| # taz.de -- UN-Klimagipfel in New York: Naturwissenschaftlerin außer Dienst | |
| > Beim UN-Klimagipfel trifft die Wut der Jugend in Gestalt von Greta | |
| > Thunberg auf die Routine der Politik, repräsentiert von Angela Merkel. | |
| Bild: Treffen am Rande: Angela Merkel (l.) und Greta Thunberg vor ihren Auftrit… | |
| New York taz | Es gibt nur ein einziges Bild von diesem Treffen: Angela | |
| Merkel und Greta Thunberg sitzen nebeneinander in dunklen Ledersesseln. | |
| Beide haben ihre Redemanuskripte auf dem Schoß, denn wenige Minuten später | |
| sollen sie zu den Staats- und Regierungschefs der Welt sprechen, die zum | |
| UN-Klimagipfel nach New York gekommen sind. | |
| Die deutsche Bundeskanzlerin beugt sich in Richtung der schwedischen | |
| Klimaaktivistin, die scheint etwas zurückzuweichen. Journalisten waren | |
| nicht dabei, als sich die beiden – angeblich zuvor nicht geplant – in einem | |
| Raum hinter der Bühne des Auditoriums der Vereinten Nationen in New York | |
| trafen; aufgenommen wurde das Foto von einem Mitglied der offiziellen | |
| deutschen Delegation. Was die beiden besprochen haben, ist bisher nicht | |
| bekannt. | |
| Wenn man sich die Reden anhört, die die beiden Frauen anschließend im | |
| Abstand von wenigen Minuten halten, steht fest: Eine gemeinsame Ebene | |
| dürften Merkel und Thunberg bei ihrer kurzen Begegnung kaum gefunden haben. | |
| Beide sprechen in New York über den Kampf gegen den Klimawandel, doch | |
| zwischen ihnen liegen Welten. | |
| Merkel hat schon auf vielen Klimagipfeln geredet, sie ist es gewohnt, auf | |
| der internationalen Bühne zu glänzen. Deutschland gibt traditionell viel | |
| Geld für den internationalen Klimaschutz, und die deutsche Klimapolitik | |
| galt trotz ihrer zahlreichen Defizite weltweit lange als vorbildlich. Die | |
| Reise nach New York hätte ein letzter Höhepunkt von Merkels Amtszeit werden | |
| können, die späte Rückkehr der Klimakanzlerin. Schließlich muss sie keine | |
| Rücksichten mehr nehmen, will keine Wahl mehr gewinnen, sie arbeitet nur | |
| noch für die Geschichtsbücher. | |
| ## Historisch ist Merkels Auftritt nicht zu nennen | |
| Doch bereits bevor die Kanzlerin zum UN-Klimagipfel aufgebrochen ist, war | |
| klar, dass daraus nichts werden würde. Was die Große Koalition nach dem | |
| langen Verhandlungsmarathon am Freitag in Berlin als „Klimaschutzprogramm | |
| 2030“ präsentiert hatte, war nicht nur bei Umweltverbänden und Opposition | |
| durchgefallen, sondern auch bei jenen Wissenschaftlern, die vorab diverse | |
| Gutachten für die Regierung verfasst hatten. | |
| Drei Tage danach in New York wirkt die Kanzlerin müde. Nicht unbedingt noch | |
| von der langen Verhandlungsnacht von Donnerstag auf Freitag, als sie die | |
| vollen 18 Stunden im Kanzleramt dabeiblieb. Sondern ermüdet vom Klimathema | |
| insgesamt, mit dem sie glaubt nichts mehr gewinnen zu können. Das zeigt | |
| sich schon bei der Tagesordnung ihrer zweitägigen New-York-Reise. Der | |
| Klimagipfel ist zwar offizieller Anlass, doch einen großen Teil ihrer Zeit | |
| widmet sie anderen Themen – vor allem der Krise im Iran, zu der während des | |
