# taz.de -- Symbolische Bildbedeutung Thunbergs: Ikone der Klimaschutzbewegung | |
> Heiligenverehrung, Nazivergleiche, präpotente Sprüche. Was der Umgang mit | |
> Greta Thunberg über symbolische Bildbedeutungen und unsere Welt verrät. | |
Bild: Weltweit verehrt, weltweit angefeindet: Greta Thunberg | |
Greta Thunberg hat bei ihrer Rede auf dem UN-Klimagipfel in New York die | |
Fassung verloren. Erstaunlich daran ist nur, dass sie sie so lange behalten | |
hatte. Seit sich vor gut einem Jahr die damals 15-Jährige mit einem | |
handbeschriebenen Plakat allein vor den Schwedischen Reichstag stellte, ist | |
viel passiert. Auf den Fotos, die während Thunbergs zunächst täglichen, | |
dann wöchentlichen Streiks aufgenommen wurden, sieht man immer das gleiche | |
ernste Gesicht mit streng zurückgekämmten und in Zöpfen geflochtenen | |
Haaren. Die Kleidung ist aufgetragen und die Körperhaltung statuarisch. Was | |
zählte, so zeigen die Aufnahmen, war die Aktion, nicht die Bildwirkung. | |
Wir haben uns daran gewöhnt, dass nicht nur große Unternehmen über | |
kostspielige Image-Kampagnen Massenhypes generieren, sondern auch Politiker | |
mit Bildern und symbolischen Gesten Wahlkämpfe gewinnen können. Umso | |
unerklärlicher schien deshalb im Fall von Thunberg, was auf ihre | |
Schulstreiks folgte. In den Monaten danach begannen immer mehr Kinder und | |
Jugendliche auf die Straße zu gehen. In Windeseile entstand eine Bewegung. | |
Es lag nahe, auch hier von einer gesteuerten PR-Aktion auszugehen. Schnell | |
verbreitete sich die Meinung, Thunberg sei eine Marionette des schwedischen | |
Unternehmers Ingmar Rentzhog, als könne man damit ihre für Imagekampagnen | |
ganz ungewöhnliche unbewegliche Mimik und Gestik erklären. Andere wiederum | |
sahen genau darin einen Beleg für die Authentizität der Aktivistin und | |
stilisierten sie zur Ikone der Klimaschutzbewegung. | |
Ihre Bedeutung für die Bewegung stand schon lange vor ihrer Ankunft im | |
September in New York fest, und so war es nicht überraschend, dass Greta | |
Thunberg umgehend von Politikern empfangen wurde. Mit sicherem Instinkt für | |
symbolische Gesten forderte Barack Obama in einem von seiner Stiftung | |
veröffentlichen Video die Aktivistin auf, mit einem Faustgruß die Aussage | |
„Wir sind ein Team“ zu besiegeln. | |
## Ein Jahr Zustimmung und Schulterklopfen | |
Sie aber schien am glücklichsten, wenn sie lediglich eine wenig | |
herausgehobene Teilnehmerin der sich formierenden Protestbewegung blieb. Es | |
muss also niemanden erstaunen, wenn sie nun, nach einem Jahr der Zustimmung | |
und des Schulterklopfens ohne nachweislich einschneidende Veränderungen in | |
der Politik, die Geduld verloren hat. Ihr geht es nicht um | |
Selbstbestätigung, sondern um angemessenen Fortschritt in der Klimapolitik. | |
Entsprechend artikulierte sie in ihrer rhetorisch wenig choreografierten | |
Rede in New York einen Vorwurf an die Elterngeneration. Wie jede | |
zielstrebige Jugendliche, der es um ein Versprechen geht, das nicht | |
eingehalten wurde, fragte sie wiederholt [1][„Wie könnt ihr nur?“] | |
Verantwortliche Politiker haben darauf reagiert, indem sie die Komplexität | |
der Ansprüche betonten, denen sie gerecht werden müssen. | |
Weniger verantwortliche wie der US-Präsident verwiesen auf die Rolle des | |
glücklichen kleinen Mädchens, das sich in Thunbergs Fall als ausgesprochen | |
undankbar erweise. Der Trump nahestehende Kommentator Dinesh D’Souza | |
twitterte einen Bildvergleich. Darauf war neben einem Bild von Thunberg | |
eine ebenfalls bezopfte blonde junge Frau vor einer Hakenkreuzfahne zu | |
sehen. Es handelte sich um ein Propagandaplakat für den Bund Deutscher | |
