| # taz.de -- Reform der Ausländerbehörde: Arbeit wird jetzt geduldet | |
| > Die Berliner Ausländerbehörde soll integrationsfreundlicher werden: Mehr | |
| > Flüchtlinge dürfen arbeiten. Experten sagen, da ginge noch mehr. | |
| Bild: Ein Geflüchteter arbeitet als Mechatronik-Azubi bei einem Autohaus in Ze… | |
| Berlin ist eine Einwanderungsstadt: Zu dieser an sich banalen Tatsache | |
| bekennt sich der Senat in seinem Koalitionsvertrag. Einer der Bausteine, um | |
| die Floskel mit Leben zu füllen: Gesetzliche Möglichkeiten im | |
| Aufenthaltsrecht sollen im Sinne von Einwanderern ausgeschöpft werden, um | |
| ihnen die Integration, vor allem in den Arbeitsmarkt, zu erleichtern. | |
| Umsetzen soll dies – ausgerechnet – die Ausländerbehörde, die zwar ab | |
| Januar unter dem neuen Namen Landesamt für Einwanderung firmieren wird, | |
| bisher aber eher in dem Ruf steht, Ausländer vorrangig als Problem zu | |
| betrachten. Daher wurde im vorigen Jahr eine ExpertInnenkommission | |
| eingerichtet, um Empfehlungen zu erarbeiten, wie die sogenannten | |
| Verfahrenshinweise der Ausländerbehörde Berlin (VAB) | |
| integrationsfreundlicher gestaltet werden können. Die VAB definieren | |
| Leitlinien für die Ermessensspielräume der SachbearbeiterInnen bei | |
| aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen. | |
| Am Dienstag präsentierte Innensenator Andreas Geisel (SPD) die Vorschläge | |
| der Kommission, in der neben staatlichen Akteuren VertreterInnen der | |
| Kirchen, von NGOs sowie Wirtschafts- und Juristenverbänden sitzen, die er | |
| in die VAB übernommen hat. Von 56 Vorschlägen, so Geisel, würden über 60 | |
| Prozent umgesetzt. | |
| Das Beispiel, das der Innensenator hervorhebt: Menschen mit einer Duldung, | |
| die „Probleme bei der Passbeschaffung haben und nicht arbeiten dürfen“, | |
| würden nun für sechs Monate eine Beschäftigungserlaubnis bekommen, | |
| „verbunden mit der Aufforderung, an der Passbeschaffung mitzuwirken“. Zudem | |
| werde es ihnen erleichtert, ihre Mitwirkung nachzuweisen, indem sie sie | |
| „lediglich glaubhaft machen müssen, zum Beispiel durch eine eidesstattliche | |
| Erklärung“. | |
| ## Vorwurf: Selbst verschuldete Passlosigkeit | |
| Gut 11.000 Geduldete gibt es aktuell in Berlin: abgelehnte Asylbewerber, | |
| die aus verschiedenen Gründen – Krieg im Heimatland, schwere Krankheit, | |
| fehlender Pass – nicht abgeschoben werden können. Knapp die Hälfte von | |
| ihnen hat ein Arbeitsverbot, meist weil ihnen vorgeworfen wird, sich nicht | |
| genug um neue Ausweispapiere zu bemühen. | |
| Oft liegt es allerdings an den Botschaften des Heimatlandes, die kaum zu | |
| beschaffende Papiere fordern oder erst in ferner Zukunft einen Termin geben | |
| – dies aber Betroffenen nicht schriftlich geben, sodass diese keinen | |
| Nachweis über ihre Bemühungen haben. „Dass ihnen nun geglaubt wird, wenn | |
| sie eine eidesstattliche Versicherung abgeben, ist ein echter Fortschritt“, | |
| sagt Kommissionsmitglied Safter Çınar vom Türkischen Bund | |
| Berlin-Brandenburg. „Bislang war das abhängig vom jeweiligen | |
| Sachbearbeiter.“ | |
| Bettina Jarasch, die als integrationspolitische Sprecherin der | |
| Grünen-Fraktion zwar nicht in der Kommission sitzt, aber deren Arbeit | |
| verfolgt, lobt diesen Punkt als „bundesweit einmalige | |
| integrationsfreundliche Auslegung“ dessen, was Bundesinnenminister Horst | |
