# taz.de -- Schneekanonen im Harz: Kunstschnee trotzt dem Klimawandel | |
> Gemeinden im Harz rüsten für Millionenbeträge ihre Skigebiete auf. | |
> Umweltschützer beklagen Naturzerstörung. | |
Bild: Beine baumeln lassen: Skifahrer gondeln im Sessellift den Wurmberg hinauf | |
BRAUNLAGE taz | Nichts geht mehr rund um Braunlage. Die 600 neuen | |
Parkplätze am Skigebiet Hexenritt sind schon mittags belegt. In der kleinen | |
Stadt und auch auf der Bundesstraße 4, die sich quer durch den Harz zieht, | |
stauen sich die Autos auf der vergeblichen Suche nach einer | |
Abstellmöglichkeit. Tausende hat es am Wochenende bei Sonnenschein und | |
Temperaturen knapp unter null zum Wintersporteln in das Mittelgebirge | |
gezogen. | |
Bis zu einem Meter Schnee liegen auf dem Wurmberg, 55 Zentimeter sind es im | |
Tal bei Braunlage. Auf allen 15 Pisten des mit 971 Metern höchsten Berges | |
in Niedersachsen kurven Skifahrer und Snowboarder talwärts. Fünf der sechs | |
Seilbahnen und Lifte sind in Betrieb und befördern die Menschen wieder nach | |
oben. Auch auf den Rodelbahnen und den Loipen für Langläufer herrscht | |
Hochbetrieb. Bei einem Skiverleih in Braunlage ist die Kundenschlange am | |
Sonnabendnachmittag 50 Meter lang. | |
So gute Bedingungen für Wintersport gab es in den vergangenen Jahren am | |
Wurmberg und in den anderen Skigebieten im Harz nur selten. Während | |
zumindest die Hochlagen des Gebirges noch bis in die 1990er-Jahre hinein | |
meist über Monate hinweg von einer dicken Schneedecke überzogen waren und | |
die Wintersportsaison dort schon im November begann, fielen aufgrund des | |
Klimawandels die Winter zuletzt häufig aus: kein richtiger Frost, kaum | |
Schnee, allenfalls die Spitze des Brocken in Sachsen-Anhalt war in Weiß | |
gehüllt – auf dem höchsten Harzgipfel ist Skilaufen allerdings untersagt. | |
Auch in Braunlage und auf dem Wurmberg fielen in den vergangenen drei | |
Wintern erst sehr spät die ersten Flocken. „Die Wolken sind einfach über | |
uns hinweggezogen und haben nichts abgeworfen“, sagt Seilbahn-Betreiber | |
Dirk Nüsse. Wie seine Kollegen in anderen Wintersportorten verlässt Nüsse | |
sich denn auch nicht mehr allein auf die Natur. Er setzt auf Kunstschnee | |
aus Schneekanonen. | |
Rund zehn Millionen Euro hat Nüsse in den vergangenen Jahren in den Ausbau | |
des Skigebietes auf dem Wurmberg investiert. Zwei Millionen Euro schoss das | |
Land Niedersachsen zu. Mit dem Geld wurden unter anderem neue Pisten und | |
Lifte gebaut, Hunderte Bäume für den Bau von Parkplätzen gefällt und an die | |
100 Schneekanonen errichtet. Neun der 15 Ski- und Rodelpisten können damit | |
beschneit werden. Die Schneekanonen und -lanzen entlang der Abfahrten | |
brauchen allerdings passende Bedingungen für die Schneeproduktion, also | |
Temperaturen von null Grad oder darunter. | |
Beim Schneemachen interessiert allerdings auch die Luftfeuchtigkeit. Ist | |
sie extrem niedrig, kann auch bei Temperaturen über dem Gefrierpunkt Schnee | |
erzeugt werden. Zudem hängt die Möglichkeit künstlicher Beschneiung von der | |
Temperatur des verwendeten Wassers ab. Je kühler es ist, desto weniger | |
Minusgrade werden zum Schneien benötigt. Die Kanonen zerstäuben das aus | |
einem eigens angelegten Speichersee herbei gepumpte Wasser – gefrieren | |
