# taz.de -- Rudi Kargus zum 70.: Gut festgehalten | |
> Weil es mehr als nur Fußball gibt, macht der ehemalige HSV-Torwart Rudi | |
> Kargus Kunst. Eine Betrachtung zum 70. Geburtstag des Künstlers. | |
Bild: Das Leben jetzt mit der Kunst: Rudi Kargus bei der Arbeit | |
QUICKBORN taz | Es müssen die Hände sein, die diesen Mann zu besonderen | |
Leistungen befähigen. Rudi Kargus hielt und parierte als Torhüter mit | |
seinen Händen so bravourös Bälle, dass er Deutscher Meister wurde und es | |
sogar bis zum Nationaltorwart brachte. Aber Kargus startete noch eine | |
zweite, ungewöhnliche Karriere: Er gilt als [1][angesehener Künstler], | |
seine Werke sind begehrt und werden im In- und auch Ausland ausgestellt. | |
Seine Hände sind, genauer betrachtet, nicht besonders auffällig und sogar | |
eher klein geraten. „Das verwundert viele“, sagt Kargus, der deshalb als | |
Torwart große Handschuhe überzog. Aber sie sind noch in einem | |
vergleichsweise guten Zustand: Es gibt Torhüter, die nach der Karriere kaum | |
noch Gabel und Messer halten können, Kargus hält den Pinsel, so oft es | |
geht. Natürlich haben auch seine Hände gelitten, der Mittelfinger ist | |
krumm, ein Riss der Strecksehne, mit dem er wochenlang spielte, nur mit | |
Tape-Verband gepolstert. „Das war mein Ehrgeiz, alle 34 Spiele der Saison | |
bestreiten zu wollen“, sagt er heute über seine Fußballzeit, die ihm oft | |
surreal erscheint. Und schließlich sei beim Malen der „Kopf allemal | |
wichtiger als die Hände. Er steuert, sie führen aus.“ | |
Die zweite Karriere von Rudi Kargus, der am 15. August 70 Jahre alt | |
geworden ist, begann völlig unerwartet Mitte der 1990er Jahre: „Das war | |
beinahe wie eine Neugeburt, ein geschenktes zweites Leben“, sagt er. | |
[2][Auf seiner Website] hat der Künstler nur noch einen kargen Eintrag zu | |
seiner Fußballerlaufbahn stehen: „1971–1989 Profifußballspieler beim | |
Hamburger SV und anderen Vereinen.“ | |
Rudi Kargus, 1952 in Worms geboren, zählte lange zu den besten deutschen | |
Torhütern, mit dem Hamburger SV gewann er 1977 den Europapokal der | |
Pokalsieger und wurde 1979 Deutscher Meister. Dass er nicht mehr als drei | |
Länderspiele absolvierte, lag an Sepp Maier, der in den 1970er Jahren als | |
einer der besten Keeper der Welt galt. Kargus aber hält bis heute einen | |
Rekord, den die Fußballchronisten immer wieder bemühen: Kein anderer | |
Torwart parierte mehr Elfmeter, mit 23 abgewehrten Strafstößen ist er als | |
der „Elfmeterkiller“ in die Bundesligageschichte eingegangen. | |
Aber Kargus tat sich schwer mit den eingefahrenen Mechanismen im Sport, in | |
dem ihm Profifußballer wie „dressiert“ vorkommen. Er kam 1971 zum HSV in | |
eine Mannschaft, die von konservativen Haudegen wie dem gestrengen Willi | |
Schulz angeführt wurde. Wenn Kargus sich weigerte, wie alle anderen Spieler | |
zur Auswärtsfahrt den „schrecklichen hellblauen Mannschaftsanzug“ | |
anzuziehen und lieber in zerschlissenen Jeans und Jesuslatschen erschien, | |
begann Schulz zu meckern: „So kommst du nicht mehr mit.“ | |
## Ein unangepasster Profi | |
Kargus war geprägt von den gesellschaftlichen Veränderungen und der | |
Studentenbewegung Ende der 1960er Jahre: „Das war die Zeit des Aufbruchs | |
und des Protestes“, erzählt Kargus. Als „Revoluzzer“ sah er sich nie, ab… | |
er blieb ein unangepasster Profi, der „immer ein bisschen seinen Protest | |
gelebt hat“. | |
Im Tor trat er selbstbewusst auf, im Privatleben war er eher introvertiert | |
und litt unter „diesem Leben unter Beobachtung und der Erwartungshaltung | |
der Masse“. Der Torwart ist im Fußball der wohl wichtigste Akteur, der | |
allerletzte Mann vor der Torlinie, dem mehr Verantwortung zukommt als den | |
anderen Spielern: Er kann mit einer Bewegung Triumphe und Titel sichern und | |
mit einem Fehlgriff Niederlagen und Tragödien einleiten. | |
„Es ist eine sehr spezielle und individuelle Position“, sagt Kargus. „Sie | |
macht etwas Besonderes mit einem.“ Mal umjubelter Held, mal einsamer | |
Versager, der sensible Torwart tat sich schwer in seiner exponierten Rolle: | |
„Als Killer im Tor habe ich mich schon gar nicht gefühlt“, sagt Kargus. Mit | |
anderen über seine Empfindungen und Ängste zu reden „war unmöglich“, es | |
wäre sofort als Zeichen von Schwäche ausgelegt worden im harten Männersport | |
Fußball. „Wenn ich das den älteren Spielern erzählt hätte, dann hätten d… | |
gesagt: Jung, da bist du bei uns am völlig falschen Platz.“ Einen | |
Sportpsychologen zu besuchen, „wäre völlig verpönt gewesen. Das Wort durfte | |
man gar nicht erwähnen, da galt man schnell als nicht normal.“ | |
