# taz.de -- „Rudel“-Phänomen auf Social Media: Mehr als Pfadfinder reloade… | |
> Junge Männer treffen sich in abgelegenen Camps, um „männliche“ Ideale zu | |
> zelebrieren. In den sozialen Medien trifft ihr Marketing einen Nerv. | |
Bild: Sind richtige Männer so? | |
Sie nennen sich Sigma-Männer, Ober-Giga-Alphas oder Wölfe. Und so benehmen | |
sie sich auch: Grölend rennen sie mit Fackeln oberkörperfrei durch den | |
dunklen, eisigen Wald. „In einer Welt, die immer softer wird, muss an | |
maskulinen Werten festgehalten werden!“, sagt der muskelbepackte, | |
brustbehaarte Lockenkopf in die Kamera. Vor ihm lodern die Flammen des | |
Lagerfeuers, hinter ihm steckt eine Axt tief im Baumstamm. | |
Er ist Angelo, 20 Jahre alt und Anführer des „Rudels“: einer | |
„Bruderschaft“, die Männertrips organisiert, meist „abgeschottet von der | |
Zivilisation“. Dort lernt man „Mann“ sein: Für sie heißt das Kampfsport | |
5.30 Uhr, Baumstammheben, Brusttrommeln und Eisbaden bei Minusgraden. | |
Das Rudel ist ein Männernetzwerk. Aktuell bestehe es aus 80 „Wölfen“, | |
erzählt ein Mitglied. Alle paar Monate finden in Deutschland und im Ausland | |
Abenteuertrips mit 20 bis 50 Mitgliedern statt. Aktuell befinden sie sich | |
in Thailand. Das Geschehen wird in den sozialen Medien | |
aufmerksamkeitsheischend vermarktet. [1][Auf Instagram] folgen ihnen 18.000 | |
Menschen. Und dort polarisieren sie: Während vor allem Jugendliche sie | |
bewundern, werfen andere ihnen aufgrund ihres veralteten Männlichkeitsbilds | |
und dem Ausschluss von Frauen toxische Männlichkeit vor. | |
„Das Rudel bietet klare Antworten in einer Zeit, in der Männer oft | |
orientierungslos sind“, sagt der Literaturwissenschaftler Christoph May vom | |
Institut für Kritische Männerforschung. Es werde ein Männlichkeitsbild | |
vermittelt, in dem ein Mann stark, zielstrebig und diszipliniert sein | |
müsse. Viele der „Wölfe“ sind nach eigenen Angaben Unternehmer, andere | |
wollen es sein. Um als „wahrer Macher“ zu gelten, bedarf es nach | |
Rudel-Ideologie knallharter, optimierter Tagesabläufe und Sport „bis zum | |
Verrecken“. | |
## Hypermaskulines Körperbild | |
„Propagiert wird, dass Männer Konkurrenzkampf und Gruppenzwang brauchen, um | |
an ihre Ziele zu gelangen“, sagt May. Frauen würden jedoch auch davon | |
profitieren, wenn der Mann „mental stärker und körperlich stabiler“ werde | |
und mehr Geld verdiene, sagt Angelo in einem Video. May hingegen sagt, dass | |
das Rudel durch sein hypermaskulines Körperbild und das Narrativ, dass es | |
eine Abkehr von Weiblichkeit brauche, [2][toxische Männlichkeit] | |
verkörpere. | |
Wer beitreten will, muss ein Bewerbungsverfahren durchlaufen. Der | |
monatliche Mitgliedsbeitrag kostet laut Rudel-Website 99 Euro. Aber eins | |
stellt Angelo fest: Hier wird niemand über den Tisch gezogen. | |
Teil des Pfadfinderprogramms reloaded ist auch die Selbstreflexion. „Es war | |
interessant, eigene Schwächen und Unsicherheiten zu reflektieren“, sagt | |
Sergej, Influencer und Mitglied des Rudels. Auch das Gemeinschaftsgefühl | |
sei bereichernd gewesen „in einer Welt, in der alle voneinander distanziert | |
sind“. Das klingt schon anders als auf dem Rudel-Account, wo Rufe nach | |
„Testo, Testo!“ und „Protein! Ahhhh!“ dominieren. | |
„So funktioniert Content Creation heutzutage“, sagt Sergej. „Es geht prim… | |
darum, Aufmerksamkeit und Reichweite zu generieren.“ Und die entsteht durch | |
Provokation: „Wenn man filmen würde, wie alle dasitzen und ihr Blatt | |
vollkritzeln, würde das weniger hängen bleiben, als wenn man oberkörperfrei | |
bei minus 10 Grad in einem See steht.“ | |