Mädel, das 1936 für den Reichsparteitag der Nationalsozialisten angefertigt | |
wurde, und legte nahe, dass Thunberg ebenfalls die Kreatur eines | |
fanatischen Regimes sei. | |
## Ausdruck eines Generationenkonflikts | |
Nirgendwo zeigen sich die Grenzen von Imagekampagnen und symbolischen | |
Deutungen stärker als im Fall von Greta Thunberg. Es steht außer Frage, | |
dass sie zur Leitfigur einer Bewegung geworden ist. Doch ihr Erfolg beruht | |
gerade nicht auf dem Einsatz von kalkulierter und inszenierter Bildwirkung, | |
sondern auf einem gesellschaftlichen Generationenkonflikt, dem sie Ausdruck | |
verleiht und Aufmerksamkeit verschafft. Sie ist weder eine vom Himmel | |
gefallene Ikone noch eine von Dämonen gelenkte Marionette. | |
In den orthodoxen Kirchen geben Ikonen, so hat es die Byzantinistin | |
Marie-José Mondzain formuliert, der unsichtbaren göttlichen Realität eine | |
„sichtbare und inkonsistente Gestalt“. Im Fall des Ikonischen, so schreibt | |
sie, inkarniert sich das Göttliche unabhängig von der Substanz und damit | |
von der realen Person im Bild. Entsprechend emotions- und ausdruckslos | |
erscheinen auch die Gesichter auf den Kultbildern. Greta Thunberg ist aber | |
keine Inkarnation des Unsichtbaren und Unerklärlichen. Ihr Gesicht ist das | |
einer Jugendlichen, deren relativ ausdruckslose, manchmal aber auch | |
unkontrolliert expressive Mimik eine Begleiterscheinung ihres | |
Asperger-Syndroms ist. | |
Sie ist auch keine Jeanne d’Arc – eine weitere symbolische Deutung, die zur | |
Erklärung für ihren öffentlichen Erfolg herangezogen wurde. Im Grunde | |
sorgte abermals nur ein vages Bild, das man aus Gemälden, Filmen und | |
Denkmälern kennt, für Plausibilität. Wie die Jungfrau von Orléans, so legt | |
es nahe, kämpft auch Thunberg als zartes, zugleich gepanzertes Mädchen bis | |
zur Selbstaufgabe für ihre Sache. Doch auch hier greift die Analogie zu | |
kurz, denn Thunberg verteidigt keine Nation, sondern macht auf die Folgen | |
des Klimawandels für die Welt aufmerksam. | |
## Es geht um Argumente, nicht um Schaukampf | |
Vor allem beruft sie sich nicht auf einen göttlichen oder irgendeinen | |
höheren Auftrag. Bei ihr geht es um Argumente, nicht um Schaukampf. Von | |
Journalisten vor ihrer Schiffsreise über den Atlantik gefragt, was sie zu | |
Donald Trump sagen würde, wenn sie ihm gegenüberstünde, lautete ihre | |
Antwort, dass sie ihm gar nichts zu sagen habe. Wie könne sie ihn | |
überzeugen, so hat sie zurückgefragt, wenn er nicht bereit sei, der | |
Wissenschaft und den Experten zuzuhören. | |
Auch der schräge psychologische Vergleich zwischen einer angenommenen | |
Anorexie bei Jeanne d’Arc und Thunbergs Autismusvariante führt in die Irre. | |
Bei jedem Auftritt und in jedem Interview bezieht sich Thunberg | |
ausschließlich auf Zusammenhänge und Berechnungen aus der Forschung zum | |
Klimawandel. Apokalyptische Visionen sind von ihr nicht bekannt. | |
Im Gegenteil, sie machte die rein auf wissenschaftlicher Forschung | |
beruhende Rechnung auf, dass eine weltweite fünfzigprozentige Reduzierung | |
des Kohlendioxidausstoßes bis 2030 nicht ausreiche, um auf die bereits in | |
weiten Teilen der Welt spürbaren Klimawandelfolgen angemessen zu reagieren. | |
Sie bestreitet nicht, wie behauptet, dass technische Innovationen notwendig | |
sind, sondern nur, dass es in Anbetracht der knappen verbleibenden Zeit | |
nicht mehr nur mit Verweisen auf technische Lösungen getan ist. | |
## Hämische Verweise | |
Wer also Thunberg zur Ikone oder Symbolfigur stilisiert, der überträgt ins | |
Weltanschauliche, was bei ihr immer nur ein Verweis auf | |
Forschungsergebnisse ist. Zugleich werden damit aber auch die Bilderstürmer | |
auf den Plan gerufen, die sich sofort ans Werk machen, das Heiligenbild zu | |