Als Kargus, der beim HSV auch als Trainer arbeitete, Mitte der 1990er Jahre | |
künstliche Hüftgelenke eingesetzt wurden, „da fing es an, in mir zu | |
arbeiten“. 30 Jahre seines Lebens habe er nur an Fußball gedacht, jetzt | |
begann er zu reisen und „sich zu bilden“. Er beschäftigte sich mit | |
Geschichte, ging ins Theater, las Thomas Mann und Dostojewski. Im Urlaub in | |
Spanien fing er an „zu pinseln, die Malerei fühlte sich ganz gut an“. | |
Kargus belegte Kurse beim Neoexpressionisten Markus Lüpertz, er studierte | |
das Werk von Francis Bacon. | |
## Ein radikaler Bruch | |
Die Entdeckung der Malerei war auch ein radikaler Bruch in seinem Leben, | |
der ungeahnte Möglichkeiten eröffnete: „Beim Malen muss der Zufall eine | |
Rolle spielen. Da kommt es schon mal vor, dass ich die Kontrolle verliere. | |
Disziplin hatte ich genug im Leben.“ | |
Über die Jahre entstehen Werke wie „Der verlorene Engel“, „Die | |
Unschuldigen“ oder „Triumph“: Es seien die „Ambivalenz in meiner | |
Persönlichkeit und die Brüche in meiner Biografie“, die er immer wieder | |
thematisieren muss, in einem Wechselspiel von Schönheit und Hässlichkeit, | |
von Hoffen und Verzweifeln. Auch wenn die Bilder manchmal von Melancholie | |
geprägt sind, sind sie immer von der Hoffnung auf Veränderung getragen. | |
„Irgendwo im Nirgendwo existiert eine bessere Welt und macht das Unmögliche | |
möglich“, sagt Kargus, es könnte die geistige Grundlage sein, auf der viele | |
seiner Werke entstehen. | |
Rudi Kargus wird gern der expressionistischen Malerei zugeordnet. Aber | |
sie ist auch gegenständlich, häufig bildet eine Fotografie die Grundlage | |
eines Bilds. Als „expressive Malerei“ bezeichnet der Künstler seine | |
Arbeiten: „Es ist eine individuelle und zeitgenössische Malerei, die in | |
großen Teilen körperlich und gestisch expressiv sein kann. Ich versuche | |
aber auch detailliert und akribisch zu arbeiten.“ | |
Kargus steht beinahe jeden Tag in seinem Atelier in einer ehemaligen | |
Scheune im Rantzauer Forst bei Quickborn. Es riecht nach Farbe und | |
Verdünner, auf dem Teppich kleben Farbreste. Wenn Rudi Kargus malt, kommt | |
es vor, dass er alles um sich herum vergisst, auch zu essen und zu trinken. | |
Die Malerei sei inzwischen alles für ihn, „sie fordert mich und macht mich | |
zufrieden. Sie lässt mich aber auch verzweifelt nach Hause gehen und stellt | |
mich vor Probleme, die ich irgendwie lösen muss.“ | |
## Gefangen in alter Rolle | |
In einigen Medien, in denen nach wie vor die Sportjournalisten für ihn | |
zuständig sind, bleibt Rudi Kargus in seiner alten Rolle gefangen: Der | |
Fußballer, der jetzt einen Pinsel hält, statt des Balls. „Der Elfmetertöter | |
mit Pinsel, da schüttelt es mich vor Grausen“, sagt Kargus, der zu Beginn | |
seiner Künstlerkarriere sogar mit dem Gedanken spielte, unter Pseudonym zu | |
arbeiten, „um den Fußballer Kargus beerdigen zu können“. | |
Rudi Kargus ist kein Fußballer, der zum Maler geworden ist, er ist eher der | |
Künstler, der in seinem ersten Leben aus Versehen Fußballprofi geworden | |
ist. „Ich war schon immer ein relativ sensibler Mensch, das war für den | |
Fußball eher von Nachteil“, weiß Kargus. „Jetzt im zweiten Lebensentwurf | |
ist es ein Vorteil.“ | |
Es kommt selten vor, dass Rudi Kargus in seinen Bildern sein Leben als | |
Fußballprofi direkt thematisiert. Eigentlich hätten seine erste und zweite | |
Karriere nicht viel miteinander zu tun – zumindest auf den ersten Blick. | |
Aber natürlich weiß Kargus, dass er das erste Leben nicht einfach | |
abschütteln kann. „Vieles habe ich weggeschoben, aber es war nicht weg, | |
heute kann ich es besser darstellen und interpretieren durch die Malerei“, | |
sagt er. Die „geistigen Ablagerungen des Fußballs“ bewegen ihn noch immer | |
an der Staffelei, beim Malen, sagt Kargus, „fängt man an, in sich zu | |
steigen und wird mit seiner Vergangenheit konfrontiert“. Dadurch verstehe | |
er auch „vieles besser aus meinem ersten Leben. Auch, was mir so viel Druck | |
erzeugt hat.“ | |
Man liest häufig Bekenntnisse von ehemaligen Fußballern, die wenigsten | |
haben mehr zu sagen außer den immer selben Anekdoten aus dem | |
Fußballbetrieb. Kargus kann heute in seiner neuen Rolle mit Distanz die | |
Vergangenheit sezieren, seine Reflexionen sind auch ein Beitrag zur | |
Sozialgeschichte des „abenteuerlichen Fußballs“ in den 1970er und 1980er | |
Jahren. | |
18 Aug 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Bilder-eines-Anarchisten/!5055412 | |
[2] https://www.kargus-art.de/ | |
## AUTOREN | |
Rainer Schäfer | |
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