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# taz.de -- Klimaschutz als Religion: Klima unser im Himmel
> Der Klimabewegung wird vorgeworfen, zu moralisierend, quasireligiös und
> irrational zu sein. Dieser Ruf ist das Beste, was ihr passieren kann.
Bild: Klimaschutz als paradiesische Utopie
Aus Klimaschutz muss dringend eine Religion werden. Rational sollte sie
sein, global und ohne Gott. Der hat genug Mist gebaut. Gibt’s so ähnlich
doch schon, werden jetzt einige sagen, nennt sich Humanismus. Und da sind
wir schon beim eigentlichen Punkt: Der Vorwurf, die neue Klimabewegung sei
moralisierend, quasireligiös und im Kern irrational, ist das Beste, was ihr
passieren kann.
Die Vorwürfe gegen radikalen Klimaschutz wie Kohleausstieg sofort oder
CO2-Neutralität bis 2035 sind: Das sei weder technisch noch ökonomisch noch
mit Zustimmung der demokratischen Mehrheit möglich. Der Klimabewegung sei
weniger CO2 in der Atmosphäre wichtiger als der Zusammenhalt der
Gesellschaft, die Pendler auf dem Land, die Beschäftigten in der
Autoindustrie.
All das ist richtig. Die neue Klimabewegung ist nicht nur rational, auch
wenn sie sich in bestem Sinne der Aufklärung auf Empirie und
Naturwissenschaft beruft. Aber ihre Kritiker sind eben noch viel weniger
rational.
Mit Kritiker sind nicht die Fanatiker gemeint, die meinen, irgendeine
Weltverschwörung hätte sämtliche Klimadaten gefälscht, um den Sozialismus
einzuführen. Sondern all diejenigen, für die das Klimapaket der
Bundesregierung gemacht worden ist. Das sagt im Prinzip: Wir machen jetzt
mal richtig Klimaschutzbetrieb hier, seid endlich zufrieden. Und dann
nörgeln die Klimafanatiker und sagen: Ja, aber das reicht doch nicht, um
das [1][1,5-Grad-Ziel] einzuhalten.
Hand aufs Herz: Wer hat da nicht innerlich schon mal die Augen verdreht?
Das 1,5-Grad-Ziel mag rational alle Berechtigung haben, aber es nutzt sich
als ewiges Mantra ab. Ebenso wie Greta Thunbergs Wut [2][bei ihrem Auftritt
vor den Vereinten Nationen] ihren Zenit erreicht hat. Thunberg hat das
grellste Mittel gewählt, Tränen, Wut, Verzweiflung, das funktioniert nur
einmal.
Von jenen Kritikern ist also die Rede, die im Prinzip für Klimaschutz sind,
aber praktisch nicht überfordert und ständig angebrüllt werden wollen. Die
das Gefühl haben, die Klimadebatte werde zunehmend hysterischer, von allen
Seiten. Und am hysterischsten brüllen die, die der Meinung sind, alles
werde immer hysterischer. Man kann freilich auf den Konsum von Nachrichten
oder Timelines verzichten. Aber wir reden hier nicht von der individuellen
Entscheidung, sich aus einer öffentlichen Debatte auszuklinken, sondern
davon, an ihr teilzuhaben.
Die Debatte ließe sich entschärfen, würden diese Kritiker der Klimabewegung
anerkennen, dass die Freiheiten, die der Klimaschutz vermeintlich
einschränken könnte, reine Mythen sind. Es ist ein Irrglaube, eine
möglichst breite Produktpalette an Urlaubszielen, Turnschuhen, Parfums oder
Würsten sei Ausdruck einer freien Gesellschaft. Sie ist Ausdruck dessen,
dass wir alle zum Konsum erzogen worden sind. Angst vor
Arbeitsplatzverlusten? Unternehmen verschwinden nicht nur wegen des
Kohleausstiegs, sondern aus viel banaleren Gründen: Profitstreben etwa.
Auch jene, die meinen, wir lebten in einem freien System freier Märkte,
denken tief irrational: Das System führt dazu, dass die Erde ökologisch
kollabiert. Wer immer noch an die Funktionalität dieser Märkte glaubt,
ist ein wesentlich stärker verblendeter Eiferer als eine Person, die der
Idee nachhängt, man könne binnen zehn Jahren ein Industrieland klimaneutral
machen.
[3][Die neue Klimabewegung] wiederum kann sich zwar auf die Wissenschaft
berufen: Mehr als zwei Grad, da kann es zu einem Dominoeffekt kommen, dann
ist die Biosphäre kaputt, fertig. Aber allein darauf zu verweisen ist
kontraproduktiv. Denn zeitgleich fordert die Klimabewegung einen so
radikalen Wandel und Verzicht, dass sie eine überzeitliche, metaphysische
Erzählung braucht.
Sie bedient sich ja schon fröhlich religiöser Motive, bedient sich am
kollektiven Gedächtnis von Gesellschaften, an mythischen Erzählungen von
Apokalypsen und Erlösungen, von guten und bösen Mächten. Sie legitimiert
damit ihre permanenten Appelle ans eigene Verhalten und das anderer – iss
weniger Fleisch, fliege nicht zum Vergnügen, fahre Fahrrad. Sie moralisiert
ohne Unterlass und sie stellt die Begrenzung der Erderwärmung über alles.
## Das Quasireligiöse stärken
Was fehlt, ist eine stringente, positive Utopie. Derzeit geht es lediglich
darum, die Apokalypse zu vermeiden. Nach der erfolgt zumindest in den
monotheistischen Erzählungen eine paradiesische Utopie und in der einzigen
säkularen Religion, die wir haben, dem Humanismus, eine bessere
Gesellschaft. All diese Erzählungen haben es geschafft, Menschen über
Generationen hinweg bei der Stange zu halten. Offenbar, weil sie ein
dringendes, metaphysisches Bedürfnis erfüllen.
Will sich die neue Klimaschutzbewegung nicht in permanenter
Untergangstimmung verlieren, sollte sie getrost den irrationalen,
mythischen, quasireligiösen Teil, der in ihr steckt, einräumen und stärken.
Sie muss eine emotionale Heimat werden, der sich auch die nächste und
übernächste Generation anschließen kann. Sie braucht Mythen jenseits der
Zerstörung.
Wie das aussehen soll? Sicherlich nicht mit Greta Thunberg als
Klimapäpstin. Aber mit einer klaren Erzählung eines eigentlich
paradiesischen Planeten, die jedes Kind versteht. Mit einem Glauben, der
alle Götter zulässt, wer sie denn braucht, vor dem alle Menschen gleich
sind und der klarmacht, dass es dieses nie erreichbare Paradies nur gibt,
wenn die Schönheit der Natur für uns erhalten bleibt.
Diesen Glauben muss man nicht neu erfinden, er steckt bereits in den
Menschenrechten und im Grundbedürfnis der Menschen nach klarem Himmel,
klarer Luft, einer intakten Natur. Wem das zu kitschig klingt: Dann glauben
Sie eben an was anderes. An ewiges Wachstum oder so einen Quatsch.
26 Sep 2019
## LINKS
[1] /UN-Klimagipfel-in-New-York/!5629311
[2] /Merkel-und-Greta-Thunberg-bei-den-UN/!5629713
[3] /Enttaeuschendes-Klimakabinett/!5627715
## AUTOREN
Ingo Arzt
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