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# taz.de -- Arash Azizi über Iran und Israel: „Haben keinen Grund, Krieg zu …
> Ein offener Krieg zwischen Iran und Israel ist ausgeblieben – auch weil
> viele Iraner keine Feindschaft gegen Israel hegen, sagt der iranische
> Historiker Arash Azizi.
Bild: Irans Regime ist stolz auf sein Raketenarsenal: ein Passant vor einem kri…
taz: Herr Azizi, sind wir nach den gegenseitigen Angriffe Irans und Israels
wieder zurück beim alten Schattenkrieg zwischen den beiden Ländern?
Arash Azizi: In gewisser Weise ja. [1][Israels Angriff auf Isfahan] ähnelte
stark den Aktionen der Vergangenheit. Er war sogar deutlich weniger
umfangreich als etwa der [2][Angriff auf (die Atomanlage) Natans] vor ein
paar Jahren. Und Iran hat seinerseits deutlich gemacht, dass er nicht
darauf reagieren will. Dennoch hat Iran mit seinem Angriff auf Israel eine
Grenze überschritten. Und diesen Geist können wir nicht zurück in die
Flasche stecken. Iran hat nicht geblufft, sondern war wirklich bereit,
Israel direkt anzugreifen.
Wie hat die iranische Öffentlichkeit auf die Kriegsgefahr reagiert?
Der größte Teil ist nicht an einem Krieg interessiert. Wegen der
brachliegenden Wirtschaft und der politischen und sozialen Unterdrückung
sind die Leute erschöpft. Die Vorstellung, dass ein Krieg hinzukommt, ist
für viele schrecklich. Nach dem israelischen Angriff auf Isfahan gab es
einen Seufzer der Erleichterung, weil klar war, dass es nicht unmittelbar
zum Krieg kommt.
Und die anderen Teile der Bevölkerung?
Manche haben sich über den [3][Angriff auf Israel am 13. April] gefreut.
Zum einen ist da eine sehr kleine Minderheit, die das Regime unterstützt,
10 bis 15 Prozent. Zum anderen gibt es aber auch außerhalb dieser Gruppe
Leute, die der Meinung waren, dass Iran auf den Angriff auf sein Konsulat
(in Damaskus am 1. April; Anm. d. Red.) reagieren musste. Aber ich denke,
dass sogar diese Leute keine Konfrontation mit Israel suchen.
Sie sind in Iran aufgewachsen. Wie haben Sie sich gefühlt, als Ihr Land mit
Raketen und Drohnen Israel angriff?
Wir Iraner hegen keine Feindschaft gegenüber Israel. Wir haben keinen
Grund, mit irgendeinem Land Krieg zu führen, aber besonders nicht mit
Israel. Historisch gesehen waren beide Länder nie feindlich gesinnt. Es
gibt nichts im nationalen Interesse Irans und Israels, das gegeneinander
gerichtet wäre. Zudem hat Iran tonnenweise eigene Probleme, von denen keins
durch eine Konfrontation mit Israel gelöst wäre.
Wie erklären Sie sich die Besessenheit des iranischen Regimes, Israel zu
zerstören?
1979 ist unser Land an ein revolutionäres Regime gefallen. Es wurde in den
Dienst einer Ideologie gestellt. Die iranische Außenpolitik diente in der
Folge nicht den nationalen Interessen, sondern der islamistischen,
revolutionären Sache. Ein großer Teil davon ist der Kampf gegen Israel. Die
Anti-Israel-Politik ist eine von vielen irrationalen Politikinhalten.
Das Regime hat zeitgleich zum Angriff auf Israel auch im Inland sein
Vorgehen verschärft. Hat die iranische Protestbewegung, die vor eineinhalb
Jahren unter dem Motto „Frau, Leben, Freiheit“ ihren Anfang nahm, noch eine
Zukunft?
Das begann wenige Stunden vor dem Angriff. Seitdem gab es wieder viele
Verhaftungen und [4][Toomaj Salehi, der beliebte Rapper, wurde zum Tode
verurteilt]. Diese Einschüchterungstaktik ist besorgniserregend, auch wenn
ich nicht glaube, dass sie ihn hinrichten. Das Vorgehen hat aber zu
weiterem Protest geführt. Letzte Woche wurde eine Frau in einer
U-Bahn-Station in Teheran verhaftet, aber die Leute versammelten sich und
schrien, bis die Polizei sie wieder freiließ. Wie kann man Krieg gegen
Israel und die iranischen Frauen am selben Tag beginnen? Selbst Leute, die
Krieg gegen Israel unterstützen, sahen das Vorgehen als töricht an. Das
Thema wird zu einem Streitpunkt auf Elitenebene. Ich halte es für
wahrscheinlich, dass politische Veränderungen durch ein Gerangel der Eliten
zustande kommen, das sich nach dem Tod Chameneis noch verstärken wird.
Der sogenannte Oberste Führer ist jetzt …
… gerade 85 geworden. Und es geht ihm nicht gut.
Wie zeigt sich das Elitengerangel?