| zweieinhalbtägigen Aufenthalts mehrere bi- und trilaterale Treffen | |
| angesetzt worden sind. | |
| Der Klimagipfel findet am Tag vor der eigentlichen Generalversammlung der | |
| Vereinten Nationen statt. Reden lässt UN-Generalsekretär António Guterres | |
| dort nur jene Staats- und Regierungschefs, die echte Fortschritte zu | |
| verkünden haben. Merkel darf gleich als Vierte im voll besetzten | |
| Sitzungssaal der Generalversammlung sprechen. Und überraschend ist zu | |
| diesem Zeitpunkt auch US-Präsident Donald Trump anwesend, der den Gipfel | |
| eigentlich boykottieren wollte und am selben Tag auf dem UN-Gelände eine | |
| eigene Veranstaltung zur Religionsfreiheit organisiert hat. [1][Doch | |
| Merkels Rede fällt wenig ambitioniert aus.] | |
| „Wir werden unseren Beitrag zu einer nachhaltigen Wirtschaft und zu einem | |
| nachhaltigen Leben weltweit leisten“, sagt sie – und referiert als Beleg | |
| ein paar Beschlüsse aus dem gerade verabschiedeten Klimaschutzprogramm: | |
| Milliarden-Investitionen in ökologische Technik, ein CO2-Preis auch im | |
| Bereich Verkehr und Wohnen – die als völlig unzureichend kritisierte Höhe | |
| von zunächst nur 10 Euro pro Tonne verschweigt sie lieber. Positiv fällt | |
| auf, dass Merkel sich erstmals ohne Bedingungen zum 1,5-Grad-Ziel bekennt | |
| und zusagt, das Land bis 2050 komplett klimaneutral zu machen. Doch ein | |
| schärferes Ziel für 2030, das daraus eigentlich folgen müsste, nennt sie | |
| zur Enttäuschung vieler Beobachter nicht. | |
| ## Thunbergs Rede ist ungleich inspirierter | |
| Dass Merkels Rede so uninspiriert wirkt, hat auch mit Greta Thunberg zu | |
| tun. Die ist kurz vor der Kanzlerin zu Wort gekommen. Für die Schwedin, die | |
| mit ihrem Schulstreik vor gut einem Jahr die weltweiten | |
| Schüler*innenproteste ausgelöst hat, ist die Rede in New York der bisher | |
| größte Auftritt ihres Lebens. Um hier zu den Staats- und Regierungschefs | |
| der Welt zu sprechen, ist sie unter großen Strapazen zwei Wochen lang über | |
| den Atlantik gesegelt. Die Rede, so war schon im Vorfeld zu hören, werde | |
| schärfer sein als alles, was sie zuvor gesagt hat. Und tatsächlich bricht | |
| die Wut nur so heraus aus der zart wirkenden Person, die zusammen mit | |
| Guterres und zwei weiteren Jugendlichen zu Beginn des Gipfels zunächst | |
| etwas verloren auf der Bühne des riesigen Saals gesessen hat. | |
| [2][„Das hier ist alles falsch“, ruft sie ohne Begrüßung – um dann mit | |
| teils tränenerstickter Stimme Anklage zu erheben.] „Menschen leiden, | |
| Menschen sterben, ganze Ökosysteme kollabieren“, prangert Thunberg an und | |
| ballt die Fäuste. „Wir stehen am Beginn eines Massenaussterbens – und | |
| alles, worüber ihr redet, ist Geld und das Märchen vom ewigen | |
| Wirtschaftswachstum. Wie könnt ihr es wagen!“ | |
| Diesen Satz wiederholt sie noch mehrmals. „Wie könnt ihr es wagen, so zu | |
| tun, als könne das mit ‚Business as usual‘ und ein paar technischen | |
| Lösungen gelöst werden?“, sagt sie im Bezug auf das geringe CO2-Budget, das | |
| der Welt noch bleibt, wenn sie das 1,5-Grad-Ziel erreichen will. | |
