habib Koite, Tinariwen. | |
Auch Jay Rutledge hat es sich auf einem Liegestuhl im Schatten bequem | |
gemacht. Der Produzent hat viele afrikanische Länder bereist, bei Musikern | |
gelebt und ist heute um einige Ideale ärmer. "Ich habe mich mit meiner | |
Rolle als weißer Plattenproduzent abgefunden", sagt er, "Freundschaften mit | |
Musikern sollten Zweckbeziehungen sein. Es ist niemandem gedient, wenn die | |
Plattenfirma pleite geht." | |
Bislang lizenzierte Rutledge auf seinem Label Outhere Records | |
ausschließlich urbane Popmusik wie Rap und Kwaito aus den Metropolen | |
Afrikas. Damit wollte er das verbreitete Bild eines extrem traditionellen | |
Kontinents zurechtrücken. Nun aber bringt der Münchner zum ersten Mal ein | |
traditionelleres Album heraus. "Segu Blue" heißt es und eingespielt hat es | |
Bassekou Kouyate mit seinem Ensemble Ngoni ba. Kouyate ist ein Griot, einer | |
jener Barden, die gegen Lohn ihren Auftraggeber besingen. "Wichtiger als | |
der Stil ist mir, die Musik in ihren lokalen und globalen Kontext | |
einzuordnen", sagt Rutledge, "Kouyate ist auch ein moderner Zeitgenosse mit | |
Handy." | |
Der moderne Zeitgenosse ist in einem kleinen Dorf am Niger aufgewachsen, in | |
der Nähe von Segu, der drittgrößten Stadt Malis. Er stammt, darauf legt er | |
Wert, aus der ältesten Griot-Familie des Landes: "Der große Bazoumana | |
Sissoko war mein Großvater." Sissoko wurde "Vieux Lion" genannt, alter | |
Löwe, und seine Platten werden in Europa als Raritäten gehandelt. "Mein | |
Großvater war blind", erzählt Kouyate, "aber er hat für alle Präsidenten | |
Malis gespielt. Wenn er im Radio lief, stand der Verkehr still, alle hörten | |
zu." | |
Wie Sissoko überliefert auch Kouyate in seiner Musik die Legenden des | |
Bambara-Reiches von Segu, von 1712 bis 1861 unserer Zeitrechnung eines der | |
großen Königreiche im vorkolonialen Mali. Doch als Kouyate am Pool einen | |
spontanen Auftritt hinlegt, sind die Unterschiede zum Großvater deutlich zu | |
hören. Sissoko singt auf seinen Platten mit heiserer Stimme und größter | |
rhythmischer Freiheit, während er sich auf einer erdigen, verstimmten | |
Ngoni-Laute begleitet. Kouyate hingegen phrasiert klar strukturiert über | |
einem steten Tempo. Seine Ngoni klingt dank moderner Saiten kristallklar | |
und prägnant. | |
Aber auch wenn die familiäre Atmosphäre am Hotelpool den Eindruck erweckt: | |
Der Weltmusik-Markt ist längst nicht mehr nur eine Oase für | |
Fernweh-Romantiker, sondern ein knapp kalkuliertes Geschäft. "Ich dachte, | |
man macht eine Platte, alle finden sie gut und sie läuft. So ist es aber | |
nicht", sagt Rutledge, "du wirst quasi gezwungen, zu investieren." Bei HMV, | |
der größten britischen CD-Ladenkette, mußte er 500 britische Pfund allein | |
dafür zahlen, dass "Segu Blue" sichtbar im Weltmusik-Abteil platziert | |
wurde. | |
Auch Amazon funktioniert ähnlich. Für ein paar hundert Euros zusätzlich | |
preist der Internet-Händler die CD nun via E-Mail bei allen bisherigen | |
Käufern malischer Musik als Kauftipp an. Und als britische Zeitungen und | |
Magazine über Kouyate berichten wollten, musste Rutledge seinen neuen Star | |
nach London einfliegen lassen. Für große Firmen gehören solche Aufwendungen | |
zu einem durchschnittlichen Werbeetat, für Outhere, eines der vielen | |
kleinen und kleinsten Labels, die Weltmusik veröffentlichen, sind sie eine | |
Investition, die den Zwei-Mann-Betrieb in die Pleite treiben kann. | |
Am Nachmittag steigt Ami Sacko, Kouyates Ehefrau, vor dem Hotel Mandé aus | |
einem Taxi: Vor dem staubigen Wagen leuchtet das Blau ihres Kleides noch | |
intensiver. Die Griot-Sängerin hat sich für eine Taufe schick gemacht. In | |
ganz Westafrika sind die Griots einerseits die Überlieferer der Geschichte, | |
andererseits besingen sie ihre vermögenden Kunden. Gegen Entgelt loben sie | |
sie in ihren Gesängen, vermehren ihr Prestige und Ansehen. Auf der | |
holprigen Fahrt über die nicht geteerten Straßen Bamakos erzählt die | |
Sängerin, dass der Ruf der Griots schlechter wird, weil immer mehr von | |