müssen die kleinen Tropfen dann von selbst. | |
Bei jährlich 65 Skitagen, hat Unternehmer Nüsse ausrechnen lassen, werden | |
sich seine Investitionen in zehn Jahren amortisiert haben. In der Saison | |
2013/14 waren es gerade mal 30 Skitage, 2014/2015 schon 110, im vergangenen | |
Winter knapp 90. Für diese Saison gibt es noch keine Prognose. | |
Dabei darf Nüsse jetzt sogar doppelt so viel Kunstschnee produzieren und | |
dafür 130.000 statt wie bislang 66.000 Kubikmeter Wasser aus dem | |
Speicherbecken am Wurmbergipfel entnehmen. Im Dezember hat er die | |
Genehmigung auch gleich voll genutzt. „Einmal haben wir unseren See so gut | |
wie leer gemacht“, sagt er. Rund 30.000 Kubikmeter Wasser wurden in Schnee | |
verwandelt und auf die Abfahrten gebracht – das sind zwei Drittel der | |
Kapazität des Beckens, das aus dem Quellfluss Warme Bode gespeist wird. | |
Naturschutzverbände protestieren gegen die vom Landkreis Goslar erteilte | |
erweiterte Genehmigung. Es handele sich um einen erheblichen Eingriff in | |
ein geschütztes Fließgewässer, sagt Friedhart Knolle vom Bund für Umwelt | |
und Naturschutz (BUND). Jede Wasserentnahme bedeute einen Eingriff in die | |
Natur. Tiere und Pflanzen, denen die Warme Bode einen Lebensraum biete, | |
würden dadurch bedroht. Schon die bislang genehmigte Wassermenge raube dem | |
Fluss die natürliche Dynamik von Niedrig- und Hochwasser. Werde mehr Wasser | |
entnommen, könne das eine Verschlammung des Flusses und sogar ein | |
Fischsterben zur Folge haben. | |
Außerdem seien die Schneekanonen keine nachhaltige Lösung. Wenn die Hänge | |
an einem Wochenende beschneit würden, komme am nächsten Montag wieder eine | |
Wärmewelle „und alles ist weg“, sagen die Umweltschützer. Der Kunstschnee | |
sei ein Weg in die Sackgasse. | |
Nüsse weist solche Einwände zurück – er stört sich schon am „Kampfbegri… | |
Kunstsschnee. „Schnee aus der Maschine ist richtiger Schnee. Nichts daran | |
ist künstlich“, heißt es auf der Homepage des Seilbahn-Betreibers. | |
„Schneekristalle – wie auch immer sie produziert werden – sind einfach | |
winzig kleine Kristalle gefrorenen Wassers.“ | |
Im Übrigen habe sich die Wasserqalität in dem Fluss durch die Entnahme für | |
die Schneelanzen nicht verschlechtert. Nüsse verweist außerdem auf die | |
Vorgabe des Landkreises, dass die Betreiber-Gesellschaft die Wasserentnahme | |
genau dokumentieren und die Auswirkungen auf den Fluss prüfen muss. | |
Gegen den Betreiber der Wurmberg-Seilbahn liegt allerdings eine | |
Strafanzeige vor. Es besteht der Verdacht, dass die Wasserentnahme aus der | |
Warmen Bode in der Vergangenheit manipuliert worden sein könnte. Der | |
Wasserstand im Rückhaltebecken soll höher angegeben worden sein, als er | |
tatsächlich war. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Braunschweig dauern | |
die Ermittlungen dazu an. | |
Der Naturschutzbund (Nabu) weist noch auf andere Folgen für die Umwelt hin. | |
Insgesamt seien am Wurmberg für das Skigebiet 16,5 Hektar Wald gerodet | |
worden. Davon entfielen 11,5 Hektar auf die Erweiterungen der Skipisten, | |
ein Hektar auf die Fläche für den Speichersee und 3,5 Hektar auf die | |
Erweiterung von Parkplätzen. | |
Betreiber Nüsse kontert auch diesen Einwand. Die Zahlen seien zwar richtig. | |