Mehdi Fazaeli zum Beispiel, ein Beamter, der für das Büro des Obersten
Führers arbeitet, [5][veröffentlichte Zitate Chameinis] aus der
Vergangenheit, in denen dieser eine gewaltsame Durchsetzung des Kopftuchs
sehr implizit kritisiert hatte. Gleichzeitig besuchte ein führendes
Mitglied der Paydari-Front, einer Hardliner-Gruppierung, den Chef der
iranischen Polizei, um seine Solidarität zu zeigen. Ein solches Level hat
das Elitengerangel erreicht.
Sie schauen also nicht in erster Linie auf Proteste?
Die Leute, die einen demokratischen Umsturz wollen, werden weiterkämpfen.
Der Widerstand geht weiter. Aber sobald die Leute wieder auf die Straße
gehen, werden sie mit dem alten Problem konfrontiert sein: Sie brauchen
eine politische Führung. Die Realität ist, dass die Protestbewegung
gescheitert ist, weil es ihr nicht gelungen ist, eine politische
Alternative aufzubauen. Der Machtkampf innerhalb der Elite ist daher ein
mindestens ebenso entscheidender Faktor wie der Aufstand von unten.
Sind die Spannungen mit Israel für die „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung ein
Grund, den Protest voranzutreiben oder sich ruhig zu verhalten?
Nun, die Bewegung ist ja ziemlich zerschlagen worden. Leider gibt es
darunter einige, die israelische Angriffe befürworten, weil sie glauben,
dass dies dem Regime früher eine Ende bereitet. Aber auch hier sehe ich bei
einer überwältigenden Mehrheit der Befürworter der Bewegung eine starke
Antikriegsstimmung. Es macht mir Mut, dass sogar rechtsgerichtete Personen
wie Reza Pahlavi, der ehemalige Kronprinz, jedweden Angriff auf Iran
abgelehnt haben. Das ist jemand, der in den USA auf jüdischen und
zionistischen Versammlungen spricht [6][und sich letztes Jahr auch mit
Netanjahu in Israel getroffen hat].
Wie erklären Sie sich seine Haltung?
Dahingehend, dass Krieg zivilem Aktivismus nie hilft. Wer an Demokratie und
einem Aufbau von bürgerlicher Macht interessiert ist, für den ist Krieg
keine gute Nachricht. Nehmen Sie Nasrin Sotudeh, die Anwältin und
Verfechterin der Menschenrechte. Sie war gegen die Angriffe der Hamas auf
Zivilisten am 7. Oktober, das ist klar. Aber gleichzeitig ist sie eine
Kritikerin von Israels Krieg in Gaza. Sie sagte etwas Interessantes: Wenn
unser Land wirklich die Palästinenser unterstützen wollte, würde es, wie
Südafrika, Israel vor internationale Gerichte bringen, statt Terroristen zu
unterstützen.
Apropos: Ist die palästinensische Sache ein großes Thema in Iran?
Nein. Der Gazakrieg zum Beispiel ist in den USA ein viel größeres Thema als
in Iran. Es ist ungewöhnlich, dass Iraner das Thema in Gesprächen erwähnen
oder dass es Gegenstand politischer Debatten ist. Aber dass sich Menschen
nicht für die palästinensische Sache interessieren, bedeutet nicht, dass
sie Israels Krieg unterstützen. Es ist einfach etwas, das anderswo
passiert.
Woran machen Sie das fest?
In den USA, Deutschland, Großbritannien und natürlich in der gesamten
Region gab es Proteste für Palästina. Nicht aber in Iran. Selbst zu den von
der Regierung organisierten Versammlungen kommt keine nennenswerte Anzahl
von Menschen. Viele, die die Nachrichten verfolgen, sind über den Krieg
und die humanitäre Krise empört. Aber sie fühlen sich der palästinensischen
Sache nicht besonders verbunden. Viele haben eine natürlichere Affinität
zum Kampf gegen die Taliban in Afghanistan. Das ist unser Nachbarland, die
Menschen sprechen dieselbe Sprache und es gibt Millionen Afghanen in Iran.
Als nicht arabisches Land hat Iran Ihrer Meinung nach per se weniger
Interesse an Palästina?
Mit Sicherheit. Palästina ist die arabische Sache. Viele Iraner sind
kritisch gegenüber der arabischen Welt. Sie sehen arabische Länder als
traditionelle Rivalen Irans. Das Land wurde im siebten Jahrhundert von
Arabern überfallen und hat eine sehr komplizierte historische Beziehung zu
den arabischen Nachbarn. In der iranischen Gesellschaft gibt es
wahrscheinlich mehr Feindseligkeit gegenüber Arabern als gegenüber Juden
oder Israelis.
30 Apr 2024
## LINKS
[1] /Nach-Irans-Angriff-auf-Israel/!6003102
[2] /Vorfall-in-Atomanlage-im-Iran/!5698453
[3] /Angriff-auf-iranische-Botschaft/!5999066
[4] /Todesurteil-fuer-Rapper-in-Iran/!6006793
[5] https://twitter.com/m_fazaeli/status/1781214807598788762
[6] /Iranischer-Ex-Kronprinz-besucht-Israel/!5927345
## AUTOREN
Jannis Hagmann
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