# taz.de -- Indierock goes Afrika: Gitarrenriffs für die Tuareg | |
> Retrosound ist passé: Indiebands wie Vampire Weekend orientieren sich an | |
> afrikanischen Melodien. Und Tinariwen aus Mali werden in Indiekreisen | |
> gehypt. | |
Bild: Singen auf auf Tamaschek, der Sprache der Tuareg: Tinariwen. | |
Es ist nicht leicht mit dem guten Geschmack. Nachdem Indierocker in den | |
letzten Jahren durch Kenntnis eigener Genrevergangenheit punkten konnten, | |
muss nun ein neues Betätigungsfeld her. Praktisch, wenn es im Plattenladen | |
ein Fach für Weltmusik gibt. Denn das neue Spielfeld für Indiekids ist | |
Musik aus Afrika. Und wieder einmal zeigt sich: Als Projektionsfläche ist | |
der Kontinent am beliebtesten. | |
Vampire Weekend aus New York machen es vor. Aus Madagaskar holten sie sich | |
die Inspiration für ihren Stil, den sie "Upper West Side Soweto" nennen. | |
Die Gitarrenläufe sind verspielt, das etwas rumpelige Schlagzeug gibt den | |
Afrobeat vor, und bei den Keyboardsprengseln winkt Paul Simon von der | |
anderen Seite des Central Parks. Ein Wort, das diese Haltung gut | |
beschreibt, ist preppy. Der Hemdkragen ist gebügelt, die Umgangsformen | |
höflich, die Ironie sanft, die politische Ausrichtung liberal. "Wir | |
interessieren uns für postkoloniale Literatur und Theorie", sagt Sänger | |
Ezra Koenig. "Ihre Ideen sollten nicht im Elfenbeinturm bleiben. Selbst | |
bürgerlich-schnöselige Typen können ihr Leben, ihren Musikgeschmack, ihre | |
Art zu sprechen daraufhin abklopfen." | |
Da taucht sie also wieder auf, die Idee des Popsongs für das gute Gewissen, | |
das als Mehrwert nebenbei auch noch ein wenig Hipsterwissen bekommt. Denn | |
mit ihren Referenzen halten die vier New Yorker nicht hinter dem Berg. | |
Literaturnobelpreisträger Derek Walcott wird aufgefordert, das gemütliche | |
Ostküstenurlaubsressort Cape Cod zu verlassen, und auch an den Gralshütern | |
der Weltmusik arbeitet man sich ab: "But this feels so unnatural / Peter | |
Gabriel, too." | |
Vampire Weekend sind nicht die einzigen Mittelklassekids, die ihre Songs | |
mit afrikanischen Einflüssen aus der grauen Masse der Collegebands | |
herausstechen lassen wollen. "Wir lieben die Gitarrensounds afrikanischer | |
Musik, die Rohheit, die Energie", erklärt auch Johan Hedberg von der | |
schwedischen Band Suburban Kids with Biblical Names [das ist wirklich der | |
beste Bandname, seit es Indierock gibt! Anm. d. Red.]. Und The Foals aus | |
Oxford haben neben dem Kanon von Postpunk auch Afrobeat in ihren Sound | |
gewoben. Neu sind diese Vorlieben beileibe nicht. Schon in den Achtzigern | |
spielte John Peel häufig afrikanische Musik, die niederländische Band The | |
Ex veröffentlicht auf ihrem Label Terp seit Jahren äthiopische Musiker, und | |
auch Gorillaz-Mastermind Damon Albarn investiert sein Geld in | |
Plattenveröffentlichungen des Afrobeatdrummers Tony Allen. | |
Weit vorne auf der nach oben offenen Hipsterskala stehen Tinariwen aus | |
Mali. Das neunköpfige Bandprojekt könnte man am ehesten als ein | |
Bluesorchester bezeichnen. Drei Gitarristen spielen ein Grundgerüst aus | |
dronigen Mustern, darüber lamentiert eine Stimme über die Heimatlosigkeit - | |
auf Tamaschek, der Sprache der Tuareg. In Algerien sah Gründungsmitglied | |
Ibrahim Ag Alhabib einen Film über Jimi Hendrix, tauschte danach sein | |
selbst gebautes Instrument aus einem Benzinkanister, einem Ast und | |