| Seehofer (CSU) gerade mit seiner „Duldung light“ eingeführt habe. | |
| Eine solche Duldung, mit gekürzten Bezügen und ohne Arbeitserlaubnis, | |
| bekommen seit Inkrafttreten des „Geordneten-Rückkehr-Gesetzes“ alle | |
| Geduldeten ohne Pass. Dass ein Teil dieser Gruppe in Berlin – ausgenommen | |
| sind Geduldete aus „sicheren Herkunftsländern“ – nun eine Arbeitserlaubn… | |
| für sechs Monate bekomme, „eröffnet einen Weg zur Verfestigung des | |
| Aufenthalts, von dem ich hoffe, dass ihn möglichst viele Menschen nutzen | |
| können“, so Jarasch zur taz. | |
| Dies loben auch die Kommissionsmitglieder, die die taz befragt hat. Doch | |
| sie üben auch Kritik: „Gerade beim Übergang vom Duldungsstatus in ein | |
| Bleiberecht sind wichtige Ideen der Kommission ohne Not liegen geblieben“, | |
| sagt etwa Frauke Steuber, die als Mitglied der Härtefallkommission auch in | |
| der VAB-Kommission sitzt. | |
| ## „Haupthindernis für ein Bleiberecht“ | |
| Ein Beispiel dafür nennt Georg Classen vom Flüchtlingsrat: „Die | |
| Ausländerbehörde verlangt weiterhin, dass bisher Geduldete mit | |
| Arbeitsverbot aus dem Stand einen Arbeitsplatz vorweisen können, der ihre | |
| Existenz vollständig sichert.“ Das sei aber „quasi ein Ding der | |
| Unmöglichkeit und in der Praxis das Haupthinderns für ein Bleiberecht“. | |
| Rechtsanwalt Björn Cziersky-Reis, der für den Republikanischen | |
| Anwaltsverein in der Kommission sitzt, kritisiert, dass bei Minderjährigen | |
| mit Ausbildungsduldung weiterhin nur sorgeberechtigte Elternteile vor | |
| Abschiebung geschützt werden. „Viele Väter haben kein Sorgerecht, kümmern | |
| sich aber um ihren Nachwuchs.“ Zudem sage das Bundesverfassungsgericht, | |
| dass eine „familiäre Lebensgemeinschaft“ mehr umfassen kann als die | |
| Sorgeberechtigten. „Das erkennt die Ausländerbehörde an anderer Stelle der | |
| VAB auch selbst an.“ | |
| Christian Lüder von „Berlin hilft“ hätte sich gewünscht, dass Flüchtlin… | |
| die in Vorbereitung einer Ausbildung eine „Einstiegsqualifizierung“ | |
| durchlaufen, nicht mehr abgeschoben werden dürfen. Mit Beginn der | |
| Ausbildung würden sie ohnehin eine Ausbildungsduldung bekommen. „Da ist es | |
| doch tragisch, wenn sie mitten in einer staatlichen Maßnahme abgeschoben | |
| werden“, findet der Flüchtlingshelfer. | |
| Was Lüder noch fehlt: dass Berlin endlich einen Abschiebestopp für | |
| Afghanistan erklärt. „Dann wäre eine Duldung für Afghanen grundsätzlich | |
| möglich und damit eine Verfestigung ihres Aufenthalts.“ De facto schiebt | |
| Berlin ohnehin keine Afghanen ab, aber weil man sich diese Möglichkeit für | |
| Straftäter offenhalten will, wird auch kein offizieller Abschiebestopp | |
| erklärt. | |
| ## Kommission als „wichtiges Zeichen“ | |
| Insgesamt ist Lüder aber zufrieden, weil Geisel viele Vorschläge übernommen | |
| habe. Steuber lobt zudem, dass es die Kommission überhaupt gebe, sei „für | |
| das zukünftige Landesamt für Einwanderung ein wichtiges Zeichen für | |
| transparentes und partizipatives Verwaltungshandeln.“ Auch Çınar hebt | |
| hervor: „Dass die Zivilgesellschaft derart Einfluss nehmen kann auf die | |
| Ausländerbehörde, ist bundesweit einmalig.“ | |
| Die Kommission soll ihre Arbeit 2020 fortsetzen. | |
| 18 Nov 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Memarnia | |
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