| ## Schlicht zu vorhersehbar, was Merkel sagt | |
| „Wie könnt ihr es wagen, wegzusehen und trotzdem hierherzukommen und zu | |
| sagen, ihr tut genug?“ Dass sich die Politiker*innen hier und überall auf | |
| die Jugendlichen beziehen, die weltweit auf die Straße gehen, findet | |
| Thunberg unglaubwürdig. „Ihr sagt, dass ihr uns ‚hört‘ und die | |
| Dringlichkeit versteht. Aber ich weigere mich, das zu glauben.“ | |
| Fast scheint es, als kenne die Schwedin Merkels Rede bereits, die doch erst | |
| nach der ihren folgt. Denn ‚Business as usual‘ ist genau der Eindruck, den | |
| Merkels Klimapaket für viele Menschen vermittelt. Und viele der Sätze, die | |
| Thunberg so wütend machen, kommen bei Merkel anschließend fast wörtlich | |
| vor: „Wir alle haben den Weckruf der Jugend gehört“, erklärt die Kanzleri… | |
| Und versichert mit Verweis auf die klaren Aussage der Klimaforschung: | |
| „Deshalb müssen wir dem Ratschlag der Wissenschaft folgen.“ | |
| Tatsächlich ist Merkel selbst Naturwissenschaftlerin und versteht den | |
| Klimawandel so gut wie wenig andere Politiker*innen. Doch ihr Handeln ist | |
| davon überhaupt nicht mehr geprägt. Mit der Entscheidung für einen | |
| CO2-Preis von nur 10 Euro hat sie sich maximal von den Forderungen ihrer | |
| wissenschaftlichen Berater*innen distanziert, die einen Preis in fünffacher | |
| Höhe gefordert hatten. „Politik ist das, was möglich ist“ – so hat Merk… | |
| am Freitag den Unterschied zwischen Wissenschaft und Politik erklärt. Die | |
| Naturwissenschaftlerin Merkel, so zeigt sich immer mehr, ist in den letzten | |
| 30 Jahren immer mehr von der Politikerin Merkel verdrängt worden. | |
| ## Einen wirklichen Dialog gibt es nicht | |
| Und die fürchtet sich, anders als Greta Thunberg, nicht primär vor den | |
| Folgen des Klimawandels. Und auch nicht vor den jungen Menschen, die in | |
| Deutschland für ernsthaften Klimaschutz protestieren. Dass sie deren Stimme | |
| ohnehin nicht bekommt, dürfte der CDU-Kanzlerin klar sein. Wirklich an sich | |
| heran lässt sie deren Argumente darum nicht. | |
| So empfindet das zumindest Rebecca Freitag. Die 27-jährige Berlinerin, die | |
| eine internationale Petition zum Einhalten des 1,5-Grad-Ziels gestartet | |
| hat, ist bei dem UN-Gipfel als sogenannte Jugenddelegierte dabei. In dieser | |
| Funktion trifft sie auch kurz mit der Kanzlerin zusammen. „Sie sagt, sie | |
| hat uns gehört“, erzählt Freitag anschließend im deutschen Delegationsbüro | |
| direkt am Rand des UN-Geländes. „Aber mein Eindruck ist, sie hat uns nicht | |
| wirklich zugehört.“ Merkels Versprechen, das Klimaziel für 2030 auf jeden | |
| Fall zu erreichen, sieht sie skeptisch. „Das hat sie für 2020 schließlich | |
| auch schon versprochen.“ | |
| Was Merkel offensichtlich weitaus mehr fürchtet als die Enttäuschung der | |
| Jugend, sind die Wähler*innen auf dem Land, die zur AfD abwandern könnten, | |
| wenn die Kosten fürs Pendeln und Heizen zu schnell steigen. „Wir müssen die | |
| Menschen mitnehmen“, hatte sie schon bei der Vorstellung der Ergebnisse in | |
| Berlin gesagt. In New York führt sie den Gedanken weiter aus. „Es gibt | |
