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# taz.de -- Bilder eines Anarchisten: Rebellion und Maskerade
> Rudi Kargus ist lieber aktueller Maler als ewige Sport-Legende. In seiner
> Kunst holt er die Anarchie nach, die dem Fußballprofi verboten war.
Bild: Kampf ist ein durchgängiges Motiv auf den Bildern von Rudi Kargus.
HAMBURG taz | Maskierte Personen in verwirrenden Räumen. Ob sie bedroht
sind oder ob von ihnen selbst Gefahr ausgeht, lässt sich im Dunkel dieser
unübersichtlichen Orte nicht entscheiden. Verborgene Gesichter in
kriegsähnlichen Situationen. Kampfnahes Spiel oder Aufstellung zum
Gegenangriff in blutigen Revolten? Bilder, bei denen ein Lagerfeuer
trotzige Gemütlichkeit am Schrottplatz oder Hilflosigkeit im zerstörten
Camp bedeuten kann – oder auf einen viel größeren Brand verweist.
Oft sind in dieser Ausstellung in der „Fabrik der Künste“ rebellische
Szenen zu sehen, die an die wilden Bilder des Hamburger Malerstars Daniel
Richter erinnern. Aber auch die spanischen Maler des 17. Jahrhunderts wie
Jusepe de Ribera, Diego Velázquez und Francisco de Zurbarán werden
ausdrücklich zitiert. Deren aus Braun-Tönen und Grau-Schattierungen
hervorblitzende Körper mag Rudi Kargus sehr.
## 20 Jahre funktionieren
Nun stammen diese teils dunklen, Leid und Zerstörung thematisierenden
Bilder ja nicht von einem aufgekratzten Jugendlichen, sondern von jemandem,
der über zwanzig Jahre seines Lebens sich nach festen Regeln einer Gruppe
einzufügen und zu funktionieren hatte. Will man schnell psychologisieren,
könnte man denken, dass der heute vielleicht 61-jährige Rudi Kargus in
seiner Malerei auch ein wenig jene Anarchie nachholt, die er in den
70er-Jahren als Fußballprofi versäumen musste.
Inzwischen ist er jedenfalls einer derjenigen Maler geworden, die kein
Interesse an bloßer Abbildung haben, sondern die gegen den Zustand der Welt
malen. Da ist nichts freundlich oder dekorativ, da zeigt sich, gleich ob in
eher abstrahierenden Landschaften oder in aufgebrochenen Räumen unter
Schutzanzug und Vermummung, die große Maskerade einer höchst ambivalenten
Welt zwischen Fukushima und Occupy.
Doch wie entkommt man, gerade als Späteinsteiger, der Falle, schon gesehene
Bilder zu reproduzieren? Wie überwindet Rudi Kargus die tausendfach
vorhandenen Bilder der Welt, zumal wenn er, wie eine in der Ausstellung
nachgestellte Ecke seines Ateliers in Quickborn zeigt, sogar Medienbilder
sammelt und Szenen der zerstörten Außenwelt an die Wand pinnt?
## Der Kampf mit Fehlern
Die intensivierende Umsetzung funktioniert nur im langwierigen Prozess des
Malens selbst, im steten Durcharbeiten in der Zeit allein im Atelier. Der
Kampf mit Unzulänglichkeiten und Fehlern in der Arbeit, das Formen und
Umformen auf der Leinwand verlangen dabei nicht weniger Disziplin als
früher der Sport. Es ist nur nicht mehr alles so rigide, und der Künstler
weiß inzwischen, dass es keinen Sinn hat, etwas erzwingen zu wollen.
Rudi Kargus ist als Kind der 50er-Jahre in einer ordentlichen Zeit
aufgewachsen. Durchbeißen war für seine Karriere angesagt, nicht Zweifel,
Versuch und Scheitern oder gar Kunst. Jetzt sind seit 15 Jahren durch das
Malen Selbstreflexion und Melancholie, Bauchgefühl und Opposition
zugelassen und geradezu notwendig. Seine ganze Wahrnehmung hat sich
verändert. Die Position einer Person im Raum ist keine Frage einer
festgelegten Strategie auf dem Feld mehr, sondern eine ästhetische
Entscheidung im Rechteck der Leinwand.
Sind die als „Die Mutigen“ Betitelten ein verstört durch Ruinen irrendes
Paar Überlebender? Oder lassen sie als aufbrechend Suchende all das
Gerümpel befreit zurück? Sicher ist, dass Rudi Kargus auch in die politisch
lesbaren Bilder viel eigene Befindlichkeit einsetzt. Und noch sicherer ist,
dass am Ende die Deutungshoheit bei diesen manchmal bruchstückhaften
Bild-Erzählungen in den Augen der Betrachter liegt.
Aber die gewünschte Aufmerksamkeit zu erreichen, ist längst nicht so
einfach wie früher. Jemand, dem einst ganze Stadien applaudierten, kann
sicher auch in der Erinnerung daran einiges Publikum anziehen. Aber dann
haben die Sportjournalisten auf seinen Bildern Fußbälle gesehen und bei
jeder Rückenfigur sogleich die typische Torwartsicht bemüht: Einer einmal
besetzten Rolle ist eben nicht leicht zu entkommen.
## Selbstbezügliche Kunst
Doch ernsthafte Kunst ist so einfach nicht zu übersetzen und sie hat
ziemlich wenig mit Sport zu tun. Ihr meist sehr selbstbezügliches System
steht eher in Opposition zu Mannschaftsgeist und sportlichen Idealen. Der
Sport ist oft gar ein ausdrücklicher Gegner des Kunstbetriebs, wenn es um
Ressourcen und Sponsoren und Behördenzuständigkeiten geht. Aber dennoch
wird kein Künstler hingehen und völlig unbeteiligt fragen, warum da auf dem
Grünen so viele Leute hinter einem Ball herlaufen, man könne ihnen doch
mehrere geben? Auch ohne sportliches Vorwissen kann man sich mit Rudi
Kargus gut unterhalten. Denn der Meistertorwart will nicht wie einige
seiner früheren Kollegen die aktive Zeit nostalgisch verbrämen.
## Fußball ist weit weg
Er ist es ausdrücklich satt, als ein berühmter Fußballer gesehen zu werden,
der nun auch noch etwas malt. Wenn aber der Maler Rudi Kargus heute nur
ungern über sein erfolgreiches Fußballleben spricht, dann wird ihm das oft
negativ ausgelegt: Warum er denn seine bemerkenswerte Karriere und den
Fußball so schlechtreden wolle? Nein, das will der erfolgreichste
Elf-Meter-Killer der Bundesliga nicht. Aber wenn er in seinem zweiten Leben
auch am Tag eines HSV-Heimspiels eine Führung durch seine Ausstellung
machen kann, dann eben nicht gegen etwas, sondern für etwas: Für seine
bemerkenswerte Malerei, in der sich die Identitäten hinter Masken
verwischen und Freund und Feind nicht mehr klar getrennt sind.
## Rudi Kargus „ID2K1“, Fabrik der Künste, Kreuzbrook 12, täglich 14 – …
Uhr. Bis 10. November. . Katalog 18 Euro
8 Nov 2013
## AUTOREN
Hajo Schiff
## TAGS
Schwerpunkt Stadtland
Anarchisten
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