zerstören. Dann wird hämisch darauf verwiesen, dass sie auf einem im Januar | |
von ihr selbst getwitterten Bild während der langen Zugreise zum | |
Weltwirtschaftsforum in Davos mit in Plastik verpacktem Essen zu sehen ist | |
und [2][ihre Segelreise über den Atlantik] klimaschädliche Flugreisen zur | |
Rückholung der Yacht zur Folge hat. | |
Doch Thunberg hat nie behauptet, dass ihre Handlungen Vorbildcharakter | |
haben sollen: „Ich bin nicht besonders“, „ich sage niemanden, was er zu t… | |
oder zu lassen hat“, erklärte sie Mitte August auf einer Pressekonferenz in | |
Plymouth. Sie tut nur, so betont sie immer wieder, was im Bereich ihrer | |
Möglichkeiten steht. | |
Es ist mittlerweile selbstverständlich geworden, kulturelle Phänomene über | |
symbolische Handlungen und Bildwirkungen zu erklären. Im Fall von Thunberg | |
zeigt sich aber, dass das Muster nicht nur an eine Grenze stößt, sondern | |
geradezu irreführend sein kann. Wo nämlich herkömmliche Erklärungen wie | |
Heilige, Fanatikerin oder naives Mädchen versagen, kommen schnell andere, | |
weniger wohlmeinende Deutungsversuche ins Spiel. Dann sprechen erwachsene | |
Männer wie der Philosoph Michael Onfray davon, dass Thunberg weder Mensch | |
noch Mädchen sei, sondern ein Cyborg ohne Geschlecht, Körper und Alter, und | |
D’Souza reagiert mit einer bodenlosen Nazibildanalogie. | |
## „Can you hear me?“ | |
Das britische [3][Männer-Lifestyle-Magazin GQ hingegen] fühlt sich | |
bemüßigt, Thunberg für die Titelseite seiner Oktoberausgabe in Abwesenheit | |
aller anderen ähnlich eindeutig appellativen Bilder in energischer | |
Managerpose zu zeigen. Man sieht Thunberg in ganz uncharakteristischer | |
Haltung in zugeknöpftem weißem Hemd mit übergroßer dunkler Anzugjacke und | |
der Aufschrift „Can you hear me?“. Ihr linker Arm und Zeigefinger sind, in | |
Imitation des berühmten militärischen US-Uncle-Sam-Rekrutierungsplakats aus | |
dem Ersten Weltkrieg, auffordernd auf den Betrachter gerichtet. | |
Man kann sich fragen, ob Thunberg wusste, worauf sie sich bei diesem | |
testosterongesteuerten Fotoshooting einließ. Gänzlich jenseits ihrer | |
Einflussnahme sind aber „Fuck you Greta!“-Autoaufkleber, die seit Kurzem | |
auf den Straßen in Deutschland zu sehen sind. Wenn schließlich ein | |
Theologieprofessor wie Ralf Frisch in der evangelischen Zeitschrift | |
Zeitzeichen mit diesem Aufkleber kokettiert und Thunberg zur falschen | |
Prophetin erklärt, dann spätestens wird deutlich, dass sich hier etwas | |
verselbstständigt hat. „Fuck you Greta!“ wird zu einer völlig hypertrophe… | |
Unheil abwehrenden Geste, die sich gegen ein Zerrbild richtet, eine | |
Ausgeburt der Fantasie des Aufkleberkäufers. | |
Es ist eine verkehrte Welt, in der Erwachsene die einfache Märchenwelt von | |
Gut und Böse, Verführerin und Verführte, Roboter und Mensch bemühen müssen, | |
um das Phänomen Greta Thunberg zu erklären. Bis ihr jüngst der Geduldsfaden | |
riss, ist Thunberg selbst indes immer höflich geblieben. Wenn sie nun, wie | |
in New York, erklärt, dass die Generation der Einflussreichen nicht | |
erwachsen genug sei, den Zustand der Welt klar zu erkennen, fordert sie | |
nichts anderes als ein verantwortungsvolles Handeln, das Sachkenntnisse | |
statt symbolische Bildbedeutungen zur Grundlage hat. Greta Thunberg hat | |
kein Imageproblem und genau darin liegt ihr Erfolg. | |
4 Oct 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Greta-Thunbergs-How-dare-you/!5627066 | |
[2] /Thunbergs-Segelreise-in-die-USA/!5615733 | |
[3] https://www.gq-magazine.co.uk/men-of-the-year/article/greta-thunberg-interv… | |
## AUTOREN | |
Charlotte Klonk | |
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