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# taz.de -- Russland baut AKW in Finnland: Die finnische Nord Stream 2
> Das russische Staatsunternehmen Rosatom will in Finnland ein
> Atomkraftwerk bauen. Nun fordern immer mehr Menschen den Stopp des
> Projekts.
Bild: Geplantes AKW Hanhikivi: Protest einer lokalen NGO am 01.03.2022 vor dem …
Stockholm taz | Finnland hat ein [1][Nord-Stream-2-Problem]. Es heißt
Hanhikivi-1 und ist das Projekt für den Neubau eines russischen
Atomreaktors. Ein Vorhaben, das Moskau wohl einen entscheidenden Einfluss
auf die Stromversorgung des Landes einräumen würde. Die Frage, die sich
Helsinki nun stellen muss: Will man sich angesichts des Angriffs auf die
Ukraine tatsächlich vom russischen Staatsunternehmen Rosatom immer noch ein
Atomkraftwerk bauen lassen?
„Nein!“, twitterte beispielsweise Ville Niinistö in der vergangenen Woche,
gleich nachdem der Stopp des Nord-Stream-Zertifizierungsverfahrens durch
Bundeskanzler Olaf Scholz bekannt geworden war: „Logisch wäre jetzt“, so
der grüne Europaparlamentarier, „dass auch die finnische Regierung
mitteilt, dass sie das Baugenehmigungsverfahren für den Rosatom-Reaktor
abbricht.“ Der gesamte AKW-Deal mit Russland sei sowieso von Anfang an ein
Fehler gewesen, meint Niinistö. 2014 hatte er als Umweltminister wegen
dieser Entscheidung auch die damals konservativ geführte
Regierungskoalition verlassen.
Die hatte unbedingt an dem schon 2007 gefassten Plan zum Bau eines
Atomreaktors festhalten wollen, obwohl das ursprüngliche Konzept
gescheitert war. Eigentlich sollte der deutsche Energiekonzern Eon Finnland
ein AKW bauen und dieses auch betreiben, war aber 2011 aus dem Projekt
ausgestiegen. Es fand sich zunächst auch kein anderes Energieunternehmen,
das das Risiko eines AKW-Neubaus in Finnland wagen wollte. [2][In letzter
Minute tauchte dann Rosatom auf.] Offen unterstützt von Wladimir Putin,
versprach sich Rosatom von einem solchen Bau ein erstes Referenzprojekt in
einem westlichen Land.
Das Angebot erschien auch durchaus verlockend: Ein Reaktor vom Typ
VVER-1200, wie er mittlerweile bereits bei St. Petersburg und in Belarus in
Betrieb ist, sollte weitgehend mit russischem Kapital finanziert, von einer
Rosatom-Tochter schlüsselfertig gebaut und nach seiner Fertigstellung von
dem im Teilbesitz von Rosatom stehendem Bauherrn Fennovoima betrieben
werden. Finnische Anteilseigner des Projekts – drei Dutzend Unternehmen und
kommunale Elektrizitätsgesellschaften – wurden mit einem steuerbegünstigten
Strombezug gelockt. Der russische Atomkonzern verpflichtete sich wiederum,
12 Jahre lang Strom zu einem festen Selbstkostenpreis zu liefern.
Mittlerweile sind [3][Baubeginn und voraussichtlicher
Inbetriebnahmezeitpunkt] mehrfach verschoben worden, weil es Rosatom noch
nicht geschafft hat, der finnischen Atomaufsichtsbehörde STUK die
erforderlichen Unterlagen für eine Baugenehmigung zu präsentieren. Die
projektierten Baukosten sind auf 7,5 bis 8 Milliarden Euro geklettert und
die finnischen Anteilseigner sind zunehmend unruhig geworden, ob der Bau
überhaupt zustande kommt. Für [4][Hanhikivi-1] sind schon fast eine
Milliarde Euro für Planung und vorbereitende Baumaßnahmen auf der
gleichnamigen Ostseehalbinsel ausgegeben worden.
Im Oktober meldete das finnische Verteidigungsministerium Zweifel an,
inwieweit dieses AKW überhaupt mit den sicherheitspolitischen Interessen
des Landes vereinbar ist. Mit der Ukraine-Krise wurden die Bedenken immer
lauter. „Wenn wir in russische Atomkraft investieren, unterstützen wir
damit die russische Atomwaffenproduktion und damit die geopolitischen Ziele
von Wladimir Putin“, kritisierte Veli-Pekka Tynkkynen, Professor am
Institut für Russland- und Osteuropa-Studien der Universität Helsinki: „Und
wir wären nach Öl, Gas, Steinkohle, Uran und Holz auch noch mit der
Atomstromproduktion von Russland abhängig.“ Er sehe ein „klares Risiko“,
dass Moskau „über seine Eigentümerposition bei Fennovoima Druck auf
Finnland ausüben“ könne.
