# taz.de -- Strafvollzug in der Ukraine: Extraklo und Pizzaservice | |
> Ein Untersuchungsgefängnis in Kiew bietet einigen Gefangenen Zellen mit | |
> erhöhtem Komfort an, um Korruption vorzubeugen. | |
Bild: Nur für die mit dem extra Groschen: Luxus Zelle | |
KIEW/MÖNCHENGLADBACH taz | Umgerechnet gut 400 Euro im Monat kostet ein | |
Bett in der Unterkunft Lukjaniwska in der Kiewer Dehtiariwskastraße 13, | |
gerade einmal zwanzig Minuten Busfahrt vom zentralen Maidan-Platz entfernt. | |
Den Raum muss man sich mit einem, zwei oder manchmal auch mit drei Personen | |
teilen. | |
Es gibt sicher kostengünstigere Absteigen in der ukrainischen Hauptstadt. | |
Doch diese Unterkunft, 1863 eröffnet, hat Tradition. Hier ist man in guter | |
Gesellschaft. Die ehemalige Premierministerin Julia Timoschenko hatte hier | |
genauso genächtigt wie der ehemalige Generalstaatsanwalt Jurij Luzenko oder | |
der Chef des sowjetischen Geheimdienstes, Felix Dzerschinskij. | |
Doch diese Unterkunft ist kein gewöhnliches Hotel, sondern ein | |
Untersuchungsgefängnis. Und für diese Haftanstalt hat sich das ukrainische | |
Justizministerium nun ein Pilotprojekt ausgedacht: „Zellen mit erhöhtem | |
Komfort“. 13 der insgesamt 2.300 Häftlinge sollen künftig in diesen Zellen, | |
die in ihrer Atmosphäre eher an ein Hotel erinnern, wohnen. | |
Wenn sie denn die Miete bezahlen können. Einfache Ladendiebe indes werden | |
sich eine derartige Zelle wohl eher nicht leisten können. Hier hat man, was | |
es in den anderen Zellen nicht gibt: einen Kühlschrank, ein Fernsehgerät | |
mit Plasmabildschirm, eine abgetrennte Toilette und Dusche, angenehme | |
Lichtverhältnisse, einen Microwellenherd, Kunststofffenster, eine | |
Klimaanlage und sehr viel Platz. Wer keine Lust zum Kochen hat, kann sich | |
auch eine Pizza vorbeibringen lassen. Das alles sind Dinge, von denen die | |
übrigen Insassen des Untersuchungsgefängnisses Lukjaniwska nur träumen | |
können. | |
## Bis zu 40 Grad im Sommer | |
Geduldig schließt der Wärter eine gewöhnliche Zelle auf. „Treten Sie ein�… | |
fordert er die Besucher auf. Dicht gedrängt leben in diesem engen Raum | |
zwölf Männer, jeweils zwei müssen sich ein Bett teilen. Auch fünf Katzen | |
gibt es. Schummrig und stickig ist es, bis zu 40 Grad heiß könne es hier im | |
Sommer werden, sagt Vadim, der schon über zwei Jahre in dieser Zelle sitzt. | |
Er ist bereits vorbestraft, wegen Raubes und Diebstahls. Nun hat er ein | |
weiteres Verfahren am Hals. An den Heizrohren hängt Kleidung, an den Wänden | |
breitet sich Schimmel aus. Auf einem Tisch stehen ein Fernseher und ein | |
Wasserkocher. Vor der Toilette, ein einfaches Loch im Boden, versperrt ein | |
Vorhang die Sicht. „Das ist noch gar nichts“, sagt Wadim. „Als ich in | |
Dnjepropetrowsk saß, waren wir 80 Leute in einer Zelle.“ | |
Man sieht dem Gebäude an, dass es 1863 gebaut wurde und vor 30 Jahren die | |
letzte Renovierung gesehen hat. In den Gängen fällt der Putz von den | |
Wänden. | |
Wie korrupt es hinter den Gefängnismauern zugeht, zeigte ein Vorfall Anfang | |
2018. Obwohl es in der Untersuchungshaft weder Telefon noch Internet gibt, | |
hatten Mitglieder des rechtsradikalen Freiwilligenbataillons „Tornado“, die | |
wegen des Vorwurfs von Folter, Misshandlungen und Verbrechen an der | |
Zivilbevölkerung im Donbass in U-Haft waren, über Facebook im | |
Untersuchungsgefängnis Lukjaniwska einen Aufstand vorbereitet. Anschließend | |
hatte man in ihren Zellen Baseballschläger, Sprengstoff und Messer | |
entdeckt. | |
## Transparentes Verfahren | |
Zum einen wolle man, so der ukrainische Justizminister Denis Maljuska auf | |
dem Portal seines Ministeriums, mit diesen neuen Zellen die [1][Korruption] | |
bekämpfen. Schließlich gebe es auch jetzt schon Zellen mit besserem | |
Komfort. Doch wer in den Genuss dieser Zellen komme, so Maljuska, | |
entscheide einzig das Personal. | |
Jetzt könne man ganz offiziell, per Antrag und Online-Überweisung an die | |
Justizbehörden, eine bessere Zelle beantragen. Dieses Verfahren sei | |
transparent und könne so Korruption verhindern. Außerdem werde das | |
erwirtschaftete Geld für die Renovierung des Untersuchungsgefängnisses | |
eingesetzt. Dieses sei wegen fehlender finanzieller Mittel in einem sehr | |
miserablen Zustand. | |
Olexandr Pawlitschenko, Geschäftsführer der ukrainischen Helsinki Human | |
Rights Union, kann diesem Pilotprojekt nichts abgewinnen. „Die überwiegende | |
Mehrheit, mindestens 90 Prozent der Untersuchungshäftlinge, haben doch | |
überhaupt nicht das Geld, um so eine Zelle zu bezahlen.“ Viel besser, so | |
Pawlitschenko, wäre es, wenn Richter seltener U-Haft anordnen würden. Und | |
mit diesem eingesparten Geld könne man das Untersuchungsgefängnis | |
renovieren. | |
Für Sergij Starenkij, den ehemaligen Chef des ukrainischen Strafvollzuges, | |
ist der Umstand, dass Häftlinge für ihren Antrag auf eine derartige Zelle | |
die Zustimmung des Leiters der Haftanstalt brauchen, eine Sollbruchstelle. | |
An diesem Punkt könnte Bestechlichkeit ins Spiel kommen, so Starenkij | |
gegenüber dem Radiosender Hromadske. | |
Die Luxuszellen im Kiewer Untersuchungsgefängnis Lukianiwska werden nicht | |
die einzigen ihrer Art bleiben. Als Nächstes soll auch das | |
Untersuchungsgefängnis von Lemberg in der Westukraine mit „Zellen erhöhten | |
Komforts“ ausgestattet werden. Und irgendwann in naher Zukunft wollen die | |
Behörden derartige Zellen dann auch weiblichen Gefangenen anbieten. | |
4 Jun 2020 | |
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[1] /Ukraine-Gate-und-die-USA/!5638375 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Clasen | |
Grigori Pyrlik | |
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