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# taz.de -- Regierungskrise in Libyen: Ein Land mit zwei Premiers
> In Libyen streiten zwei Männer um das Amt des Chefs der
> Übergangsregierung. Der bisherige Amtsinhaber überlebte am Morgen einen
> Anschlag.
Bild: Anschlag überlebt: Regierungschef Dbaiba, Archivbild vom September 2021
Tunis taz | Der mit Spannung erwartete Tag, an dem in Libyen das Parlament
einen neuen Übergangsregierungschef bestimmen wollte, begann mit
Gewehrsalven. Unbekannte hätten auf die Fahrzeugkolonne des aktuellen
Regierungschefs Abdul Hamid Dbaiba geschossen, [1][berichten] der Libya
Observer und andere gut über die Lage in der Hauptstadt Tripolis
unterrichtete Medien unter Berufung auf Augenzeugen.
Verletzte gab es bei dem Attentatsversuch nahe des privaten Wohnhauses des
Regierungschefs demnach nicht. Doch spätestens seit den frühen
Morgenstunden ist klar, dass der von vielen Parlamentariern geplante
Machtwechsel in Tripolis nicht ohne Gewalt stattfinden wird.
Das Parlament mit Sitz im Osten des Landes bestimmte am Donnerstag
nichtsdestotrotz eigenmächtig einen Nachfolger für Dbaiba als Chef der
Übergangsregierung, wie die libysche Nachrichtenagentur Lana meldete. Den
Posten soll nach Willen des Parlaments nun der frühere Innenminister Fathi
Baschaga übernehmen.
Das Parlament hatte am Montag beschlossen, die ursprünglich für Dezember
geplanten Wahlen nicht mehr dieses Jahr abzuhalten. Für eine Übergangszeit
von 14 Monaten soll nun eine neue Interimsregierung unter Baschaga
eingesetzt werden.
Dbeiba hatte sich gegen die Wahl einer neuen Übergangsregierung gesperrt.
„Ich werde keine neue Übergangsperiode zulassen“, sagte er am Dienstag.
„Die Regierung der nationalen Einheit wird weitermachen, bis die Macht an
eine gewählte Regierung übergeben wird.“ Sollte vorher ein neuer
Regierungschef ernannt werden, sinke Libyen zurück in Spaltung und Chaos.
Zugleich rief er zu Straßenprotesten auf.
## Kritik an internationaler Staatengemeinschaft
Das Mandat von Dbaiba war am 24. Dezember abgelaufen. [2][Die ursprünglich
an diesem Tag geplanten Wahlen des Parlaments und eines Präsidenten waren
an der Drohung von Milizen gescheitert], gewaltsam gegen die Wahlbehörde
vorzugehen.
Fast Einhundert Kandidaten hatten sich für den Präsidentenposten beworben.
Mit Khalifa Hafter, Saif al-Islam al-Gaddafi und Dbaiba selbst lagen in den
Umfragen jedoch drei Favoriten vorn, deren Wahl im gegnerischen Lager zu
Aufständen hätte führen können.
Für die Wahl des Parlaments hatten sich fast 5.000 Kandidaten beworben.
„Der Anteil von weiblichen Kandidaten und jungen Menschen ist im Vergleich
zu den Wahlen von 2012 und 2014 sprunghaft gestiegen“, sagt der politische
Aktivist Hamza al-Najh, der in der Stadt Gharian als Kandidat angetreten
war. „Der Wille zu einem demokratischen Wandel ist den Libyern trotz der
Konflikte nach dem Sturz Muammar al-Gaddafis nicht abhanden gekommen“, sagt
der Familienvater stolz.
Doch er kritisiert, dass die internationale Staatengemeinschaft ignoriere,
dass die Voraussetzungen für Wahlen noch immer nicht gegeben seien. „Für
den 24. Dezember war weder eine Wahlbeobachtermission der EU noch der
Vereinten Nationen geplant.“
„Auch scheint niemand bereit zu sein, die Wahlverlierer zu einer
Anerkennung des Ergebnisses zu zwingen“, sagt Illiasse Sdiqui, der für die
Sicherheitsfirma Whispering Bell in Tripolis die Lage beobachtet.
## Exinnenminister will Regierungschef werden
Eigentlich ist auch das Mandat des Parlaments seit 2016 abgelaufen, doch
der Krieg um Tripolis und die dadurch verstärkte Ost-West-Spaltung des
Landes haben den Abgeordneten die üppig bezahlten Posten gerettet.
Vorletzte Woche haben die Parlamentarier eigenmächtig einen
Diplomatenstatus für sich und ihre Familien auf Lebenszeit beschlossen.
Viele Libyer sind überzeugt, dass es die Präsidentschaftskandidatur von
Seif al-Islam war, Sohn von Muammar al-Gaddafi, die den Wahlprozess
beendete. Die kritiklose Anerkennung des vom Parlament ausgearbeiteten
Wahlgesetzes kostete schließlich sogar dem Chef der UN-Mission für Libyen
den Job. Bis heute konnten sich die Mitglieder des UN-Sicherheitsrats nicht
auf eine Nachfolgerin von UNSMIL-Chef Ján Kubiš einigen.
Seine Exstellvertreterin Stefanie Williams soll nun den Wahlprozess und
eine Verabschiedung einer neuen Verfassung vorantreiben. Die US-Bürgerin
muss nun allerdings möglicherweise den nächsten Waffengang verhindern,
sorgt doch die Wahl Baschagas am Donnerstag für erhebliche Spannungen.
„Um als Regierungschef überhaupt nach Tripolis reisen zu können, müsste
Baschaga die von der jetzigen Regierung gut bezahlten bewaffneten Gruppen
wie die SSA von Kommandeur Gneiwa auf seiner Seite haben“, sagt Sdiqui.
„Eine gewaltsame Machtübernahme in Tripolis ist unwahrscheinlich. Am ersten
Februar haben sich die wichtigsten bewaffneten Gruppen getroffen und
offenbar den Machtwechsel an Baschaga besprochen.“ Sollte der Plan
scheitern, könnte sich mit Hilfe der in Ostlibyen stationierten russischen
Söldner eine Parallelregierung bilden, warnt er.
„Die Mehrheit will den Wandel, doch solange die derzeitigen Machthaber die
Milizen auf ihrer Seite haben, sind wir nur Zuschauer der Demokratie“, sagt
Parlamentskandidat al-Najh.
10 Feb 2022
## LINKS
[1] https://www.libyaobserver.ly/news/pm-dbeibah-escapes-assassination-attempt
[2] /Rueckschlag-fuer-Wiederaufbau-des-Staates/!5824072
## AUTOREN
Mirco Keilberth
## TAGS
Abdul Hamid Dbaiba
Libyen
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