# taz.de -- Repressionen in Belarus: „Schön auf die Eier halten“ | |
> Das Protokoll eines Gesprächs von Sicherheitskräften wird öffentlich. Bei | |
> der unabhängigen Nachrichtenagentur Belapan findet eine Razzia statt. | |
Bild: Der Belarussische Präsident Lukaschenko bei einer Eliteeinheit der Poliz… | |
Mönchengladbach taz | Sie waren mit zehn maskierten Uniformierten um die | |
Mittagszeit gekommen. Sofort nach ihrem Eindringen in die Büroräume der | |
unabhängigen belarussischen Nachrichtenagentur Belapan befahlen die | |
ungebetenen Gäste den JournalistInnen, während der Hausdurchsuchung weder | |
Telefone noch EDV-Geräte zu berühren. | |
Begründet wurden die Hausdurchsuchung und die anschließende Mitnahme von | |
PCs und Servern mit Ermittlungen gegen den am Dienstag festgenommenen | |
Journalisten Andrej Alexandrow. Alexandrow war zwischen 2014 und 2018 | |
stellvertretender Chef der Agentur und arbeitete anschließend als freier | |
Mitarbeiter für Belapan. Ihm wird, so eine Sprecherin des staatlichen | |
Ermittlungsbüros gegenüber Belapan, eine „grobe Verletzung der öffentlichen | |
Ordnung“ vorgeworfen. | |
Alexandrows Kollegen rätseln über die tatsächlichen Motive der Festnahme. | |
Alexandrow, so berichtet der Direktor von Belapan, Dmitrij Nowoschilow, | |
gegenüber dem Portal curenttime.tv, habe sich an keiner einzigen | |
Protestaktion beteiligt. | |
JournalistInnen sorgen sich auch um ihren Kollegen Igor Losik. Der Blogger | |
und Gründer des Telegramkanals „Belarus im Gehirn“ befindet sich seit einem | |
Monat im Hungerstreik und denkt nicht daran, seine Aktion abzubrechen. | |
Solange die Vorwürfe einer „Organisation von Massenunruhen“ und „Störung | |
der öffentlichen Ordnung“ aufrechterhalten würden und er weiter in Haft | |
bliebe, denke er überhaupt nicht ans Aufhören, zitiert der russische Dienst | |
der Deutschen Welle den Journalisten. Auch ein Aufruf von | |
[1][Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja] und anderen | |
Persönlichkeiten konnte ihn nicht zu einem Abbruch bewegen. | |
## 300 Euro Strafe | |
Aufsehen erregte auch die Verurteilung einer der ältesten Aktivistinnen der | |
belarussischen Protestbewegung Anfang dieser Woche. Zu umgerechnet 300 Euro | |
wurde die 89-jährige Valerija Smirnowa von einem Gericht in Minsk | |
verurteilt, weil sie sich an einem der immer Montags stattfinden | |
Protestmärsche von RentnerInnen beteiligt hatte. | |
Grund zum Feiern hatte die Rentnerin trotzdem. Es hätte ja auch eine | |
Arreststrafe sein können. Weniger Glück hat die Studierende Jana | |
Solonowitscha. Sie ist seit dem 1. November in Arrest, nachdem sie wegen | |
Beteiligung an Protesten mehrmals verurteilt worden war. Frühestens am 23. | |
Februar wird sie ihre Zelle verlassen können. | |
Unterdessen hat Präsident Alexander Lukaschenko einen neuen Kodex zu | |
Ordnungstrafen unterschrieben. Dieser sieht eine Erhöhung der Geldstrafen | |
für die Verwendung verbotener Symbole vor. So soll ein Zeigen der | |
weiß-rot-weißen belarussischen Fahne auf Balkonen oder in Fenstern mit bis | |
zu 550 Euro bestraft werden können. Die weiß-rote-weiße Flagge war 1918 und | |
von 1991 bis 1995 Nationalflagge des Landes. Heute gilt sie als Symbol der | |
Opposition. | |
Unterdessen sind [2][Gesprächsprotokolle] an die Öffentlichkeit gelangt, | |
die einen Einblick in die Stimmungslage derer geben, die die Macht von | |
Alexander Lukaschenko mit aller Gewalt erhalten wollen. „Bypol“, eine | |
Gruppe von Sicherheitskräften, die sich der Opposition verbunden fühlt, | |
veröffentlichte Mitschnitte einer Zusammenkunft ihrer regimetreuen | |
Kollegen. Darauf ist auch die Stimme von Nikolaj Karpenkow, dem derzeitigen | |
Vize-Innenminister, zu hören. Das Treffen soll Ende Oktober stattgefunden | |
haben. | |
## Über 30.000 Festnahmen | |
An einer Stelle empfiehlt ein Anwesender den schonungslosen Einsatz von | |
Druckluftwaffen: „Wenn jemand auf dich losgeht, setz die Waffe ein, die ja | |
nicht tödlich ist. Schieß auf Beine, den Bauch, die Eier, damit er kapiert, | |
was er angerichtet hat.“ | |
Seit der Präsidentschaftswahl am 9. August 2020 gehen in Belarus regelmäßig | |
Menschen für Neuwahlen und die Freilassung aller politischen Gefangenen auf | |
die Straße. Insgesamt wurden über 30.000 Demonstrierende und Passanten | |
festgenommen, viele von ihnen in der Haft schwer misshandelt. Viele | |
Staaten, unter ihnen auch Deutschland, erkennen die Wahl vom 9. August | |
nicht an. | |
15 Jan 2021 | |
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## AUTOREN | |
Bernhard Clasen | |
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