Bei den Rodungsflächen handele es sich auf zwölf Hektar allerdings um | |
arten- und strukturarme Fichtenmonokulturen und nur auf 4,5 Hektar um | |
ökologisch wertvolle, naturnahe Fichtenwälder. Zudem stelle die | |
Wurmbergseilbahn sicher, dass die Natur vom Skigebietsausbau am höchsten | |
Berg Niedersachsens profitiere. | |
Als Ausgleich für die Eingriffe diene unter anderem der Ankauf einer gleich | |
großen landwirtschaftlichen Nutzfläche an anderer Stelle im Kreis Goslar | |
und ihre Aufforstung mit naturnahem Laubwald. Auch habe man am Wurmberg 60 | |
Nistkästen angebracht, „sodass höhlenbrütende Vögel heute mehr | |
Nistmöglichkeiten vorfinden als vor der Waldumwandlung“. Unter dem Strich | |
sieht Nüsse sogar „ein Plus an ökologisch wertvollen Flächen“. | |
Trubel wie am Wochenende ist die Ausnahme. Wer zu einer anderen Zeit durch | |
den Harz fährt, begibt sich auf eine Zeitreise – in die 70er-Jahre der | |
Bundesrepublik: die Lokale geschmückt mit Rehbockgeweihen und Zinntellern, | |
Jägerschnitzel auf den Speisekarten, in den Schaufenstern der noch | |
geöffneten Läden steht Nippes. | |
Seit der Wiedervereinigung haben die Westharzkreise Goslar und Osterode | |
mehr als ein Drittel ihrer Besucher verloren. Weil mit dem Tourismus nicht | |
mehr viel zu verdienen ist, ziehen immer mehr junge Leute weg. Die Älteren | |
haben nicht investiert, weil die Nachfolger nicht mehr da sind. Die | |
Gemeinden suchen nach einem Ausweg aus dieser Abwärtsspirale – und einige | |
wie Braunlage glauben, ihn im Wintersport zu finden. | |
Seilbahn, Pisten, Beschneiung – ein ganzes Winterland für alpine Skifahrt | |
soll auch am Winterberg bei Schierke entstehen. Dann sei alpines Skifahren | |
von November bis März möglich, hoffen die Winterberg Schierke GmbH und die | |
Stadt Wernigerode, zu der Schierke gehört. Baustart soll in diesem Jahr | |
sein. | |
Auch die Umweltschützer wollen, dass der Harz touristisch boomt. Sie finden | |
aber, es solle in einen nachhaltigen, ökologischen Fremdenverkehr | |
investiert werden. Natur und Landschaft seien die Grundlagen des | |
Harztourismus, erklärt die Arbeitsgemeinschaft der Umweltverbände des | |
Landkreises Goslar (AGGU). Wer dieses Kapital verschleudere, zerstöre die | |
Grundlagen des Harztourismus. | |
Der Harz, findet die AGGU, mache sich mit einer „gigantomanischen | |
Naturzerstörung“ wie in Braunlage oder Schierke unglaubwürdig: Die Zukunft | |
des Harztourismus liege in der Stärkung des Tourismus in der Fläche in | |
allen Harzgemeinden und mit allen Gastgebern. Dort würden die Arbeitsplätze | |
gesichert – nicht in „überzogenen Megaplanungen“ nur an einzelnen Orten. | |
Denn es gibt es touristische Schätze, sie sind noch nicht oder unzureichend | |
gehoben. Dutzende Badeseen mit kristallklarem Wasser bleiben unentdeckt, | |
weil es an einer minimalen Infrastruktur für Gäste fehlt. Kaum beworben | |
wird bislang das Harzer Weltkulturerbe. Obwohl seit 2010 so etikettiert, | |
begann erst jetzt die Vermarktung des „Oberharzer Wasserwirtschaft“ | |
genannten Systems von im Mittelalter angelegten Gräben, Kanälen und | |
Teichen. | |
22 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Reimar Paul | |
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