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# taz.de -- Spielfilm „Das Leuchten der Erinnerung“: Gegen die Erwartung
> Der Regisseur Paolo Virzì erkundet die „Störung“ Alzheimer. Die Stärke
> seines Films liegt in der präzisen Beobachtung.
Bild: Was ist mit dem Kurzzeitgedächtnis? Donald Sutherland und Helen Mirren
Man hält es leichthin für selbstverständlich, dass ein Film über
gebrechliche, von Krebs oder Alzheimer bedrohte Eltern den Zuschauer
persönlich berührt. Schließlich ist es eine Erfahrung, die viele
durchmachen, sei es konkret in der Familie oder als Angstvorstellung, was
den eigenen Alterungsprozess betrifft. Und Paolo Virzìs Film „Das Leuchten
der Erinnerung“ illustriert das Thema so realistisch, so packend, mit zwei
so herausragenden Darstellern – Donald Sutherland und Helen Mirren – in
den Hauptrollen, dass sich wohl nur wenige der Wirkung entziehen können.
Was aber nicht bedeutet, dass der Film bei allen gleich ankommt.
Gerade weil er persönlich so berührt, ruft er auch sehr persönliche, soll
heißen individuelle Reaktionen ab: Was die einen – eventuell unter Tränen �…
freut, wird anderen gegen den Strich gehen. Gegen die Erwartung, dass Filme
über ältere Menschen beschaulich zu sein haben, lässt Virzì „Das Leuchten
der Erinnerung“ quasi mit einer Action-Sequenz beginnen: Da muss der
besorgte Sohn (Christian McKay) feststellen, dass seine Eltern ausgebüxt
sind, und zwar mit dem alten Wohnmobil, das Jahre unbenutzt in der Garage
stand.
Als man die beiden Alten, John (Donald Sutherlan) und Ella (Helen Mirren),
zum ersten Mal sieht, benehmen sie sich wie kleine Kinder, die zum Spaß
ausgerissen sind: Mit geradezu diebischer Freude steuert John das
ausladende Gefährt über den Highway, während Ella auf dem Beifahrersitz
vergnügt vom Anknüpfen an alte Zeiten plaudert. Man begreift nicht, warum
der Sohn über den Ausflug seiner Eltern so erschrocken ist, warum er sie am
Telefon anfleht, ihm zu sagen, wohin sie fahren – und warum Ella an dieser
Stelle das Gespräch schnell beendet. Die beiden Alten wirken etwas tüdelig
und ungeschickt, aber doch noch völlig ausreichend kompetent. Selbst eine
kurze Kontrolle durch die Verkehrspolizei überstehen sie.
Dann kommt der Zeitpunkt für die erste Vesperpause. „Ich möchte einen
Burger“, sagt John, und alles scheint völlig normal. Aber er wiederholt
diesen Satz in den nächsten Minuten wieder und wieder, zu passender und
unpassender Gelegenheit, und vor allem an Ellas angestrengt geduldiger
Reaktion darauf merkt man, dass etwas nicht stimmt mit John. Dass eben doch
nicht alles wie früher ist.
Sutherlands Darstellung der Übergänge im Bewusstseinsstand seiner von
Alzheimer angegriffenen Figur ist faszinierend und ergreifend, interessant
zu beobachten als Auftritt genauso wie als Phänomen: im einen Moment eine
gerundete Persönlichkeit, im nächsten eine Figur ohne Geschichte und
berechenbare Reaktionen. Wobei es nicht nur die naturalistische
Glaubwürdigkeit ist, die Sutherlands Auftritt so besonders macht, sondern
dass es ihm gelingt zu zeigen, wie das Vergessen für den Vergessenden ein
manchmal behindernder, aber kein traumatischer Zustand ist.
Wenn er unterwegs in eine Trump-Rally gerät (der Film wurde 2016 in
Wahlkampfzeiten gedreht) oder die Kontrolle über seine Blase verliert, so
schämt sich Ella für ihn, ihm selbst ist in dem Moment egal, was man von
ihm hält. So ist es nicht er, der unter seinem Zustand am meisten leidet –
sondern Ella. Deren Seite bringt wiederum Helen Mirren auf ihre Weise
virtuos zum Ausdruck: den an Ignoranz grenzenden Willen, dass noch ein
letztes Mal alles normal sein soll; die Ungeduld, wenn der Mann, den sie
als gebildeten College-Lehrer kannte und liebte, sich nun benimmt wie ein
rücksichtsloses, kleines Kind, und vor allem die Gekränktheit, die sie
wider besseres Wissen verspürt, wenn er sie morgens beim Aufwachen nicht
wiedererkennt. Oder gar an der Tankstelle einfach stehen lässt und
davonfährt.
## Den alten Traum verwirklichen
Ella hat einen Plan: Sie will ihrem Mann, dem ehemaligen
Literaturprofessor, einen alten Traum verwirklichen und mit ihm zu
Hemingways Haus in Key West fahren. Die Turbulenzen, die das Drehbuch (nach
der Romanvorlage von Michael Zadoorian) ihnen in den Weg stellt, sind
vergnüglich, wenn sie die wunderbare Dynamik zwischen den Schauspielern
ausstellen, aber auch ermüdend, wenn ihre bloße Plotverzögerungsfunktion zu
sehr durchscheint.
Den Americana-Roadmovie-Motiven seines Films gewinnt der Italiener Virzì
erstaunlich wenig ab, die Luftaufnahmen über Highways und
Südstaatenlandschaft wirken rein illustrativ und touristisch. Ähnlich knapp
kalkuliert erscheinen auch die Momente mit den erwachsenen Kindern am
Telefon, in denen die üblichen emotionalen Akzente von Liebe und Vergebung
gesetzt werden.
Dabei sind es gerade nicht diese herkömmlichen dramatischen Ausschläge, die
dem Film seine Stärke verleihen, sondern die immer wieder ganz
unsentimental, aber präzise beobachteten Situationen, in denen der
erwartete Fluss der Gefühle durch Alzheimer und Krankheit eben „gestört“
wird. Bis hin zu einem Schluss, der strittiger ist, als es der Film selbst
wahrhaben will.
3 Jan 2018
## AUTOREN
Barbara Schweizerhof
## TAGS
Alzheimer
Spielfilm
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Alzheimer
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