# taz.de -- Steinkohleabbau in Kolumbien: Durchatmen unmöglich | |
> Das Dorf Provincial in Kolumbien liegt nahe dem größten Kohlebergwerk des | |
> Landes. Die Bewohner:innen wehren sich gegen Lärm, Dreck und Gestank. | |
Bild: Früher konnte man hier bedenkenlos ein Bad nehmen, aber heute? | |
Es hat geregnet in Provincial, einem Dorf in Kolumbien, und der Geruch von | |
faulen Eiern hängt in der Luft. „Das ist der Schwefel, der rund um die Mine | |
aus dem Geröll gewaschen wird“, sagt Carmen Rosa Uriana. | |
Uriana ist eine der Frauen aus dem 700-Einwohner-Dorf, in dem die Wayuú | |
leben, eine ethnische Minderheit. Es liegt wenige Kilometer von der | |
kolumbianischen Provinzstadt Barrancas entfernt und nahe dem größten | |
Steinkohlebergwerk des Landes, El Cerrejón. Für Uriana ist der Gestank | |
Alltag – wie auch der Kampf dagegen. | |
Regelmäßig trifft sie sich mit Marco Brito und anderen – als Gruppe haben | |
sie sich zusammengefunden, um gegen die Umweltverschmutzung in Provincial | |
vorzugehen. Uriana ist eine der Sprecherinnen des Wayuú-Dorfes. | |
Zuletzt war es wegen Corona zwei Monate ruhig hinter den riesigen | |
Abraumhalden, die sich unweit des Dorfs auftürmen und vom Fluss aus, dem | |
Río Ranchería, gut zu sehen sind. Der Lockdown verschaffte Provincial etwas | |
Erholung: „Die Atemwegsinfektionen und die Hautkrankheiten sind bei Kindern | |
und uns Erwachsenen zurückgegangen“, berichtet Uriana. | |
Die Wayuú gehören mit 300.000 Menschen zu den größten indigenen Völkern | |
Kolumbiens. Sie leben im Bezirk La Guajira im Norden an der Grenze zu | |
Venezuela. Heiß ist es dort und trocken. | |
## Runter zum Río | |
Die Zukunft von Provincial ist düster, die Kohleförderung wirkt sich massiv | |
auf die Lebensbedingungen aus. „Nur der Fluss und ein schmaler | |
Grünstreifen, wo wir früher Mangos ernten, Leguane beobachten und Wild | |
sehen konnten, trennen uns von der Mine“, sagt Marco Brito. | |
Brito ist ein junger Mann mit kurzem, lockigem Haar. Er ist zuletzt öfter | |
runter zum Río gegangen, um die Ruhe zu genießen. Gemächlich mäandert der | |
Fluss durch die Landschaft, von Weitem sind die grünen Streifen links und | |
rechts des Flusslaufs zu sehen. | |
Im Río Ranchería ist Marco Brito früher schwimmen gegangen, hat Fische | |
gefangen und Rehe am Ufer beobachtet. Es ging den Wayuú aus Provincial gut | |
– sie lebten vom Anbau, der Jagd und der Viehzucht. „Früher hatte der Fluss | |
einen höheren Pegelstand und war sauber“, sagt Brito. | |
„Heute ist er von Kohlenstaub und den Einleitungen der Mine kontaminiert.“ | |
Die Halden am anderen Ufer werden berieselt, um den Staub zu binden und den | |
Schutt zu stabilisieren. „Millionen Liter Wasser versickern da, und wir | |
leiden unter Wassermangel, haben kaum genug, um unser Vieh zu tränken“, | |
sagt Brito. | |
Wasser ist knapp in La Guajira, und die Situation hat sich zuletzt | |
verschärft. Wo früher fünf Meter tief gegraben werden musste bis zum | |
Grundwasser, sind es heute fünfzig, klagen die [1][Dorfbewohner:innen] | |
entlang der Bahnstrecke, auf der die Kohle zum Hafen Puerto Bolívar | |
transportiert wird. | |
Welche Verantwortung Carbones de Cerrejón Limited, so der komplette Name | |