## Bizeps, Gewalt und Macht | |
Bei genauerem Hinsehen würde jedoch deutlich, dass mehr dahinterstecke, | |
sagt er. Gelegentlich lässt das Rudel das auch durchscheinen. In einem | |
Video heißt es etwa: „Was du auf Social Media siehst: Bizeps flexen, | |
Therapie schwänzen, Gewalt ausüben. Was du nicht siehst: Deeptalks, | |
voneinander lernen und unternehmerischer Mehrwert.“ Doch Videos wie diese | |
sind selten. Es dominieren kurze Ausschnitte, also: Bizeps, Gewalt und | |
Macht statt Reflexion und Meditation. Binäre Narrative statt | |
Differenziertheit. | |
„In Zeiten von beschleunigtem [3][Feminismus] provoziert das“, sagt May. | |
Unter den Instagram-Videos hagelt es nur so Vorwürfe toxischer | |
Männlichkeit: „Misogynie 101“ oder „Incel-Alarm“ lauten die Kommentare. | |
Auch namhafte Feministinnen wie Sophie Passman und Tara-Louise Wittwer | |
kritisieren das Rudel: „Wissen diese Männer, dass sie sich auch einfach so | |
treffen können, ohne in ein Bootcamp zu fahren und es Rudelbildung zu | |
nennen? Ihr könnt euch sogar mit T-Shirt treffen“, sagt Wittwer. | |
„Kritik ist für das Rudel vielmehr ein Antreiber, noch mehr provozieren zu | |
wollen“, sagt May. Das Rudel repostet sie und kommentiert: „Wenn sich Leute | |
dir in den Weg stellen, ist das nur ein Zeichen dafür, dass deine Stimme | |
gehört wird.“ | |
Zu jeder Bewegung gebe es eine Gegenbewegung, sagt May: Je mehr | |
repräsentative Räume Frauen und queere Menschen einnähmen, desto größer die | |
Gegenwehr der Männer. „Eine Bewegung, die wieder viel Zulauf erhält und | |
dessen Charakteristika das Rudel aufzeigt, ist die mythopoetische | |
[4][Männerbewegung] der 1980er Jahre.“ Bei dieser Strömung wird unter | |
Rückgriff auf archaische Männerbilder nach einer männlichen Identität | |
gesucht. „Das hat schon immer polarisiert, aber früher gab es keine | |
unmittelbare Sichtbarkeit“, sagt er. Durch die sozialen Medien habe sich | |
das verändert. | |
Das Rudel ist kein Einzelphänomen. Im Internet wimmelt es nur so von | |
Männerbünden. Das Problem sei vor allem ihre Reichweite, sagt May. Accounts | |
wie „Männlichkeit stärken“, die angeben, „Experten für Flirten, Sex & | |
Mannsein“ zu sein, folgen 7.000 Menschen, „Bali Time Chamber“, das damit | |
wirbt, „die nächste Generation starker Männer“ zu schaffen, 240.000. Vor | |
allem mit Blick auf die jüngere Generation sei das „höchst gefährlich“, | |
sagt May. | |
„Wenn junge Männer Frauenfeindlichkeit glorifizieren, werden sie diese | |
antifeministischen Verhaltensweisen in der Gesellschaft reproduzieren.“ | |
Instagram strebt an, ein diskriminierungsfreier Ort zu sein. Da beim Rudel | |
jedoch keine eindeutig misogynen Haltungen, sondern implizit | |
antifeministische Haltungen zu erkennen sind, ist die Handlungsmacht der | |
Plattform eingeschränkt. Deshalb sei es wichtig, dass | |
Meinungsmacher*innen die toxische Männlichkeit des Rudels „benennen | |
und kritisieren“, sagt May. Dass sie der Sache damit zusätzliche | |
Aufmerksamkeit widmeten, sei kein Widerspruch: „Nicht das Rudel bekommt die | |
Aufmerksamkeit, sondern die Kritik am Rudel.“ | |
Sergej kann die Aufregung nicht nachvollziehen. Der übertrieben männliche | |
Social Media Auftritt sei doch bloß „eine Aufmerksamkeitswährung“, sagt e… | |
„Und man sieht, dass es funktioniert.“ Hauptsache, Clicks. | |
Verantwortungsgefühl: Fehlanzeige. | |
11 Apr 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.instagram.com/dasrudel.network/?hl=de | |
[2] /Toxische-Maennlichkeit-im-Sport/!5997445 | |
[3] https://www.ipsos.com/de-at/weltfrauentag-2023 | |
[4] /Psychologe-ueber-Maennlichkeit/!5938867 | |
## AUTOREN | |
Lilly Schröder | |
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