# taz.de -- Stundenlange Kontrolle der Bundespolizei: Lange Nachspielzeit für … | |
> Am Sonnabend wurden 855 HSV-Fans über Stunden in einem Zug festgehalten, | |
> um 60 mutmaßliche Gewalttäter zu identifizieren. War das verhältnismäßig? | |
Bild: „Zur Schau gestellt“ hat sich einer der betroffenen HSV-Fans gefühlt | |
HAMBURG taz | Nach einer groß angelegten Razzia gegen Fans des Hamburger | |
Sportvereins (HSV) am Samstagabend am Bahnhof Hamburg-Bergedorf steht die | |
[1][Bundespolizei] in der Kritik. Etwa 400 Beamte haben nach dem | |
Auswärtsspiel in Rostock 855 Fußballanhänger stundenlang in einem | |
Regionalzug festgehalten und kontrolliert. Der Grund: Die Bundespolizei | |
wollte Fans identifizieren, die im vergangen September an einer Schlägerei | |
in Mannheim beteiligt gewesen waren. | |
Insgesamt handelte es sich dabei um 60 Verdächtige. Außerdem sollen einige | |
Fans am Samstag bei der Abreise aus Rostock Polizeibeamte angegriffen | |
haben. Von allen Fans im Zug wurden deshalb Personalien aufgenommen. | |
Einer von ihnen war Julius Reuting, der nach eigener Aussage zum ersten Mal | |
bei einer HSV-Auswärtsfahrt dabei war. Den Einsatz in Bergedorf hält er für | |
unverhältnismäßig. Er habe von 19.45 Uhr bis etwa 23.15 Uhr im Zug warten | |
müssen, anschließend seien auch seine Personalien aufgenommen worden. Das | |
deckt sich auch mit Darstellungen der Bundespolizei: Laut einer | |
Pressemitteilung haben von 20.10 bis 02.30 Uhr Identitätsfeststellungen | |
stattgefunden. | |
„Im Zug war es unglaublich stickig, wir durften die Fenster nicht öffnen, | |
haben kein Wasser bekommen und die Sanitäranlagen waren in meinem Abteil so | |
überlaufen, dass wir sie nicht mehr wirklich benutzen konnten“, sagt er der | |
taz. Einige Menschen seien auf dem Bahngleis von Sanitätern behandelt | |
worden, das habe Reuting aus dem Fenster heraus beobachten können. Die | |
Fanhilfe des HSV habe nach einigen Stunden Wasserflaschen in den Zug | |
reichen können. | |
## Bedenken „nicht ernst genommen“ | |
Die Bundespolizei habe insgesamt schlecht kommuniziert. Erst um 20.15 Uhr, | |
eine Stunde nachdem der Zug in Bergedorf hielt, habe es die erste direkte | |
Durchsage der Polizei gegeben, um über das Vorgehen zu informieren. | |
„Während der gesamten Zeit war es nur schwer möglich, mit Verantwortlichen | |
zu sprechen“, sagt Reuting. „Der Einsatzleiter kam erst gegen 23 Uhr | |
vorbei. Unsere Bedenken, dass die Luft schlecht ist und wir kein | |
Trinkwasser haben, hat er nicht wirklich ernst genommen.“ | |
Reuting sei nach dreieinhalb Stunden in einer Zehner-Gruppe aus dem Zug zu | |
einer Bearbeitungsstelle vor dem Bahnhof geführt worden, wo seine | |
Personalien aufgenommen wurden. „Auf dem Weg dahin hatten wir | |
Einzelmanndeckung, ich habe mich gefühlt, als wäre ich ein | |
Schwerstkrimineller. Das war sehr unangenehm vor den Passant*innen auf | |
dem Gleis. Ich habe mich richtig zur Schau gestellt gefühlt“, sagt er. | |
Kritik an dem Einsatz gibt es auch aus der Politik: Die | |
Fraktionsvorsitzende der Linken Cansu Özdemir schrieb auf Anfrage der taz: | |
„Der ganze Einsatz wirft ernstliche Fragen nach der Verhältnismäßigkeit | |
auf.“ Aber woran lässt sich überhaupt festmachen, wann ein Einsatz | |
verhältnismäßig ist – oder eben nicht? | |
„Dafür muss man unterscheiden zwischen dem Einsatz an sich und der Art der | |
Durchführung“, so Özdemir. Ersteres sei bereits fragwürdig: „Wenn über … | |
Fans für einige wenige Verdächtigte stundenlang kontrolliert werden, macht | |
das den Eindruck, als würden die Fans in Kollektivhaft genommen.“ Ohne | |
genaueres Wissen über das Ermittlungsverfahren lasse sich diese Frage aber | |
nicht bewerten. | |
Die Durchführung des Einsatzes sei jedoch unangemessen gewesen: Es sei | |
nicht in Ordnung, Personen ohne Toilettenmöglichkeit in einem überhitzen | |
Zug festzuhalten. Die Politikerin fordert, den Einsatz politisch und | |
rechtlich aufzuarbeiten. Auch die innenpolitische Sprecherin der | |
Grünen-Fraktion, Sina Imhof, hält den Einsatz für unangemessen. „Die | |