Bremsdraht gegen einen elektrischen Sechssaiter aus und verehrt seitdem | |
westliche Bluesmusik. | |
Doch das gesteigerte Interesse an Tinariwen hat nicht nur einen | |
musikalischen Hintergrund. Sie verkörpern die große Rockerzählung von den | |
Unterdrückten, in deren Händen die Gitarre zum Instrument von Widerstand | |
und Selbstermächtigung wird. Die Mitglieder lernten sich in den späten | |
Siebzigern kennen, kurz bevor sie in Libyen von Funktionären der PLO und | |
des ANC militärisch geschult wurden, um in der Tuaregrebellion von 1990 | |
gegen die malische Regierung zu kämpfen. Die Führung der Rebellen stellte | |
das musikalische Equipment, und der Legende zufolge trugen die Musiker | |
unter ihren Roben neben Gewehren auch ihre Gitarren. Kein Wunder, dass | |
amerikanische und englische Musikjournalisten Tinariwen gerne als Bewahrer | |
des Blues beschreiben. | |
"Tinariwen benutzten ihre Gitarren, um die Tuareg im Kampf gegen politische | |
Unterdrückung zu sammeln, Vampire Weekend benutzen sie, um Collegestudenten | |
auf ihre Myspace-Seite zu locken. Wir stehen irgendwo dazwischen", sagt | |
Alex Minoff, Gitarrist von Extra Golden, einer Kollaboration von | |
amerikanischen und kenianischen Musikern. 2004 knüpften er und sein | |
Mitmusiker Ian Eagleson auf einer Forschungsreise Kontakte zu den | |
Bengamusikern Otieno Jagwasi und Onyango Wuod Omari. Der Rest ist eine | |
Geschichte andauernder Improvisation. Alle beteiligten Musiker mussten sich | |
auf die Gitarrenstimmung ihrer Gegenüber einstellen, um die synkopierten | |
Gitarrenläufe tight auf das erste Album zu spielen, das mit dem Laptop in | |
einer Kneipe aufgenommen wurde. Zudem starb Sänger Jagwasi an | |
HIV-induziertem Leberversagen vor der Veröffentlichung auf einem | |
amerikanischen Indielabel. Und für die Aufnahmen am zweiten Album "Hera Ma | |
Nono" in den USA musste Barack Obama sich persönlich für ein Visum der | |
kenianischen Musiker einsetzen. "Die Tatsache, dass wir als Band jenseits | |
dieser Schwierigkeiten immer noch bestehen, ist an sich schon ein | |
politisches Statement. Als wir ein Konzert in Linz spielen wollten, wurden | |
unsere kenianischen Mitglieder für 15 Stunden am Pariser Flughafen in einer | |
Zelle festgehalten, weil sie schwarz und arm waren", erzählt Minoff. | |
Denn auch im Benga bildet die Ökonomie die letzte Instanz, an der alles | |
Schaffen gemessen werden muss - eine Ausgangssperre wie die Anfang des | |
Monats verhängte kann da gleich zur Existenzbedrohung werden, wenn das | |
Einkommen aus den abendlichen Kneipengigs ausbleibt. Musik ist für die | |
kenianischen Mitglieder von Extra Golden auch ein Job, weit entfernt von | |
akademischen Diskussionen um Authentizität und Aneignung, in denen | |
ökonomisch motivierte Entscheidungen gerne als künstlerisches Statement | |
missverstanden werden. "Fast jeder afrikanische Musiker würde ein | |
Dudelsacksolo auf seiner Platte veröffentlichen", so Minoff, "wenn er im | |
Austausch ein neues Set Gitarrensaiten erhält." | |
Vampire Weekend: "Vampire Weekend" (XL-Recordings); Suburban Kids with | |
Biblical Names: "Nr.3" (Cargo); Tinariwen: "Aman Iman: Water Is Life" | |
(Skycap); Extra Golden: "Hera Ma Nono" (Thrill Jockey) | |
11 Jan 2008 | |
## AUTOREN | |
Christian Werthschulte | |
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