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# taz.de -- Der Hype um Greta: Klimaheldin oder Nervensäge?
> Spätestens seit ihrer Rede beim UN-Klimagipfel scheiden sich die Geister
> an Greta Thunberg. Auch in der taz – sieben Meinungen.
Bild: Sind Tränen Argumente?
## Tränen ersetzen keine Argumente
Was, bitte, war denn das? [1][Da tritt ein Mädchen ans Rednerpult der
Vereinten Nationen] und feuert eine, von unterdrücktem Schluchzen
begleitete, Wutsalve an „die Alten“ und „das System“ ab. Ganze Ökosyst…
sterben! Meine Zukunft ist dahin! Und ihr schweigt!! Für diese Explosion
wird die Rednerin artig beklatscht von den erwachsenen WeltenlenkerInnen,
die sie eigentlich angreift.
Greta Thunbergs Rede steht exemplarisch für die Überemotionalisierung der
Klimadebatte, die wir derzeit erleben. SUV=böse! Fliegen=igitt!
Regenwald=yeah! Das ist mir, ehrlich gesagt, zu blöd. Ich finde: Wut und
Tränen haben auf der politischen Bühne nichts zu suchen. Emotionen ersetzen
keine Argumente, sie schüren nur weitere Emotionen: Mitleid, Euphorie,
Hass, Trotz.
Damit muss jetzt mal Schluss sein. Wir müssen aufhören, über einen Popstar
wider Willen namens Greta zu reden. Sondern über die Misere, die sie ins
Rampenlicht befördert hat: Über das global ungleiche und
ressourcenvernichtende System, in dem wir alle leben. Um das zu verändern,
muss man streiten, demonstrieren, Allianzen schmieden, verhandeln und
forschen. Tränen und Starkult helfen da nicht weiter. Nina Apin, Meinung
***
## Es reicht lange noch nicht
Greta Thunberg ist keine Heilsbringerin, keine PR-Strategin, keine
Politikerin und keine Geschäftsfrau, sondern ein Teenager mit Asperger. So
bekannt das mittlerweile ist, so sehr geht die Bedeutung dessen immer
wieder unter. Das Syndrom führt dazu, Emotionen anders zu erleben und
auszudrücken.
Doch so oder so: Was maßen wir uns an, eine Jugendliche für ihre Ängste zu
verurteilen? Wie überheblich sind KommentatorInnen weltweit, eine
Pubertierende dafür zu kritisieren, wütend zu sein? Am sicheren, bequemen
Schreibtisch muss niemand von uns den Hass aushalten, der ihr
entgegenschlägt, und niemand ein Leben, das wohl nie wieder jenseits der
Öffentlichkeit geführt werden kann. Denn Thunberg hat ja recht: Eine
normale Jugend ist für sie längst unmöglich.
Was muss dieses Mädchen alles können, was muss Greta alles sein: unfehlbar,
drunter machen wir es nicht. Würden wir diese Maßstäbe an Männer wie Putin
oder Trump anlegen, die Welt wäre ein besserer Ort. Wir sollten Greta
feiern, ihr zujubeln und ihr und uns zur Seite stehen. Um also die Frage zu
beantworten: Es reicht noch lange nicht. Patricia Hecht, Inland
***
## Teenagerin mit Schmackes
„Beim Auftritt von Greta Thunberg bei der UNO habe ich mich gefragt, was
das für Eltern sind, die den Profiteuren der Klimaschutzindustrie nicht
verbieten, ihr geistig gestörtes Kind für ihre Geschäfte derart zu
missbrauchen.“ Das hat kein Klimawandelleugner gepostet, sondern Dieter
Hanitzsch, ehemaliger Karikaturist von SZ und heute Abendzeitung.
Nicht ganz so niederträchtig, aber ähnlich drastisch [2][bringen viele
ältere Männer ihre ablehnende Haltung] gegen die 16-jährige Greta Thunberg
zum Ausdruck. Ob ihr „Fundamentalismus“ vorgeworfen wird oder ein
„Mutterkomplex“ besteht, gefühlt wird die Schwedin alle fünf Minuten von
Karl Kraus’ fünfter Kolonne durchs mediale Dorf getrieben.
Was ihr Engagement an Dynamik bewirkt hat, konnte man jüngst in Berlin
erleben, wo Hunderttausende ohne Ideologiepanzer, aber mit Schmackes in
Thunbergs Sinne auf den Straßen waren. Es genügt an dieser Stelle auch ein
Hinweis, dass sie Teenagerin ist, die nicht jeden Satz druckreif in
Mikrofone spricht. Sie hält sich auch nicht an das diplomatische Protokoll.
Das ist gut so, oder soll sie die Massen einschläfern wie Klaus Töpfer?
Gebt ihrer Jugend eine Chance! Julian Weber, Kultur
***
## Moralischer Popstar
Mein Verhältnis zu Greta ist ambivalent. Ich finde es gut, dass mit ihr die
Klimadiskussion, die Kritik am exzessiven Fliegen und unserem
ressourcenfressenden Lebensstil Hochkonjunktur haben. Flugscham ist
plötzlich in aller Munde, auch bei Leuten, die noch nie ernsthaft über ihre
eigene Klimabilanz nachgedacht haben. Das ist ein Erfolg, wenn man die
zähen, jahrzehntelangen, ergebnislosen Diskussionen über
Flugbezinbesteuerung, sanfte Formen des Reisens, ökologisches Wirtschaften
verfolgt hat. Endlich bewegt sich was, lautstark und überall dringt die
Bedrohung der Welt ins Bewusstsein. Und Greta der Popstar mobilisiert die
Jugend.
Es gibt aber auch die Greta mit dem kategorischen, moralischen Imperativ.