Maßnahme der Polizei, die auch zahlreiche Minderjährige und Frauen | |
betroffen hat, scheint nicht ausreichend durchdacht gewesen zu sein“, | |
teilte sie auf taz-Anfrage mit. Die Berichte von betroffenen Fans nehme sie | |
ernst, auch ihre Fraktion wolle die Durchführung des Einsatzes deshalb | |
aufklären. | |
Die [2][„Fanhilfe Nordtribüne“] der HSV-Anhänger*innen geht einen Schritt | |
weiter. Sie bezeichnet die Razzia nicht nur als unangemessen, sondern | |
verurteilt sie als rechtswidrig. „Es war klar, dass mehr als 90 Prozent der | |
mitfahrenden Fans nichts mit den Vorfällen in Mannheim oder Rostock zu tun | |
hatten“, sagt ein Vertreter der Fanhilfe. „Da lässt sich auf jeden Fall | |
argumentieren, dass der Einsatz nicht verhältnismäßig war.“ Ob das stimmt, | |
ist eine Frage die letztlich Gerichte entscheiden. | |
In einer Stellungnahme ruft die Fanhilfe betroffene Fans bereits dazu auf, | |
Gedächtnisprotokolle von dem Einsatz anzufertigen, um juristische Schritte | |
einleiten zu können. Die Gruppierung schließt auch nicht aus, | |
strafrechtlich gegen die Einsatzleitung vorzugehen und Schadensersatz zu | |
fordern. Inzwischen hätten schon mehr als 100 betroffene Fans ihre | |
Protokolle geschickt, so der Vertreter. | |
## Landfriedensbruch „schwerwiegende Straftat“ | |
Und wie rechtfertigt die Bundespolizei den Einsatz? In einer | |
Pressemitteilung begründet Einsatzleiter Jan Müller die Razzia mit dem | |
Schweregrad der Vorwürfe: „[3][Landfriedensbruch] ist eine schwerwiegende | |
Straftat, die die Sicherheit und den Frieden unserer Gesellschaft bedroht. | |
Wir nehmen diese Straftaten äußerst ernst und setzen alle verfügbaren | |
Ressourcen ein, um die Verantwortlichen zu identifizieren.“ Die | |
Bundespolizei wolle gewährleisten, dass Bahnreisen von Fußballfans sicher | |
ablaufen, heißt es weiter. | |
Der Inspektionsleiter aus Karlsruhe ergänzt, ein entschlossenes Vorgehen | |
der Bundespolizei würde ein deutliches Zeichen gegen „Fußballstörer“ | |
setzen: „Es gibt keine Toleranz bei Straftaten und Gefahren im Zusammenhang | |
mit dem Fußballfanreiseverkehr!“ Auf Nachfragen antwortete die zuständige | |
Pressestelle der Bundespolizei in Hannover bis Montagabend nicht. | |
Bereits am Sonntagmorgen hatte die Bundespolizei mitgeteilt, dass bislang | |
insgesamt 52 mutmaßliche Gewalttäter identifiziert worden seien. Durch die | |
Aktion am Bahnhof Bergedorf seien 31 Tatverdächtige ermittelt worden. Nach | |
Angaben der Bundespolizei verlief die Kontrolle weitgehend störungsfrei. | |
19 Feb 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Bundeskabinett-beschliesst-Gesetz/!5981037 | |
[2] https://nordtribuene-hamburg.de/fanhilfe/ | |
[3] /Sechseinhalb-Jahre-nach-dem-G20-Protest/!5982253 | |
## AUTOREN | |
Anna Lindemann | |
## TAGS | |
Fußball | |
Fanszene | |
Fangewalt | |
HSV | |
Schwerpunkt Polizeikontrollen in Hamburg | |
GNS | |
IG | |
Fanszene | |
Fußball | |
Kolumne Press-Schlag | |
Fußball | |
HSV | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Stundenlange Kontrolle durch die Polizei: Nachspielzeit für St.-Pauli-Fans | |
Rund 140 St. Pauli-Fans wurden nach einem Auswärtsspiel aufgehalten und | |
kontrolliert. Es ist die zweite große Kontrolle innerhalb weniger Wochen. | |
Neuer HSV-Trainer: Steffen Baumgart will aufsteigen | |
Der neue HSV-Trainer ist schon seit Kindertagen Fan seines neuen | |
Arbeitgebers. Bei seiner Vorstellung am Dienstag zeigte er sich | |
ambitioniert. | |
Was vom Spieltag übrig blieb: Mit der Bitte um Eskalation | |
Betrachtungen zum Wochenend-Fußball: Warum werfen die Fans keine | |
Medizinbälle, und wieso geht es bei Alemannia Aachen rund? | |
HSV trennt sich von Trainer Tim Walter: Volkstribun am Ende | |
Nach dem wilden 3:4 gegen Hannover 96 war der bei Team und Publikum | |
beliebte Fußballtrainer nicht mehr zu halten. Zunächst übernimmt sein | |
Assistent. | |
Rechte Fans beim HSV: Unliebsame Löwen zurück beim HSV | |
Eine rechtsextreme Fangruppe machte sich kürzlich per Banner im Stadion | |
bemerkbar. Doch es gibt Widerstand. |