# taz.de -- Spielfilm „Kaffee mit Milch und Stress“: Gehen mit Schmerzen | |
> Die Alterskomödie von Regisseur Dome Karukoski ist ein Appell für mehr | |
> Flexibilität im Denken und Tun – und zwar von allen Generationen. | |
Bild: Gut gelaunt in den Herbst des Lebens? Der Alte mit seiner Schwiegertochte… | |
Traditionell stellt man sich unter einem ins Weihnachtsprogramm passenden | |
Film etwas Süßliches, Besinnliches und Anrührendes vor. Dabei ist der | |
Heißhunger auf Salziges nach all den Plätzchen mindestens genauso Teil der | |
Feiertage. „Kaffee mit Milch und Stress“ ist denn das beste Kino-Äquivalent | |
zum Salamibrot, was ein guter Grund ist, einen Film, der schon 2014 auf dem | |
Festival in Toronto Premiere feierte, nun doch noch ins Kino zu bringen. | |
Zumal Regisseur Dome Karukoski sich mit dem Erfolg seines ambitionierten | |
Biopics „Tom of Finland“ inzwischen einen Namen gemacht hat. | |
Im Zentrum des Films steht einer jener nordischen Sturköpfe, wie sie | |
offenbar vermehrt in den Breitengraden mit hoher Schneedecke auftauchen. | |
Man sieht den von Antti Litja gespielten Alten am Anfang allein auf seinem | |
eigenen Acker stehen, während er aus dem Off über das Leben sinniert. | |
„Es hat mich traurig gemacht, dass die Zeiten sich geändert haben“, sagt | |
er, und man ist noch voller Sympathie für den bewundernswert autark | |
lebenden Mann, der seine Kartoffeln selbst zieht und eigenhändig Holz für | |
den Kamin hackt. Aber dann kommen mehr und mehr Sätze über die Sowjets und | |
ihre Intrigen, über die Stellung der Frau, die früher brav Hefezopf buk, | |
und darüber, dass es keinen Sinn hat, eine neue Heizung einzubauen oder | |
sich scheiden zu lassen, weil „die ersten Ideen sind immer die besten“. So | |
sind noch keine fünf Minuten des Films vergangen, und man hat als Zuschauer | |
kapiert, dass dieser Mann seine Umgebung sehr wahrscheinlich schrecklich | |
nervt. | |
Zum Beispiel seinen Sohn (Iikka Forss), der anrücken muss, weil dem Alten | |
nach einem Sturz eine Physiotherapie in der Stadt verschrieben wird. Der | |
junge Familienvater hört habituell über die kränkenden Bemerkungen hinweg, | |
die der Vater ständig so von sich gibt, kann sich zugleich aber seinen | |
autoritären Anweisungen nicht entziehen. So sieht er sich schließlich dazu | |
verdonnert, den Kartoffelacker umzugraben, während sein Vater allein in die | |
Stadt zur Schwiegertochter (Mari Perankoski) fährt. Auch die scheint seinen | |
Hang zu schlimmen Sprüchen nur zu gut zu kennen, und zeigt einiges Geschick | |
darin, das Gespräch belanglos zu halten oder ihm für den Segen der | |
Streitvermeidung einfach Recht zu geben. | |
## Die neue Welt mit ihren glatten Oberflächen | |
Aber die Liste der Dinge, über die sich der alte Griesgram beklagt, ist | |
einfach unerschöpflich. Dass sie Geschäfte mit Russen macht, dass es keinen | |
Kaffee in ihrem Haus gibt, dass ihre Dachrinnen verdreckt sind und dass man | |
die Heizung nicht herunterdrehen kann, um Geld zu sparen, das alles findet | |
seine Missbilligung. Die Physiotherapie sagt er gleich am nächsten Morgen | |
wieder ab, weil er solche Empfindlichkeiten ablehnt. Ein Mann muss auch mit | |
Schmerzen gehen können… | |
Viele der in „Kaffee mit Milch und Stress“ dargestellten | |
Kultur-Clash-Motive von wegen „ein alter Mann trifft auf moderne Zeiten“ | |
kennt man. Aber da ist etwas an Antti Litjas Darstellung, das dem | |
Vertrauten eine neue Seite abgewinnt. Etwa wenn er auf das klingelnde Handy | |
der Schwiegertochter starrt, genau wissend, dass er nicht damit umgehen | |
kann. Gleichsam gegen sein eigenes besseres Wissen hebt er es ans Ohr und | |
ärgert sich, dass er so dumm dasteht. Erst beim dritten Mal, und da mehr | |
durch Zufall, berührt er den Bildschirm richtig. | |
Aber das Handy-Erlebnis ist bezeichnend: die neue Welt mit ihren glatten | |
Oberflächen und subtil versteckten Knöpfen ist ihm als Ganzes ein Gräuel, | |
weil sie so gegen seine Intuitionen verläuft. Man versteht seine | |
Frustration sehr gut. Auch wenn er im nächsten Moment wieder unsympathisch | |
erscheint, etwa wenn ihm der Appetit auf Kaffee vergeht, weil die Bedienung | |
von schwarzer Hautfarbe ist. | |
## Kategorie „ungezuckert“ | |
Eigentlich glaubt man zu wissen, worauf der Film hinausläuft: irgendwie | |
wird der Alte sich doch noch nützlich machen, denen, die ihn für einen | |
Rassisten und Reaktionär halten, das Gegenteil beweisen und den Jüngeren in | |
punkto Lebensführung wichtige Lektionen erteilen. Von wegen: im Leben kommt | |
es auf die Liebe an. | |
Aber in „Kaffee mit Milch und Stress“ kommt es anders. Nicht radikal | |
anders, sondern nuanciert anders. Denn die verklärenden Rückblenden des | |
Alten werden mehr und mehr nicht direkt als Lebenslügen, sondern milder | |
gesagt: als Euphemismen enttarnt. Auf der anderen Seite läuft im | |
Familienleben des Sohnes auch so einiges schief, aber das Schöne ist, dass | |
es nicht den Vater braucht, um die Konflikte zu befrieden, sondern die neue | |
Generation auch ohne ihn Lösungen findet. | |
So verzichtet „Kaffee mit Milch und Stress“ auf plakative Versöhnungen und | |
schlussendliche Liebesbeteuerungen, wie sie sonst im Genre üblich sind. | |
Stattdessen funktioniert der Film als Appell für mehr Flexibilität, im | |
Denken wie im Tun, von allen Generationen. Das klingt nun fast wieder | |
süßlich, aber in der Zurückhaltung, mit der es hier dargebracht ist, | |
entspricht es zumindest der Kategorie „ungezuckert“. | |
21 Dec 2017 | |
## AUTOREN | |
Barbara Schweizerhof | |
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