# taz.de -- Seltene Erden: Den Rüssel im Luxusdreck | |
> Seltene Erden sind die Allzweckwaffen unter den Metallen und als Rohstoff | |
> für Hochtechnologien bekannt. Nun sollen sie bei der Schweinemast helfen. | |
Bild: Manche Seltene-Erden-Elemente wirken nicht nur in moderner Technik Wunder… | |
Von wegen selten. Die als „seltene Erden“ bezeichneten | |
Hochtechnologiemetalle finden sich inzwischen überall – in unseren Handys, | |
in unserer Umwelt und bald vielleicht sogar in unserem Essen. Das | |
österreichische Unternehmen [1][Treibacher Industrie AG] hat einen Antrag | |
bei der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) eingereicht, | |
um das Seltene-Erden-Element [2][Lanthan] (La) möglichst bald als | |
Futtermittelzusatz vermarkten zu können. Was für die Produktion von | |
Flachbildschirmen unentbehrlich ist, soll es in Zukunft also auch für die | |
Fütterung von Mastschweinen sein. | |
Zugegeben, die Bezeichnung ist irreführend. Seltene Erden sind weder selten | |
noch Erden, sondern eine Gruppe von 17 Metallen, die zur Herstellung von | |
elektronischen Geräten eingesetzt werden. Elemente wie [3][Scandium], | |
Lanthan, [4][Samarium] und [5][Gadolinium] haben in der Vergangenheit, | |
insbesondere als umkämpfter Rohstoff für moderne Technik, Schlagzeilen | |
gemacht. | |
Ihre Förderung ist aufwendig – seltene Erden treten nicht, wie etwa Gold | |
und Silber, in Reinform auf, sondern müssen erst aufwendig von anderen | |
Mineralien getrennt werden. Die giftigen Chemikalien, die dabei zum Einsatz | |
kommen, haben einen ebenso [6][verheerenden Einfluss auf die Umwelt] wie | |
die dabei entstehenden radioaktiven Abfallprodukte. | |
Nicht viele Staaten sind bereit, sich ihre Hände derart schmutzig zu | |
machen. Aktuell fördert deshalb nur China seltene Erden im großen Stil. 92 | |
Prozent des Markts werden von hier aus abgedeckt, und das, obwohl sich | |
gerade einmal 23 Prozent der weltweiten Vorkommen in der Volksrepublik | |
befinden. | |
## Weltweiter Handel | |
Der Aufwand lohnt sich: Mit seiner Monopolstellung [7][dominiert China] den | |
weltweiten Handel von Elementen, die für die Herstellung moderner Technik | |
unverzichtbar sind. Seltene Erden können nicht durch andere Rohstoffe | |
substituiert werden, recycelt werden sie derzeit noch kaum; die Welt ist | |
den chinesischen Preisen ausgeliefert. | |
Kein Handy, keine Erdölraffinerie und kein Windrad kommt momentan ohne | |
seltene Erden aus. Doch manche Seltene-Erden-Elemente wirken nicht nur in | |
moderner Technik Wunder, sondern auch im Magen-Darm-Trakt von Säugetieren. | |
„Lanthan wirkt im Darm von Ferkeln ungefähr so, wie die inzwischen | |
glücklicherweise verbotenen Antibiotika“, sagt [8][Walter Rambeck], | |
Professor für Tierernährung an der Ludwig-Maximilian-Universität in | |
München. Lanthan, und damit derselbe Stoff, der tonnenweise in deutschen | |
Windrädern verbaut wird. Er beeinflusst als Futterzusatz die | |
Mikroorganismen im Darm und soll dazu führen, dass bis zu 15 Prozent | |
weniger Futter benötigt wird. In China sind seltene Erden deshalb schon | |
seit Jahrzehnten fester Bestandteil des dortigen Tierfutters. Sie sollen | |
Tiere fetter und Truthahnbrüste unvergleichlich saftig machen. | |
Auf dem europäischen Kontinent ist man bislang eher skeptisch – als | |
einziges Land hat bisher die Schweiz seltene Erden vor gut zehn Jahren als | |
Futtermittelzusatz zugelassen. | |
## Regulation der Nierenfunktion | |
Einen überzeugenden wissenschaftlichen Beleg dafür, dass seltene Erden für | |
den Menschen ungefährlich sind, gibt es derzeit noch nicht. Im Gegenteil: | |
Lanthan und andere seltene Erden sind häufig Wirkstoff von Medikamenten, | |
die unter anderen die Nierenfunktion regulieren sollen. Sie haben also auch | |
im menschlichen Organismus eine biologische Wirkung. Warum also sollte es | |
eine gute Idee sein, Schlachtvieh mit diesen Substanzen zu füttern? | |
Der Beweis für die Unschädlichkeit von Lanthan soll nun ausgerechnet aus | |
der Industrie kommen. Studien des österreichischen Unternehmens Treibacher | |
Industrie AG, nach eigenen Angaben ein „international führender Player in | |
den Bereichen Chemie und Metallurgie“, hätten ergeben, dass Lanthan nicht | |
toxisch ist, weder bei oraler Aufnahme noch bei der Aufnahme über die | |
Atemwege. Dafür habe das Element aber einen signifikanten Einfluss auf das | |
Wachstum von Ferkeln. | |
Die Forschungsergebnisse sind Teil eines Antrags, den der Importeur von | |
seltenen Erden mit Sitz im österreichischen Kärnten bei der Europäischen | |
Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) eingereicht hat. Das Unternehmen | |
plant offenbar, neben der Technologieproduktion bald auch den Agrarsektor | |