| diejenigen, die aktiv sind, die demonstrieren, uns Druck machen. Aber es | |
| gibt auch die Zweifler“, sagt die Kanzlerin „Und Aufgabe jeder Regierung | |
| ist es, alle Menschen mitzunehmen.“ | |
| ## Auch bei Thunberg gibt es eine Leerstelle | |
| Tatsächlich ist das eine Leerstelle bei Thunberg und den anderen | |
| Klima-Aktivist*innen: Wie lassen sich die objektiv notwendigen Maßnahmen | |
| umsetzen in einer Demokratie, in der ein relevanter Teil der Menschen allzu | |
| große Veränderungen ablehnt? | |
| Merkels Antwort lautet schlicht: gar nicht. Eine große Erzählung, die auch | |
| die zweifelnden Menschen überzeugen, mitnehmen könnte, bietet sie weder in | |
| Berlin noch in New York. Dabei sind die Chancen so gut wie nie. Doch den | |
| Umfragen, in denen sich breite Mehrheiten für einen entschlossenen | |
| Klimaschutz aussprechen, misstraut die Kanzlerin. Zumindest Teile der | |
| Wirtschaft erkennen immer stärker die Chancen, die der Kampf gegen den | |
| Klimawandel bieten kann. Doch auch das taucht in Merkels Rede nicht auf. | |
| Tatsächlich kommt die Hoffnung, die in New York bisweilen auch aufblitzt, | |
| weniger von den Staats- und Regierungschefs als vielmehr von | |
| Vertreter*innen großer Firmen. Über 90 von ihnen kündigen an, ihre | |
| Unternehmenspolitik künftig konsequent am 1,5-Grad-Ziel auszurichten. | |
| ## „Starkes Signal“ aus der Wirtschaft | |
| Ein Bündnis von Versicherungen und Pensionsfonds, das nach eigenen Angaben | |
| mehr als 2,4 Billionen Dollar Anlagevermögen verwaltet, sagt beim Gipfel | |
| außerdem zu, bis 2050 keine klimaschädlichen Unternehmen und Projekte mehr | |
| zu finanzieren. Aus Deutschland ist der Versicherungsriese Allianz dabei. | |
| „Den Klimawandel zu begrenzen, ist die Herausforderung unserer Zeit“, sagt | |
| deren Chef Oliver Bäte, der in New York kurz nach Merkel ebenfalls reden | |
| darf. „Politik, Wirtschaft und Gesellschaft müssen gemeinsam handeln, um | |
| Klimagase schnell zu reduzieren.“ Das kommt auch bei Umweltverbänden gut | |
| an. „Die Investoren senden damit ein starkes Signal“, meint Christoph Bals | |
| von der Organisation Germanwatch, der den Gipfel vor Ort verfolgt. | |
| Greta Thunberg hat die UN-Versammlung zu diesem Zeitpunkt schon wieder | |
| verlassen. Doch örtlich und thematisch bleibt sie in der Nähe: Auf dem | |
| benachbarten Gelände des UN-Kinderhilfswerks Unicef reichte sie zusammen | |
| mit 15 weiteren Kindern und Jugendlichen eine offizielle Beschwerde beim | |
| Kinderrechtsausschuss der Vereinten Nationen ein. „Die Staats- und | |
| Regierungschefs der Welt versagen dabei, die Rechte der Kinder zu | |
| beschützen, indem sie weiter nichts gegen die Klimakrise unternehmen“, | |
| sagte sie. | |
| Auch Merkel hat den Gipfel kurz nach ihrer Rede verlassen. Nacheinander | |
| trifft sie die Präsidenten Serbiens, des Irak und der Türkei, um | |
| außenpolitische Fragen zu erörtern. Ums Klima geht es ihr – auch hier – n… | |
| noch am Rande. | |
| 24 Sep 2019 | |
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| Malte Kreutzfeldt | |
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