| # taz.de -- Reisen in die Schweiz: Warum Basel eine Kunststadt ist | |
| > Nicht nur die Art Basel und eine lebendige Off-Szene haben den Ruf der | |
| > Grenzstadt geprägt. Auch einheimische Sponsoren fördern die Kultur. | |
| Bild: Feierabendbier in der Landestelle, die Bar wurde aus dem Material des Fav… | |
| Nein, der halbnackte Mann in leuchtend orangefarbener Badehose, der barfuß | |
| die St. Johanns-Vorstadt entlangschlurft, gehört zu keiner | |
| Kunstperformance, sondern ging lediglich kurz im Rhein schwimmen: oben beim | |
| Tinguely-Museum rein, unten rechtzeitig vor der Landungsstelle mit den | |
| ehemaligen Favela-Hütten der Art Basel raus, in Badehose zurück ins Büro | |
| oder zur Wohnung laufen – das macht hier im Sommer jeder und jede. | |
| Es kann einem zuweilen etwas schwindlig werden, in dieser Stadt, die sich | |
| auch außerhalb der Art Basel der Kunst verschrieben hat. Die Verwirrung | |
| kommt denn auch nicht von ungefähr – eine Stunde vorher an diesem heißen | |
| Tag draußen im Garten der Fondation Beyeler: Ein ahnungsloses älteres | |
| Ehepaar aus Hamburg schlendert über den Kiesweg zum Pavillon, als sich von | |
| ebendort eine junge Frau löst, sich vor die beiden hinstellt und eigens für | |
| sie ein paar Zeilen in schönster Tonlage singt. Die Besucher zucken zuerst | |
| überrascht zusammen, schauen dann die Sängerin irritiert an und suchen nach | |
| dem Publikum. Bis sie merken, dass ihnen selbst die Töne gelten und sie | |
| sich auf die Steinbank setzen, um der jungen Frau zuzuhören. | |
| Die Besucher reagierten sehr unterschiedlich auf ihren Gesang, erklärt die | |
| Sängerin freundlich, die an diesem Morgen ihre vierstündige Schicht hat und | |
| mit „This You“ eine Intervention von Tino Sehgal präsentiert. Wobei der | |
| Künstler selbst lieber von „konstruierten Situationen“ spricht. „This Yo… | |
| (2006) gehört zur Sammlung der Fondation Beyeler, die der legendäre Basler | |
| Kunsthändler Ernst Beyeler Anfang der fünfziger Jahre – anfangs noch | |
| unabsichtlich – begonnen hatte. | |
| ## Enorme Museumsdichte | |
| Der Galerist an der Bäumleingasse 9 in der Basler Altstadt ist ein | |
| geschickter Geschäftsmann. Und die besten Werke, die durch seine Hände | |
| gingen, so munkelt man, behielt er für sich. Die Sammlung, die so entstand, | |
| ist zum größten Teil auf Werke der Klassischen Moderne konzentriert, sie | |
| ist nicht riesig, doch hochkarätig, wie Theodora Vischer von der Fondation | |
| Beyeler erklärt. Seit 2012 wird die Sammlung behutsam erweitert. Aus der | |
| Sammlung entstand zu Lebzeiten Beyelers eine Stiftung und aus dieser | |
| schließlich vor jetzt zwanzig Jahren das Museum in Riehen, vor dessen | |
| Fenstern ein derart akkurat gepflegtes Kornfeld liegt, dass man sich fragt, | |
| ob der Bauer vom städtischen Kulturfonds bezahlt wird. | |
| Zurück in der Stadt erinnern die vielen Litfaßsäulen beharrlich an das, was | |
| es in dieser zwar drittgrößten, aber letztlich eben doch kleinen Schweizer | |
| Stadt zu sehen gibt: An jeder von ihnen wird für mindestens zwei | |
| Ausstellungen geworben, hier für die noch nie gezeigten Skizzen Cézannes, | |
| dort für die Filme und Videotapes von Richard Serra, hundert Meter weiter | |
| für Wim Delvoye und Wolfgang Tillmanns, daneben auch noch für Otto | |
| Freundlichs kosmischen Kommunismus im Kunsthaus, und dort hinten hängt ein | |
| Plakat der Kunsthalle mit undefiniertem Objekt. | |
| Auch in allerhand Gesprächen mit Einheimischen über ihre Stadt wird einem | |
| als Tourist immer wieder stolz unter die Nase gerieben, dass Basel eine | |
| enorme Museumsdichte habe – und die Architektur, nicht zu vergessen die | |
| Architekturbüros von Weltrang, die hier bauen. Hinzugekommen sind in den | |
| letzten Jahren einige Projekträume, von denen man bereits im nahen Zürich | |
| murmelt und von denen man auch in Berlin schon gehört hat. Dass Basel eine | |
| Kunststadt ist, ist ein alter Hut, interessanter ist die Frage, warum das | |
| überhaupt so ist? | |
| Der Blick von der Pfalz beim Münster erklärt zuerst einmal die Geografie: | |
| unten das Rheinknie, hier wechselt der trübgrüne Fluss, der aus den Alpen | |