Mit der [5][Attacke auf die Ukraine] müsse das Projekt gestoppt werden,
meinte beispielsweise Kari Liuhto, Professor für internationale
Wirtschaftspolitik am Pan-Europa-Institut der Universität Turku. Doch die
Regierung zögert. Man müsse eine neue Sicherheitsbewertung vornehmen,
teilte die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Sanna Marin mit.
Wirtschaftsminister Mika Lintilä hielt es Ende vergangener Woche in einer
Fragestunde im Parlament immerhin für „schwierig, eine Genehmigung
vorzuschlagen“. Die Kriterien für eine Bewertung der Sicherheitsrisiken
seien durch die Vorgänge in der Ukraine beeinflusst worden: „Damit wurde
die Messlatte deutlich höher gelegt.“
Seit dem Morgen des 24. Februar gibt es überhaupt nichts mehr neu zu
bewerten, heißt es dagegen in einem Aufruf von „Pro Hanhikivi“, der
Anti-AKW-NGO, die seit 10 Jahren gegen die Pläne für einen Atomreaktor auf
Hanhikivi protestiert und am Sonntag auch vor dem Baugelände beim kleinen
westfinnischen Ort Pyhäjoki demonstrierte. Der Aufruf kritisiert, dass die
finnische Regierung es „erstaunlicherweise versäumt hat“, unmittelbar nach
Beginn des russischen Angriffs mitzuteilen, „dass der Bau der Anlage
beendet ist“.
„Wir werden keine Zusammenarbeit mit der russischen Rosatom auf finnischem
Boden mehr akzeptieren“, äußerte Hanna Halmeenpää, Vizevorsitzende von �…
Hanhikivi“ und ehemalige grüne Abgeordnete gegenüber der taz. Rosatom stehe
unter Putins Kontrolle und sei eng mit dem russischen
militärisch-industriellen Komplex und dessen Atomwaffen verbunden: „Wir
können Russlands geopolitische und strategische Aktionen via Rosatom
nirgendwo in den westlichen Demokratien akzeptieren. Jetzt ist es nicht an
der Zeit, darüber in Finnland zu schweigen.“ Diese Botschaft müsse Putin
„aus allen Ländern, auch von seinem Nachbarn Finnland hören. Die
Ankündigung einer „Sicherheitsbewertung“ irgendwann in der Zukunft genüge
nicht.
Tatsächlich wäre es Helsinki offenbar lieber, wenn das Rosatom-Projekt ohne
Zutun der finnischen Politik unmöglich würde. Als das finnische
Außenministerium vor acht Jahren sein offizielles Votum dazu abgab, betonte
es neben dessen wirtschaftlicher und energiepolitischer auch ausdrücklich
dessen politische Bedeutung: Werde es planmäßig verwirklicht, könne es
„positive Auswirkungen auf die russisch-finnischen Beziehungen haben“.
Welche Auswirkungen man sich von einer Nichtgenehmigung seitens der
Regierung für die Beziehungen zu Moskau erwarten würde, ist damit bereits
gesagt.
Mögliche Klippen, die aufgrund finanzieller, wirtschaftlicher oder
technischer Sanktionen der EU oder der USA faktisch eine Weiterführung der
Pläne unmöglich machen würden, zeichnen sich bereits ab. Der Löwenanteil
der Baukosten des Reaktors sollte über den beim russischen
Finanzministerium angesiedelten „Nationalen Wohlfahrtsfonds“ finanziert
werden. Zentrale Teile der Reaktortechnik wie das Reaktordruckgefäß sollten
nach den bisherigen Rosatom-Plänen ausgerechnet in Kramatorsk, im
ostukrainischen Oblast Donezk, gebaut werden. Und die gesamte IT-Technik
des Reaktors soll aus Frankreich und Deutschland kommen.
„Wir können weder die internationale Politik noch Sanktionen beeinflussen“,
hatte der Fennovoima-CEO Joachim Specht schon im Sommer letzten Jahres
Fragen der taz zu möglichen Unsicherheiten mit dem Neubauprojekt
beantwortet: „Im Moment wirken sich Sanktionen nicht auf unser Projekt
aus.“ Das hat sich geändert. In einer Pressemitteilung vom vergangenen
Donnerstag spricht nun [6][Fennovoima] selbst von „sehr großen Risiken für
das Projekt“.
2 Mar 2022
## LINKS
[1] /Manuela-Schwesig-und-die-Ukraine/!5835263
[2] /Atomkraft-in-Finnland/!5032949
[3] /AKW-Planung-in-Finnland/!5013862
[4] /Russische-Firma-plant-Reaktor/!5812508
[5] /Krieg-in-der-Ukraine/!5838092
[6] https://www.fennovoima.fi/en/news/fennovoimas-statement-situation-ukraine
## AUTOREN
Reinhard Wolff
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