# taz.de -- Greta Thunbergs „How dare you“: Angst und Endlichkeit | |
> Greta Thunberg hat in New York eine beeindruckende Rede gehalten. Auch | |
> weil sie dezidiert als Kind auftrat und Verantwortung zum Thema machte. | |
Bild: Greta Thunberg: „Wie kann es sein, dass ich, das Kind, euch zeigen muss… | |
Es war ein Satz für das Wörterbuch des immer noch jungen 21. Jahrhunderts, | |
ein Satz, der eine Welt zum Einstürzen bringen könnte, wenn diese Welt | |
dafür bereit wäre: „How dare you“, sagte Greta Thunberg in ihrer Rede bei | |
der Uno in New York diese Woche – es war das „Yes, we can“ der Generation | |
Greta, und nicht so sehr Wut, Enttäuschung oder Verletzung trieb diese | |
Rede, trieb diesen Satz an, sondern etwas, für das es ein altmodisches | |
deutsches Wort gibt: Entrüstung. | |
Wie kann es sein, sagte sie, wie könnt ihr es wagen, sagte sie, wer gibt | |
euch das Recht, sagte sie, unsere Welt zu zerstören – und die Wachheit, die | |
Wundheit, die Direktheit, mit der sie es sagte, machte klar, wie verstellt, | |
verdreht, verlogen die Worte derjenigen sind, die eine rhetorische Rüstung | |
tragen, die sich verstecken hinter Begriffen von Wahrheit, von Politik, von | |
Rationalität, die längst brüchig geworden sind vor dem Hintergrund der | |
Klimakrise, und je länger sie sich verstecken, desto mehr verlieren sie an | |
Legitimität. | |
Denn das war das Einschneidende dieses Auftritts: Sprachlich, symbolisch, | |
rhetorisch stellte Greta Thunberg die Systemfrage – wenn ihr, Demokraten, | |
Kleptokraten, Technokraten, Autokraten, Erwachsene, nicht in der Lage seid | |
zu sehen, dass das Versprechen von Immer-weiter-so und ewigem Wachstum in | |
den kollektiven Ruin führt, dann habt ihr das Recht verloren, für uns zu | |
sprechen. Dann kündigen wir von unserer Seite, der Jugend, der Zukunft, den | |
Generationenvertrag auf, den ihr gebrochen habt. | |
Das war die Kraft, das war die Bedrohlichkeit dieses Auftritts: Greta | |
Thunberg, die in dieser Woche auch noch mit dem Alternativen Nobelpreis | |
ausgezeichnet wurde, war in dieser New Yorker Rede dezidiert Kind, mehr als | |
sonst, sie war Tochter, sie machte die existenziell zwischenmenschliche | |
Dimension zum Thema, die Verantwortung füreinander – sie offenbarte | |
einerseits eine Armut der Sprache, eine Verkümmerung der Affekte, eine | |
Sterilität des Denkens in der gegenwärtigen Politik; und gleichzeitig | |
appellierte sie an die tiefere Dimension dessen, was die Menschen ausmacht, | |
an die Zeitlichkeit, die alles beherrscht, die Frage also, was nach uns | |
kommt, das ewige Dilemma der eigenen Sterblichkeit. | |
Sie würde Angst verbreiten, sagen die, die sie kritisieren, sie würde Panik | |
verursachen, und das sei schädlich, weil es die Menschen lähme – und | |
zeigten vor allem, dass sie nur über ihre Sicht auf die Dinge reden und | |
nicht über die Dinge selbst. | |
Tatsächlich ist die Botschaft, wenn man es so nennen will, von Greta | |
Thunberg eine ganz andere. Es geht nicht um die Apokalypse, auch wenn sie, | |
vollkommen zu Recht, von der Massenauslöschung spricht, die wir erleben, | |
dem Sterben von Millionen von Spezies, verursacht durch den Menschen; das | |
ist alles faktenbasiert, wissenschaftlich fundiert, oft im Gegensatz zu der | |
beschwichtigenden Rhetorik derjenigen, die die Vernunft für sich | |
reklamieren, und hat deshalb nichts mit biblischen Untergangsszenarien zu | |
tun. | |
Die Botschaft von Greta Thunberg ist eine der praktischen Vernunft und der | |
säkularen Ethik: Ich habe erkannt, vor dem Hintergrund der Endlichkeit | |
allen Lebens, dass mein Handeln dazu führt, den Planeten zu zerstören, und | |
ich ändere darum dieses Handeln, ich sehe die systemischen Zusammenhänge, | |
aber ich fange mit mir an, im Sinne des kategorischen Imperativs Kants, | |
seltsam verdammt dieser Tage und dabei Grundlage ethischen Handelns | |
überhaupt – wie kann es sein, dass ihr, Erwachsene, sehenden Auges | |