ihnen uneingeladen bei Festen auftauchten. Doch Sacko ist eingeladen. | |
Etwa hundert bunt gekleidete Frauen warten auf Plastikstühlen auf den | |
Beginn der Tauf-Zeremonie. Die Griot-Konkurrenz ist bereits da, einige von | |
ihnen uneingeladen, zischelt Sacko. Mit zwei Mitstreiterinnen singt sie | |
mehrere Stunden lang um die Wette. Das Mikrofon wandert hin und her, aber | |
die Mini-Lautsprecher verwandeln die kräftigen Frauenstimmen in | |
übersteuertes Geschrei. Sacko improvisiert: Ein paar Verse auf das | |
Taufkind, ein paar auf die Kleiderpracht der Mutter. Geldschein um | |
Geldschein wird ihr zugesteckt. | |
Am selben Abend tritt Sacko mit ihrem Mann bei einem der Gedenkkonzerte für | |
Ali Farka Touré auf. Ein Zeremonienmeister macht die Zuschauer auf die | |
totale Mondfinsternis am Himmel aufmerksam. Er wertet sie als Zeichen, denn | |
schließlich hieß Tourés zweites Grammy-Album "In the Heart of the Moon". | |
Backstage wird derweil heftig diskutiert. Die ehemaligen Mitmusiker von | |
Touré sind sich uneinig, ob sie übermorgen für ein weiteres Gedenkkonzert | |
in dessen Heimatdorf Niafunké aufbrechen sollen. Eigentlich hat keiner | |
Lust, zwölf Stunden in einem nichtklimatisierten Auto in den "Busch" zu | |
fahren und dann noch einen ganz Tag auf einem wackeligen Niger-Schiff zu | |
verbringen. Kouyate allerdings muss auf jeden Fall nach Niafunké, schon | |
weil dort einer seiner wichtigsten Kunden wohnt. "Mit dem darf ich es mir | |
nicht verscherzen", lächelt er. Für die Reise will er den Privatjet eines | |
Ministers organisieren. Erfolgreiche Griots haben gute Beziehungen. Oder, | |
wie Kouyate sagt: "Hier ist ein Musiker mit der Gesellschaft verflochten | |
und erfüllt wichtige soziale Aufgaben." | |
Ein paar Tage später, Kouyate ist wieder zurück aus Niafunké und Rutledge | |
wird zurück nach Europa fliegen. Zum Abschlussfest treffen sich alle noch | |
einmal in Kouyates Haus. Im Innenhof waschen Frauen Kleider, Ratten huschen | |
vorbei. Das Essen schmort in großen Töpfen über dem offenen Feuer. Auf dem | |
Dach geht es ums Geschäft. "Bassekou und ich haben alles durchgerechnet", | |
gibt Rutledge bekannt. "ein Schengen-Visum kostet 90 Euro, eine | |
Arbeitserlaubnis in England 200 Pfund. Dazu kommen die Flüge nach Europa, | |
Hotel, Essen." | |
Kurz: Die geplante Europatournee wird teuer. Nicht das gesamte Ensemble | |
Ngoni ba wird reisen können. Doch wer muss daheim bleiben? Die Diskussion | |
ist chaotisch, finanzielle Argumente konkurrieren mit künstlerischen. | |
Kouyate gefällt es nicht, dass alle mitdiskutieren dürfen: "Ngoni ba ist | |
bereits vom Orchester zum Ensemble geschrumpft", sagt er zu Rutledge, "am | |
Anfang waren wir noch fünfzehn. Einige wollten sofort Geld sehen. Ich sagte | |
ihnen, dass wir zuerst arbeiten müssten, dann würden wir weitersehen. Ein | |
paar sind daraufhin ausgestiegen. Und jetzt, nach dem internationalen | |
Plattendeal, wollen sie alle zurück." | |
Irgendwann ebben die Diskussionen einfach ab. Stattdessen beginnt Kouyate | |
zu träumen. Von einer eigenen Ngoni-Schule, einem Griot-Imperium. "Ich | |
könnte verschiedene Ensembles leiten und gleichzeitig auf lokalen | |
Hochzeiten und überall in der Welt aufspielen", schwärmt der 41-Jährige. | |
Bei solchen Zukunftsaussichten sind auch seine Musiker wieder versöhnt. | |
Als Griot muss Kouyate ein diffizile Gleichgewicht halten. Zu | |
avantgardistisch darf seine Musik nicht klingen, wenn er weiter für Feste | |
zu Hause gebucht werden will. Zu traditionell darf sie aber auch nicht | |
bleiben, wenn er international Erfolg haben will. Deshalb vor allem hat | |
Rutledge "Segu Blue" herausgegeben. Weil die Platte die heikle | |
Schnittstelle von Griot-Kultur und Weltmusik markiert und damit viel | |
erzählt über die Schönheiten und Widersprüche Afrikas. | |
Bassekou Kouyate & Ngoni ba: "Segu Blue" (Outhere/ Indigo) | |
22 May 2007 | |
## AUTOREN | |
Thomas Burkhalter | |
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Nomaden | |
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