der Mine, dafür hat, ist unklar. Unstrittig ist jedoch, dass sich die | |
Lebensbedingungen im Dorf Provincial mit der Kohleförderung und deren | |
Ausweitung verschlechtert haben. | |
Das bestätigt ein Verfassungsgerichtsurteil vom 16. Dezember 2019. Zwei | |
Frauen aus Provincial hatten Klage auf Schließung der Mine eingereicht und | |
auf die hohe Zahl von Kindern mit Atemwegs- und Hauterkrankungen verwiesen. | |
Kohlestaub aus der sich über 69.000 Hektar erstreckenden Mine sei die | |
Ursache. | |
Das Bergwerk wird vom Schweizer Konzern Glencore, dem | |
britisch-südafrikanischen Unternehmen Anglo American sowie der | |
britisch-australischen BHP Group betrieben und lieferte 2019 rund 26 | |
Millionen Tonnen Steinkohle in alle Welt – auch nach Deutschland. | |
## Anwälte schreiben UN-Sonderberichterstatter:innen | |
Die Mine verletze, so die Klage, Grundrechte auf Gesundheit, Hygiene, | |
angemessene Ernährung sowie wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte | |
der Dorfbewohner. Belegt wurde all das mit Gutachten, Videos und Aussagen | |
der Betroffenen. | |
Die Verfassungsrichter folgten der Argumentation der Kläger:innen, die | |
von Rosa María Mateus, Juristin der Menschenrechtskanzlei Cajar, vertreten | |
wurden. Für Mateus ist das Urteil ein Etappensieg: „Die staatlichen | |
Institutionen und das Unternehmen wurden verurteilt, die Förderbedingungen | |
anzupassen. Konkret heißt das, die Emissionen zu senken, Lärm und | |
Erschütterungen durch Sprengungen zu reduzieren und die Kontaminierung der | |
Wasserquellen zu unterbinden“, sagt Mateus am Telefon. | |
Doch passiert ist auch ein halbes Jahr nach der Urteilsverkündung nichts, | |
sagen Brito und Uriana. Es sei kein Vertreter der zuständigen Ministerien | |
aufgetaucht, die Mine habe ihren Betrieb vor ein paar Wochen | |
wiederaufgenommen, berichten beide. Für Anwältin Mateus Anlass, beim | |
Verfassungsgericht nachzuhaken und über die britischen Kollegen der | |
Anwaltskanzlei Twenty Essex an die Vereinten Nationen heranzutreten. | |
In einem Brief forderten die Londoner Jurist:innen im Juni die | |
UN-Sonderberichterstatter:innen für Menschenrechte und Umwelt auf, | |
aktiv zu werden. Für Mateus sowohl eine Reaktion auf die staatliche | |
Untätigkeit als auch auf das Vorgehen des Unternehmens. Das habe, obwohl es | |
behaupte, sich an die kolumbianischen Gesetze zu halten, Rechtsmittel gegen | |
das Urteil des Verfassungsgerichts eingelegt. | |
Die Verantwortlichen von Cerrejón verteidigen sich: „Wir helfen den Wayuú, | |
wo wir können. Gute Beispiele sind die Brunnenbohrprojekte, die Anlieferung | |
von Trinkwasser für Gemeinden, darunter auch für Provincial, genauso wie | |
die Beratung bei Anbauprojekten“, antwortet Cerrejón-Vertreterin Susana | |
Loaiza auf Anfrage der taz. | |
Die angeblich einseitige Darstellung der Anwaltskanzlei Twenty Essex wies | |
das Unternehmen im Juni zurück und kündigte an, den | |
UN-Sonderberichterstatter:innen alle aktuellen Daten über | |
Wasserverbrauch und Emissionen zur Verfügung zu stellen. | |
Das wäre das erste Mal, dass die Bewohner:innen des Dorfes darüber | |