Sie ist mir suspekt. [3][Ihr moralischer Eifer, die sektenhafte
Gewissheit], die humorfreie Klarheit, für die richtige Sache zu kämpfen,
wirken wie ein hipper Öko-Kinderkreuzzug. Gretas Follower*innen und
Mitstreiter*innen stehen völlig unbeleckt auf der richtigen Seite. Die
Schuldigen haben sie ausgemacht: die maßlos konsumierenden Generationen vor
ihnen, die Politiker*innen. Greta und die Bewegung Fridays for Future
entlastet unser ökologisches Gewissen. Eine reine Bewegung, zu rein. Edith
Kresta, Reise
***
## Endlich eine undiplomatische Wutrede
Auf eine undiplomatische Wutrede wie die von Greta Thunberg warte ich schon
seit etwa 20 Klimakonferenzen. Da werden Reden gern mit dem Aufruf beendet:
„The time to act is now!“ Ergebnis: wenig Emotionen, weiter steigende
Emissionen. Die Materie ist extrem komplex, sicher. Aber was in den
klimatisierten Konferenzzentren fehlt, wo vor der Erderhitzung und dem
Kollaps ganzer Ökosysteme gewarnt wird – das sind die Angst und die Wut des
realen Lebens. Und zwar nicht nur bei Menschen, deren Heimat durch Stürme
oder steigende Meeresspiegel zerstört wird. Sondern bei allen, die sich
ernsthaft mit dem Thema befassen – auch und gerade bei Wissenschaftlern,
denen angesichts ihrer eigenen Zahlen das kalte Grausen kommt.
Am Mittwoch geschah wieder einmal genau das: In Monaco stellte der
Weltklimarat IPCC neue Horrordaten zu schmelzenden Eisflächen und
steigenden Meeren vor. In sachlicher Sprache. Ergebnis: Die Daten werden
zur Kenntnis genommen. Das war’s. Greta Thunberg sagt: „Ich will, dass ihr
Panik bekommt.“ Aber um diese Panik zu fühlen, muss man gar nicht unbedingt
ihr zuhören – [4][es reicht auch ein Blick in den IPCC-Bericht]. Cool
bleibt da nur, wer keine Ahnung hat. Oder wer die Realität verleugnet.
Bernhard Pötter, Wirtschaft + Umwelt
***
## Da wird mir angst und bange
Greta Thunberg hat ihr Ziel bei mir erreicht. Ich spüre Panik. Zum ersten
Mal, seit die streikende Schülerin die globale Klimapolitik aufmischt und
sagt: „Ich will, dass ihr in Panik geratet.“ Womit Greta ja nicht nur
Politiker meint, sondern alle, die zu wenig fürs Klima tun, also auch
mittelalte und mittelängstliche Mitteleuropäer wie mich.
Diese Woche war es so weit: Wenn mich ein Kind mit großen, verweinten Augen
anschreit, vom Beginn des Massenaussterbens redet und wütend droht, dass es
mir nie vergeben wird, wenn ich nicht sofort genug dagegen tue, ja, dann
wird mir angst und bange. Aber nicht, weil ich jetzt endlich verstehe, wie
dringend der Klimaschutz ist. Sondern weil es mich abschreckt. Diese totale
Fokussierung auf ein einziges Ziel, die alle anderen Aspekte wie
Arbeitsplätze ausblendet und die alle, die nicht sofort mitziehen, vor
ewiger Verdammnis warnt.
Nein, ich werfe nicht Greta vor, dass sie so redet. Sie kann natürlich so
reden, wie sie will oder muss. Aber ich finde es erschreckend, wie viele
Medien und Menschen diese aggressive Art vorbildlich finden. Ich fürchte,
sie polarisiert, sie überzeugt nur die ohnehin Überzeugten und schreckt die
Schwankenden ab. Lukas Wallraff, taz.eins
***
## Come on, das ist Weltschmerz
Was wurde sich in den letzten Tagen über den dramatischen Auftritt von
Greta Thunberg ereifert. Was wurde gelästert, geschimpft und sich
fremdgeschämt. Aber come on! Sie ist eine Teenagerin. Eine junge Frau, die
ihren Gefühlen freien Lauf lässt. Und mal ehrlich: Wer kann sich nicht
daran erinnern, wie man, mit dem Weltschmerz hadernd, mit der
Freund*innen-Gang abhing, Johnny Cash hörte und das Unglück des eigenen
Lebens, der politischen Lage beklagte? Am besten noch auf einem einsamen
Dach im Sonnenuntergang?
Solche oder so ähnliche Erinnerungen dürften viele Menschen, die in den
westlichen Industrieländern aufwuchsen, haben. Alles andere als ein hoch
emotionaler Auftritt Thunbergs wäre unglaubwürdig. Gerade deshalb ist sie
so vielen jungen Menschen so nah. Weil sie genau dieses Gefühl zwischen
„die Welt ist verdammt“ und „ich kann alles erreichen“ nur zu gut kenne…
Thunberg hat keine Angst, dies zu zeigen. Weder damals, als sie vor rund
einem Jahr mit ihrem pinkfarbenen Rucksack auf dem Bürgersteig saß und zur
Rettung des Klimas ihre Schule bestreikte, noch heute, wenn sie vor den
Mächtigsten der Welt spricht. Tanja Tricarico, tazeins
26 Sep 2019
## LINKS
[1] /Merkel-und-Greta-Thunberg-bei-den-UN/!5629713
[2] https://pinkstinks.de/maenner-die-auf-greta-schimpfen/
[3] /Klimaschutz-als-Religion/!5626370
[4] /Bericht-des-Weltklimarates/!5058264
## TAGS
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