mit Lanthan zu versorgen, und braucht dafür noch die Zulassung der | |
Seltenen-Erden-Elements als Futterzusatz in der EU. Ihre Pläne sehen vor, | |
dass einem Kilogramm Schweinefutter in Zukunft 250 Milligramm Lanthan | |
beigemischt werden. | |
Für das Endprodukt im Supermarktregal könnte das tatsächlich keine | |
Auswirkungen haben, sagt Walter Rambeck: „[9][Nach dem aktuellen | |
Forschungsstand] werden seltene Erden nicht vom Körper aufgenommen, sondern | |
komplett ausgeschieden.“ | |
## Gadolinium im Trinkwasser | |
Doch gerade diese Ausscheidung könnte zum Problem werden, sie ist es sogar | |
schon jetzt. „Mittlerweile sind alle Flüsse in Deutschland und allen | |
anderen Ländern mit einem hoch entwickelten Gesundheitssystem mit seltenen | |
Erden kontaminiert“, sagt Michael Bau von der Jacobs-Universität in Bremen. | |
Schon Mitte der neunziger Jahre fand er das Seltene-Erden-Element | |
Gadolinium (Gd) im Trinkwasser einiger Bezirke im Westen Berlins. Weitere | |
Nachforschungen ergaben, dass es über den Einsatz in der modernen Medizin | |
dorthin gekommen war. Gadolinium wird als Kontrastmittel für | |
Magnetresonanztomografien (MRT) genutzt. | |
Dem Patienten wird vor der MRT eine gadoliniumhaltige Lösung injiziert. Das | |
Element bindet sich besonders gut an Wasser und wird nach wenigen Tagen | |
über den Urin wieder ausgeschieden. Es bindet sich sogar so gut an Wasser, | |
dass auch moderne Kläranlagen nicht in der Lage zu sein scheinen, das | |
Gadolinium wieder aus dem Abwasser zu filtern. Über die Flüsse und Seen | |
Berlins findet das Gadolinium so seinen Weg in das Grundwasser und vom | |
Grundwasser in die Wasserleitungen der Stadt. | |
Auf der Suche nach seltenen Erden in Gewässern stieß | |
//www.jacobs-university.de/directory/mbau:Michael Bau über die Jahre in | |
fast allen deutschen Flüssen auf Gadolinium. Auch in einer Wasserprobe, die | |
er kürzlich zusammen mit Serkan Kulaksiz nördlich von Worms dem Rhein | |
entnahm. | |
## Industriestandort Rheinufer | |
Das Rheinufer, unweit vom inzwischen abgestellten Atomkraftwerk Biblis, ist | |
nicht nur ein beliebtes Ziel für Angler, sondern seit den achtziger Jahren | |
auch ein etablierter Industriestandort. Mehrere Werke haben sich dort | |
angesiedelt und leiten ihre Abwässer in den Fluss. Bau und Kulaksiz machten | |
hier in einen interessanten Fund: Neben Gadolinium wies die Wasserprobe | |
zwei weitere Elemente der seltenen Erden auf: Lanthan und Samarium. | |
„Wir verwenden diese Stoffe seit den frühen achtziger Jahren“, sagt Stephen | |
Addison, Geschäftsführer der Grace Holding GmbH, die die seltenen Erden | |
durch ihre Abflussrohre in den Rhein leitet, „sie sind ein wichtiger | |
Bestandteil von Katalysatoren, die in unserem Werk hergestellt werden.“ | |
Dass die seltenen Erden in den Rhein gelangen, sei auf einen sogenannten | |
Schlupf in den Filteranlagen des Werks zurückzuführen. Fünf Tonnen Lanthan, | |
so lautet eine Schätzung von Michael Bau, die Stephen Addison nicht | |
dementiert, werden so jedes Jahr von Grace in den Rhein geleitet. Fünf | |
Tonnen, seit dreißig Jahren – und das obwohl die Forschung zu der Wirkung | |
von seltenen Erden auf Organismen erst in den vergangenen zehn Jahren | |
langsam an Fahrt gewonnen, obwohl Lanthan offensichtlich Auswirkungen auf | |
den menschlichen Stoffwechsel hat. | |
„Grace verstößt gegen keine Auflagen“, sagt Addison, und er hat Recht | |
damit. Der Ausstoß von seltenen Erden unterliegt keinem Grenzwert. | |
Schließlich konnte seltenen Erden bislang keine umwelttoxikologischen | |
Wirkungen nachgewiesen werden. | |
Auch Michael Bau räumt ein, dass die Konzentration von Lanthan bereits | |
einen Kilometer hinter der Einlaufstelle so verdünnt ist, dass eine | |
Kontaminierung der Umwelt oder gar des Trinkwassers äußerst | |
unwahrscheinlich ist. Darum ginge es aber auch nicht: „Der Fall zeigt, dass | |
wir neue Stoffe unkontrolliert in unsere Umwelt entlassen. Das ist nur der | |
Anfang eines Trends, der sich gerade entwickelt.“ Sollte es Lanthan in die | |
Futtertröge der Republik schaffen, könnte er schneller recht behalten als | |
gedacht. | |
15 Mar 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.treibacher.com/ | |
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Lanthan | |
[3] http://de.wikipedia.org/wiki/Scandium | |
[4] http://de.wikipedia.org/wiki/Samarium | |
[5] http://de.wikipedia.org/wiki/Gadolinium | |
[6] /!110261/ | |
[7] /!91715/ | |
[8] http://www.ernaehrung.vetmed.uni-muenchen.de/kontakt/personen/rambeck/index… | |
[9] http://www.eurotier.com/fileadmin/downloads/2012/ForumSchwein/Rambeck.pdf | |
## AUTOREN | |
Thomas Block | |
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