Auskunft erhielten. „Wir haben keinen Zugang zu den Ergebnissen der | |
Messstationen, wissen weder, wie stark die Luft belastet ist, noch, wie | |
viel Wasser aus dem Fluss gepumpt wird. Unsere Trinkwasserversorgung durch | |
Cerrejón mussten wir erst einklagen“, sagt Marco Brito. 1.000 Liter bekommt | |
jede Familie in Provincial alle 14 Tage. | |
„Zu wenig für die großen Familien, die oft noch Vieh zu versorgen haben“, | |
sagt der Umwelt- und Menschenrechtsaktivist Samuel Arregocés. Er berät | |
mehrere Gemeinden, war mehrfach in Deutschland, um auf die Situation der | |
Dörfer in der Nähe der Mine und an der Bahnstrecke aufmerksam zu machen. | |
„Cerrejón verfolgt eine mediale Strategie, die die Hilfsprojekte des | |
Unternehmens perfekt in Szene setzt, die aber nie fragt, weshalb diese | |
Projekte nötig sind“, kritisiert er. | |
## Gespaltenes Dorf | |
2017 hat er während einer Tour mit Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen | |
versucht, mit kohleimportierenden Unternehmen in Deutschland ins Gespräch | |
zu kommen. Mit durchwachsenem Erfolg: Der Kohleimport aus Kolumbien ist von | |
zehn Millionen auf derzeit weniger als zwei Millionen Tonnen | |
zurückgegangen. | |
Bei Cerrejón hat der Druck nur dazu geführt, sich neue Abnehmer, etwa in | |
Asien, zu suchen und sich unter dem Slogan „Minería responsable“ – | |
verantwortungsvoller Bergbau – zu präsentieren. | |
Zu spüren ist von Letzterem nichts. Die Sprengungen und der Kohlestaub, der | |
in der Sonne über der Mine als glitzernde Wolke zu sehen ist, sorgen weiter | |
für miese Perspektiven. Nicht nur, weil dem Dorf die landwirtschaftliche | |
Existenzgrundlage entzogen wird, sondern auch, weil die größte Kohlemine | |
Lateinamerikas das Dorf gespalten habe, sagt Brito, sei die Zukunft | |
ungewiss. „Viele unserer gewählten Vertreter erhalten Geld vom Konzern“, | |
meint er. Druck auf die Umweltaktivist:innen hat es von den Dorfvorstehern | |
gegeben. Wie es weitergeht, weiß er nicht. | |
13 Oct 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Corona-in-Kolumbiens-Armenvierteln/!5684928 | |
## AUTOREN | |
Knut Henkel | |
## TAGS | |
Luftverschmutzung | |
Umweltverschmutzung | |
Kolumbien | |
Kohlepolitik | |
Kohlekraft | |
Schwerpunkt Pressefreiheit | |
Schwerpunkt Fridays For Future | |
Ecuador | |
Kaffee | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Pressefreiheit in Kolumbien: Druckmittel Visum | |
Freien Korrespondent*innen wird in Kolumbien durch Änderungen bei der | |
Visumvergabe zunehmend die Arbeit erschwert. Das könnte Taktik sein. | |
Zukunft der Klimabewegung: Ende Gelände – und wie weiter? | |
Ende Gelände, Fridays for Future, Extinction Rebellion – die Klimabewegung | |
erlebt einen Höhenflug. Das stellt sie aber auch vor grundsätzliche Fragen. | |
Öko-Desaster in Ecuador mit Folgen: Pablo gegen Goliath | |
Anwalt gegen Weltkonzern: Pablo Fajardo will Chevron zu Schadenersatz | |
zwingen. Der Konzern soll eine Umweltkatastrophe hinterlassen haben. | |
Kaffee und die ungerechte Weltordnung: Das schwarze Gold, das arm macht | |
Magno Paredes baut in Peru Kaffee an. Seine Bohnen sind biozertifiziert und | |
werden fair gehandelt. Trotzdem fehlt Geld. Was läuft da schief? |