| kommt, die Richtung von Ost-West nach Nord-Süd. Im Westen, also links in | |
| Sichtweite, hinter den teils angedeuteten Türmen des neuen Novartis-Campus, | |
| liegt Frankreich, und im Norden, geradeaus rechts der Blick, beginnt | |
| Deutschland. Das Münster aus rotem Sandstein thront auf dem Münsterhügel in | |
| Großbasel, unten auf der anderen Seite des Flusses liegt „Klybasel“, wie | |
| die Einheimischen Kleinbasel nennen. | |
| ## Konzentrierter Reichtum | |
| Auf dem Berg oben stehen mondäne, zwar schmale, aber doch herrschaftliche | |
| Häuser mit goldenen Klingelschildern, auf denen häufig nur die Initialen | |
| eingraviert sind, weil sowieso jeder weiß, wer wo wohnt, und wer hier | |
| wohnt, möchte lieber diskret bleiben. Unten auf der anderen Seite das | |
| lebendige Kleinbasel mit Geschäftsschildern nicht aus allen, aber vielen | |
| Kulturen. Mit farbigen Bodenmarkierungen auf einem bestimmten | |
| Straßenabschnitt hinter der Kaserne, wo Frauen – buchstäblich hinter einem | |
| markierten Strich – ihre Körper verkaufen. Und Straßennamen, die hin und | |
| wieder in den lokalen Zeitungen auftauchen, weil es eine Schießerei | |
| zwischen zwei Clans gegeben hat. | |
| Ganz so schwarz-weiß ist Basel natürlich nicht, aber reich und arm, | |
| zurückhaltend und laut, das spürt man in Basel, zuweilen sogar mehr als | |
| anderswo: In keiner anderen Schweizer Stadt gibt es solch konzentrierten | |
| Reichtum wie hier. In Basel leben einige sehr, sehr reiche Menschen. Manche | |
| Familien leben von Vermögen, das sich über Generationen angehäuft hat: | |
| Ursprünglich durch den Verkauf von Seidenbändern, die die damalige Mode | |
| erforderte und in Kleinbasel gefärbt wurden; als sich die Mode änderte, | |
| entwickelten sich – vereinfacht gesagt – daraus zuerst Geschäfte mit der | |
| Produktion von Farben und wiederum daraus zuerst die chemische und | |
| schließlich die pharmazeutische Industrie. | |
| Nicht alle reichen Familien verdienten ihr Geld so, aber alle reichen, | |
| alteingesessenen Familien bestehen auf Diskretion. Die Schweizer nennen | |
| diesen Geldadel „Daig“ (Patriziat) – die Auswärtigen tendenziell mit | |
| abfälligem Tonfall, die Basler dezidierter: Denn viel Geld von diesen | |
| Vermögen fließt in die zahlreichen Basler Stiftungen und von dort in | |
| kulturelle oder gemeinnützige Projekte, von denen wiederum viele Bewohner | |
| und Bewohnerinnen dieser Stadt profitieren. | |
| Geld, das plötzlich sichtbar wird, wenn Basler und Baslerinnen | |
| Bibliotheken, Kunstsammlungen oder Festivals besuchen. Oft genug wollen die | |
| Spender und Spenderinnen dafür auf keinen Fall genannt werden. So bedankt | |
| sich etwa das neu gebaute Haus der elektronischen Künste im ehemaligen | |
| Freilager an einer Säule beim Eingang an zweiter Stelle bei „einem anonymen | |
| Spender“. | |
| Oder organisierte Anfang der Nullerjahre eine Gruppe anonymer Mäzeninnen | |
| als „Ladies First“ innerhalb kürzester Zeit mehrere Millionen Schweizer | |
| Franken für ein neues Schauspielhaus. Denn das ist das ungeschriebene Credo | |
| dieses sogenannten Daig, den es laut Historikern als solchen seit Mitte des | |
| 20. Jahrhunderts nicht mehr gibt, aber in der Stadt eben doch immer noch | |
| spürbar ist: „Me git, aber me sait nyt.“ (Man gibt, aber spricht nicht | |
| darüber.) | |
| ## Ein Wandel findet statt | |
| Auf die Frage, warum Basel eine Kunststadt ist, gibt es also verschiedene | |
| Antworten, die irgendwie alle miteinander zu tun haben: Wegen Erasmus, | |
| sagen die einen, dessen Gebeine hinter einem Kreuzgang des Münsters ruhen, | |
| wenn man auf der Pfalz steht und hinunter zum Fluss blickt, um Basels | |
| Geografie zu betrachten. Und wegen seinem Freund, dem Buchdrucker Johannes | |
| Froben, der am Fuß des Nadelbergs im Totengässlein 3 seine Wirkungsstätte | |
| hatte und Basel zur damaligen Zeit zum Epizentrum der „schwarzen Kunst“ | |
| machte. Durch Erasmus und später die Reformation kamen viele guten Ideen in | |
| die Humanistenstadt. | |
| So ist etwa die Sammlung des Kunstmuseums, die erste öffentliche Europas: | |
| Sie wurde als privates Kunstkabinett von der humanistisch geprägten Familie | |
| Amerbach im 16. Jahrhundert aufgebaut, im 17. Jahrhundert dann von der | |