weitermacht mit der Zerstörung der Erde? Wie kann es sein, dass ich, das | |
Kind, euch zeigen muss, was Vernunft ist? | |
Mich hat diese Rede an ein Buch erinnert, das gerade in akademischen | |
Kreisen viel diskutiert wird, „This Life“ des relativ jungen Philosophen | |
Martin Hägglund, der in diesem ambitionierten Werk versucht, ausgehend von | |
der Tatsache des eigenen Todes für das 21. Jahrhundert einen „säkularen | |
Glauben“ und „spirituelle Freiheit“ zu definieren – als Atheist, als | |
Materialist und mit Marx als Begleiter ist es Hägglunds Ziel, aus der | |
existenziellen Dringlichkeit des Lebens eine Ethik für unsere Zeit zu | |
formulieren, individuell, aber mit Blick auf das Ganze, die Tiefe, den Raum | |
nach uns. | |
## Die Möglichkeit des Untergangs ist real | |
Es gibt also, mit anderen Worten, in Greta Thunbergs Handeln und Tun einen | |
spirituellen Aspekt, der auch in der New Yorker Rede deutlich wurde – aber | |
ganz anders, als es ihre Kritiker*innen beschreiben, die sie als irrational | |
oder fanatisch diskreditieren wollen. Denn das Gegenteil ist ja der Fall: | |
Die Möglichkeit des eigenen Endes wie des kollektiven Untergangs ist real, | |
sie wird faktenbasiert und wissenschaftlich fundiert formuliert. | |
Verblendung, Irrationalität, Wahrheitsverleugnung findet sich eher | |
aufseiten ihrer Gegner*innen – und diese Selbstkränkung erklärt wohl, | |
wenigstens zum Teil, den Hass und die Ablehnung, die Thunberg auf sich | |
zieht. | |
Bei all dem, auch das zeigte die Rede, ist sie maximal autonom, sie ist | |
unabhängig von Parteien und Personen und unideologisch in ihrem Denken und | |
Tun, sie hat kein explizites Gedankensystem, das sie stützt, sie hat primär | |
die Wirklichkeit und die Wissenschaft und auch die Wut auf ihrer Seite. Sie | |
stellt sich nicht außerhalb oder gegen das demokratische System, wie es | |
manche interpretieren wollen, sie stellt nur ein paar sehr grundsätzliche | |
Fragen an Menschen, die sich entweder hinter dem Markt als Antwort auf | |
alles verstecken oder vor allem von Mehrheitsverhältnissen reden, ohne die | |
Not und die Dringlichkeit des Augenblicks zu benennen. | |
Sie verweist damit auf eine Leerstelle im politischen Diskurs, im | |
politischen System, einen Schrumpfprozess ethisch-existenzieller Dimension, | |
für den die Sprache fehlt, die Form, das Forum. Das ist das Dilemma etwa | |
der verzettelten Diskussion über das Klimapaket der Bundesregierung, wo es | |
um die „Pendlerpauschale“ geht und nicht um „das sechste Sterben“, wie … | |
berühmte Buch von Elizabeth Kolbert heißt, die darin die katastrophalen | |
Folgen der Klimaerwärmung beschreibt. Das ist überhaupt das Dilemma einer | |
politischen Ordnung, die nicht in der Lage zu sein scheint, sich der | |
Dimension von Angst und Verstörung zu öffnen, die real ist und nur größer | |
wird, je mehr man sich ihr verweigert. | |
## Performance wie Martin Luther King | |
Das war die emotionale Seite des Auftritts von Greta Thunberg in New York, | |
die sich in Timing und Tonalität als große Performerin zeigte, so wie | |
Martin Luther King ein großer Performer war oder James Baldwin, | |
Wahrheitssprecher, Menschheitsfiguren, die den bequemen Schlaf der | |
Demokratien störten – es ist nicht so, wie ihr uns glauben macht, wir | |
wissen es, denn wir haben es gesehen, wir haben es erlebt. Es sind Stimmen | |
der Ausgeschlossenen, die hier hörbar werden, und in gewisser Weise, das | |
zeigte die Intensität von Thunbergs Auftritt, sind es die Kinder dieser | |
Welt, die bislang ausgeschlossen waren. | |
Der mediale Blick auf Greta Thunberg, eingeübt in der Routine von Sensation | |
und Skepsis, scheitert bislang in diesem sehr konkret politischen Prozess; | |
die Kluft zwischen denen, die die Meinung zu kontrollieren glauben, und | |
denen, die Veränderung wollen, wird damit nur noch größer. | |
28 Sep 2019 | |
## AUTOREN | |
Georg Diez | |
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