# taz.de -- Streit um Corona-Impfstoff: Ausgerechnet AstraZeneca | |
> Der Pharmakonzern wird kritisiert, weil er der EU zu wenig Vakzine | |
> bereitstellt. Global lässt er Impfstoffe auch von Entwicklungsländern | |
> produzieren. | |
Bild: Einsatz des AstraZeneca Corona-Impfstoffs AZD1222 in Nepal | |
BERLIN taz/afp | Bei dem Corona-Impfstoff AZD1222 des britisch-schwedischen | |
Arzneimittelkonzerns AstraZeneca bahnt sich ein ernsthaftes Problem an: | |
Möglicherweise wird die EU das Vakzin zunächst nicht für ältere Menschen | |
über 65 zulassen. Also ausgerechnet für diejenigen, die am häufigsten an | |
einer Covid-Erkrankung sterben. Das deutete die Chefin der Europäischen | |
Arzneimittel-Agentur EMA am Dienstagabend an. Am Freitag will die Behörde | |
ihre Empfehlung bekannt geben, dann könnte die EU-Kommission die Zulassung | |
erteilten, es wäre der dritte Impfstoff gegen Corona. | |
AstraZeneca steht derzeit massiv in der Kritik, weil es seine | |
Lieferversprechen gegenüber der EU offenbar nicht einhalten kann. 400 | |
Millionen Impfdosen hat die EU im August 2020 bestellt, 336 Millionen Euro | |
für Entwicklung und Fertigung angezahlt. 80 Millionen Impfdosen sollten im | |
ersten Quartal 2021 dafür geliefert werden. Nun werden es wahrscheinlich | |
aber [1][lediglich 31 Millionen]. Damit steht auch der deutsche Impfplan | |
auf der Kippe. | |
Am Mittwochabend stand das Unternehmen der EU-Kommission Rede und Antwort. | |
Beide Seiten bezeichneten die Beratungen am Mittwochabend zwar als | |
„konstruktiv“. Doch beklagte EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides, | |
dass es weiterhin einen „Mangel an Klarheit“ über den Zeitplan für die | |
Versorgung der EU mit dem AstraZeneca-Vakzin gebe. Ein AstraZeneca-Sprecher | |
sagte nur, beide Seiten hätten sich zu einer „sogar noch engeren | |
Koordination“ des Fahrplans für die Impfstoff-Lieferung verpflichtet. | |
Derzeit schieben sich Kommission und Unternehmen gegenseitig die Schuld an | |
den Lieferengpässen zu. | |
Die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Katarina Barley, plädierte | |
im Deutschlandfunk dafür, der Konzern solle Konkurrenten einspannen. Eine | |
mögliche Entschädigung helfe nicht, „sondern wir wollen Impfdosen.“ Sie | |
kritisierte zudem, dass der Vertrag zwischen der EU und AstraZeneca für die | |
EU-Parlamentarier nicht einsehbar sei. „Das ist wirklich ein Problem.“ | |
## AstraZenica setzt am stärksten auf weltweite Verteilung | |
Unabhängig davon gerät mit AstraZeneca ausgerechnet jener Konzern in die | |
Schusslinie, der sich am stärksten für eine faire Verteilung von | |
Impfstoffen auf der Welt einsetzt. „AstraZeneca macht vieles richtig, was | |
andere Impfstoffhersteller bisher schuldig bleiben“, sagt Scherwin Saedi, | |
Deutschlandsprecher der Entwicklungsorganisation ONE. Die US-amerikanische | |
Entwicklungsorganisation gibt regelmäßig ein [2][entsprechendes Ranking] | |
heraus. Schon zu Beginn der Pandemie ist AstraZeneca Partnerschaften mit | |
Generikaherstellern in Entwicklungsländern eingegangen, etwa mit Oswaldo | |
Cruz & Fiocruz in Brasilien und dem Serum Institute of India. | |
Letzterer ist weltgrößter Generikahersteller – in Indien wird [3][bereits | |
geimpft]. Das Serum Institute will laut WHO noch im ersten Quartal dieses | |
Jahres 150 Millionen Impfdosen zur globalen Verteilung zur Verfügung | |
stellen – und das übrigens zum Selbstkostenpreis: AstraZeneca arbeitet nach | |
eigenen Angaben bis Mitte 2021 ohne Gewinn aus dem Corona-Impfstoff. Selbst | |
Länder wie Marokko haben laut Medienberichten bereits Impfdosen aus Indien | |
erhalten – aus der EU, immerhin direkter Nachbar, kam bisher nichts. | |
Biontech und Pfizer wollen im ersten Quartal weitere 40 Millionen Dosen für | |
Entwicklungsländer bereitstellen. | |
## AZD1222 wichtig in Entwicklungsländern | |
Was den globalen Einsatz von AZD1222 noch behindert, ist eine fehlende | |
Zulassung durch die Weltgesundheitsorganisation, die in der Regel den | |
Empfehlungen der Europäer oder US-Amerikaner folgt. In den USA aber soll | |
der AstraZeneca-Impfstoff [4][laut Medienberichten] erst nach weiteren | |
klinischen Studien im April zugelassen werden. Der Grund dafür ist, dass es | |
noch nicht genug Daten zur Wirksamkeit des Impfstoffes bei älteren Menschen | |
über 65 gibt. Auch in Großbritannien, wo der Impfstoff bereits eine | |
Notfallzulassung erhielt, verwies die Zulassungsbehörde MHRA in einem | |
Bericht auf diesen Umstand ([5][hier] auf Seite 33), ging aber trotzdem von | |
einer Wirksamkeit aus. Sollte die EMA nun mit der Zulassung zögern, könnte | |
sich ausgerechnet die große Impfhoffnung für die Entwicklungsländer | |
verspäten. | |
Der andere Ansatz von AstraZeneca ist auch mit der Eigentümerstruktur des | |
Impfstoffes AZD1222 zu erklären. Die Impftechnologie ist an der Universität | |
Oxford entwickelt worden, die Patente liegen laut einem [6][Bericht der | |
Organisation Medicines Law & Policy] bei der Universität selbst und einem | |
Spin-off namens Vaccitech. AstraZeneca ist lediglich exklusiver | |
Lizenznehmer. Auch wenn AstraZeneca ein großes Pharmaunternehmen sei, könne | |
die Eigentümerstruktur des Corona-Impfstoffes ein neues Entwicklungsmodell | |
in der Pharmabranche aufzeigen, heißt es in dem Bericht, eines, in dem | |
Pharmakonzerne nicht durch monopolartige Preisstrukturen ihre | |
Entwicklungskosten erwirtschaften und hohe Profite machen. | |
28 Jan 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Weniger-Impfstoff-von-AstraZeneca/!5743297 | |
[2] https://www.one.org/international/vaccine-access-test/ | |
[3] /Impfstart-in-Indien/!5744541 | |
[4] https://www.reuters.com/article/us-health-coronavirus-usa-astrazeneca-idUSK… | |
[5] https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/… | |
[6] https://medicineslawandpolicy.org/wp-content/uploads/2020/10/How-the-Oxford… | |
## AUTOREN | |
Ingo Arzt | |
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