| Stadt erworben und als Museum öffentlich zugänglich gemacht. | |
| „Das Kunstmuseum ist das erste Museum, das nicht einem Fürsten oder einer | |
| anderen Obrigkeit gehört hat, sondern von einem städtischen Gemeinwesen | |
| gegründet wurde. Entsprechend fühlt sich die Bevölkerung auch damit | |
| verbunden, denn es ist klar: Das ist unser Museum und deswegen interessiert | |
| es uns, was hier passiert“, erklärt Theodora Vischer, vormals | |
| Gründungsdirektorin des Schaulagers Basel und unterdessen Senior Curator an | |
| der Fondation Beyeler. Auf Basler wie Ernst Beyeler habe sich dieser Geist | |
| ausgeweitet, der 1970 zusammen mit anderen die Art Basel gegründet hatte. | |
| Denn klar: Wegen der Art Basel sagt jeder, sei Basel eine Kunststadt. Die | |
| jüngere Generation zeigt unterdessen stolz auf die neue Rektorin der | |
| Kunsthochschule, Chus Martínez, die auch Kuratorin ist und entsprechend | |
| international gut vernetzt frischen Wind in die Stadt bringe. Oder auf die | |
| neue Leiterin der Kunsthalle, Elena Filipovic, die sich nicht scheut, | |
| Vernissagen anders zu gestalten als bisher, und überhaupt offen für | |
| Experimente ist. Entwicklungen, die andere Experimentierfreudige als | |
| Zeichen deuten und nachziehen. | |
| „Es findet gerade ein Wandel statt: Die Dringlichkeit, als Galerie in | |
| Zürich sein zu müssen, gibt es nicht mehr“, glaubt Oliver Falk, der vor | |
| knapp einem Jahr zusammen mit einem Freund die Galerie Weiss Falk an der | |
| Rebgasse in Kleinbasel eröffnete. Anders als an anderen Orten finden in | |
| Basel junge Kunst- und Kulturschaffende nach wie vor günstige Räume zum | |
| Wohnen und Arbeiten. | |
| „Die Off-Szene ist stark hier: In Basel steht man nicht im Druck eines | |
| würgenden Kontextes, hier ist mehr Platz zum Arbeiten“, erklärt Samuel | |
| Leuenberger, der die letzten beiden Art Parcours kuratierte und in | |
| Birsfelden den Projektraum Salts betreibt. Wer dort den Automaten für | |
| frische Köder „auch außerhalb der Geschäftszeiten“ findet, den das | |
| benachbarte Anglergeschäft im Hinterhof aufgestellt hat, sieht auch den | |
| großen roten Terrakotta-Sandhügel von Mélodie Mousset, der einen Teil des | |
| Ausstellungsraums unter sich zu begraben scheint. | |
| ## Gut verortet | |
| Basel sei eine Kunststadt, weil es im Dreiländereck liege, sagen manche – | |
| Easy Jet, lachen andere, sei wichtiger. Der nahe Flughafen auf | |
| französischer Seite verbindet Basel mit Berlin, London und Paris. Der | |
| Austausch im Dreiländereck ist an einem gewöhnlichen Samstagabend | |
| allerdings weitaus weniger glamourös, als man meinen könnte. Seit diesem | |
| Frühling erst erschließt ein Weg alle drei Länder miteinander, sodass man | |
| zu Fuß oder mit dem Fahrrad zwischen St. Johann in der Schweiz, St. Louis | |
| in Frankreich, Weil am Rhein in Deutschland und Kleinhüningen in der | |
| Schweiz hin und her spazieren kann. Magnet ist dabei das Einkaufszentrum in | |
| Weil am Rhein, wo viele Schweizer und offenbar auch einige Franzosen ihre | |
| Wocheneinkäufe erledigen. | |
| An lauen Abenden sitzen hier an der Uferstraße kurz vor der deutschen | |
| Grenze Basler/innen neben Elsässer/innen und Lörracher/innen, blicken in | |
| die Sonne und trinken das lokale Ueli-Bier oder den international | |
| akzeptierten Apérol-Spritz: Kunst- und Kulturschaffende haben hier ein | |
| kleines Idyll aus Sperrholzplatten aufgebaut. Teilweise mit Materialien des | |
| sogenannten „Favela Cafés“, das der japanische Künstler Tadashi Kawamata | |
| für die Art 2013 konzipierte und damals einen Skandal ausgelöst hatte. | |
| Hier bei der „Landestelle“, wie diese Zwischennutzung heißt, springen | |
| einige Waghalsige – obwohl es verboten ist – in den Rhein und schwimmen | |
| ein paar hundert Meter den Fluss hinunter, während sich die Schiffe gegen | |
| die Strömung hinaufkämpfen. An diesem Abend fährt sinnigerweise ein | |
| schwarz-weiß bemalter Frachter namens „Christoph Merian“ den Rhein hoch – | |
| umsichtiger, reicher Basler und Gründer der Christoph-Merian-Stiftung. | |
| 21 Oct 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Gina Bucher | |
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