# taz.de -- Stimmen aus dem Iran: „Ich verfluche euch“ | |
> Nicht erst seit dem jüngsten Angriff auf Israel sind viele Menschen in | |
> Iran besorgt – und wütend auf das Regime in Teheran. | |
Bild: Irans Machthaber prahlen mit ihren Raketen auf Israel | |
BERLIN taz | Wenn Hamid Moini* an den [1][Angriff des iranischen Regimes | |
auf Israel] am vergangenen Sonntag denkt, kann er nur spotten. „Das Regime | |
hat sich lächerlich gemacht“, sagt er. Moini ist 35 Jahre alt, und lebt in | |
Schiraz. Er war einer der vielen Menschen, die im Jahr 2022 auf die Straßen | |
gingen und gegen die Islamische Republik protestierten. | |
„Dieses Theater hat uns Menschen 500 Millionen Dollar gekostet“, fügt er | |
hinzu. Die Summe schätzt er nur, aber eines weiß er sicher: „Als ob es den | |
Menschen in Iran nicht schon schlecht genug geht, klaut das Regime immer | |
nur weiter das Geld, das der Bevölkerung zusteht.“ Mit dem Angriff habe das | |
Regime aus seiner Sicht jedoch nur die eigene Schwäche bewiesen. „Das | |
Regime ist wie ein kläffender Hund, den niemand ernst nimmt.“ | |
In den Tagen nach dem Beschuss Israels durch Iran und vor der militärischen | |
Reaktion Israels am Freitag schwanken viele Iraner:innen zwischen | |
Zynismus, Sorge und Wut. Viele machten ihren Gefühlen in den sozialen | |
Medien Luft. „Ich verfluche euch“, schrieb ein Iraner aus Teheran auf | |
Instagram. „Wir wollten nur leben und nichts anderes, und genau das habt | |
ihr uns mit aller Kraft weggenommen.“ | |
Der Widerstand wurde so offensichtlich, dass sich der Geheimdienst der | |
Revolutionsgarden gezwungen sah, eine Meldung herauszugeben, in der er die | |
„lieben Landsleute“ dazu aufrief, jegliche Aktivitäten, die es in der | |
Bevölkerung „zur Unterstützung des israelischen Scheinregimes“ gebe, bei | |
den Behörden zu melden. | |
## Das unliebsame Regime | |
In Kriegszeiten versammelt sich die Bevölkerung in der Regel hinter der | |
eigenen Führung. In Iran passiert derzeit allerdings genau das Gegenteil. | |
Ein großer Teil der Bevölkerung stellt sich seit dem Angriff auf Israel | |
offen gegen die Machthaber. Spätestens seit die Proteste nach der Ermordung | |
von Jina Mahsa Amini im September 2022 gewaltsam niedergeschlagen wurden, | |
zeigt sich, dass das iranische Regime die meisten Menschen im eigenen Land | |
gegen sich hat. Nur noch die loyalsten Anhänger sowie Leute, die unter | |
Druck gesetzt oder bezahlt werden, zeigen Unterstützung für die Islamische | |
Republik. | |
Mahdis Amini ist 38 Jahre alt und lebt in der nordiranischen Stadt Rascht. | |
Als sie vom Angriff auf Israel erfuhr, regte sich in ihr neben Sorge auch | |
Hoffnung. Sie und ihre Freund:innen wünschten sich, dass | |
Revolutionsführer Ali Chamenei dasselbe Schicksal erleiden möge wie Saddam | |
Hussein. Über die iranischen Machthaber sagt sie: „Vielleicht braucht es | |
Gewalt, damit sie verstehen, dass wir sie nicht wollen.“ | |
Mit dem Verfall der Währung und der erneut gestiegenen Gewalt der | |
Sittenpolizei gegen Frauen wüssten die Menschen nicht, wie sie sich noch | |
wehren können. „Israel soll ihre Stellungen angreifen“, wünscht sich die | |
38-Jährige. Sie scheint nicht die Einzige zu sein, die so denkt: An | |
Hauswänden in Teheran finden sich seit Sonntag Sprüche wie „Israel, schlag | |
auf die Mullahs ein“. | |
## Straßengewalt ist gestiegen | |
[2][Tatsächlich ist die Gewalt auf den Straßen Irans seit einiger Zeit | |
enorm gestiegen], und das schon vor dem jüngsten Angriff auf Israel. Die | |
sogenannte Sittenpolizei, deren hauptsächliche Aufgabe es ist, die Frauen | |
des Landes unter das Kopftuch zu zwingen, treibt ihr Unwesen wie seit | |
September 2022 nicht mehr. Nach der Ermordung von Jina Mahsa Amini wurde | |
sie zunächst weitgehend von den Straßen abgezogen, und inzwischen haben | |
viele Frauen überall im Land den Hidschab abgelegt. Schätzungen gehen von | |
mehr als der Hälfte der Frauen aus. | |
„Die Straßen sind ein gefährlicher Ort geworden“, sagt Anuscheh Schariati. | |
Die 32-Jährige aus Teheran trägt schon lange kein Kopftuch mehr, wenn sie | |
das Haus verlässt. „Wir denken gerade kaum an den Krieg mit Israel“, | |
erzählt sie. „Wir sind völlig abgelenkt.“ Die Sittenpolizei gehe derzeit | |
mit so viel Gewalt gegen Frauen vor wie lange nicht mehr. Die Machthaber in | |
Teheran, so scheint es, will in einer außenpolitisch prekären Situation | |
verhindern, dass sich im Land Proteste regen. Dem greifen sie gewaltsam | |
vor. | |
Die Angst vor einer weiteren kriegerischen Eskalation ist in Iran dennoch | |
groß. Mohsen Schariati ist 43 Jahre alt und lebt in Teheran. Als die | |
Meldung über den Angriff auf Israel ihn erreichte, war er gerade mit dem | |
Auto unterwegs. Er musste anhalten, um sich zu beruhigen, erzählt er. „Mein | |
erster Gedanke war: Mein Kind soll keinen Krieg sehen.“ | |
## Es sind die Menschen, die leiden | |
Die Erinnerung an den Iran-Irak-Krieg von 1980 bis 1988 ist in seiner | |
Generation bis heute sehr präsent. Die ständige Furcht vor Bomben und Tod | |
und die Sorge, dass junge Söhne in den Krieg eingezogen werden, ist bis | |
heute nicht vergessen. Mohsen Schariati ist einer jener Iraner:innen, | |
die zwar gegen das iranische Regime sind, aber den Krieg in Gaza trotzdem | |
kritisch sehen. Er habe Angst, so Schariati, „dass nun auch die Kinder von | |
Gaza vergessen werden.“ | |
Es ist wie bei jeder kriegerischen Auseinandersetzung, bei Feindschaft, | |
Gewalt und Waffengängen: Es sind nicht die politischen Führungen, die | |
Diktatoren und Machthaber, die leiden. Es sind immer und zuallererst die | |
Menschen – und zwar überall. | |
* alle Namen geändert | |
19 Apr 2024 | |
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## AUTOREN | |
Gilda Sahebi | |
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