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# taz.de -- Referendum in Irland: Schlachtfeld der Antiabtreibungslobby
> Irland stimmt über sein Abtreibungsgesetz ab. Beim Kampf um die Stimmen
> mischen auch Aktivist*innen aus den USA mit.
Bild: Kampf um Stimmen mit dem Bauch: eine schwangere Abtreibungsgegnerin
Dublin taz | Irland hat eins der strengsten Abtreibungsgesetze Europas. An
diesem Freitag stimmen die Menschen dort darüber ab, ob das seit 1983 in
der Verfassung festgeschriebene Verbot gelockert werden soll. Der noch vor
zwei Monaten deutliche Vorsprung der Ja-Seite ist kurz vor der Abstimmung
auf wenige Prozent zusammengeschrumpft, der Ausgang des Referendums hängt
nun an den Unentschlossenen. Ein Überblick.
## Das Nein-Lager
Als vor 35 Jahren in Irland schon mal ein Referendum über
Schwangerschaftsabbrüche abgehalten wurde, war die katholische Kirche die
treibende Kraft. Pfarrer im ganzen Land predigten, die Gläubigen für die
Aufnahme des absoluten Abtreibungsverbots in die Verfassung stimmen. Und
genau das geschah am 7. Oktober 1983.
Diesmal wirbt die katholische Hierarchie für eine „Nein-Stimme“. Sie will
verhindern, dass die Irinnen und Iren den entsprechenden Paragrafen wieder
aus der Verfassung streichen.
Aber es ist viel geschehen seit 1983. Die Kirche hat als moralische Instanz
verspielt. Im Mai 2009 hatte eine von der Regierung eingesetzte
Untersuchungskommission festgestellt, dass 35.000 Kinder in katholischen
Kinderheimen und Waisenhäusern zwischen 1914 und 2000 von Priestern und
Mönchen geschlagen, gequält und vergewaltigt wurden. Die Kirche hatte den
Missbrauch geduldet, totgeschwiegen und die Täter geschützt.
Dennoch mischt sich der Klerus in die Debatte um Schwangerschaftsabbrüche
ein. So behauptete etwa der Bischof der zweitgrößten irischen Stadt Cork,
John Buckley, Abtreibung sei der erste Schritt in Richtung Euthanasie: Wer
„beginnendes menschliches Leben für wegwerfbar“ halte, werde dasselbe
„alsbald auch für Menschen gegen Ende ihres Lebens“ entscheiden.
Weil solche Panikmache bei den Menschen aber nicht mehr so verfängt wie
früher, verlässt sich das Nein-Lager lieber auf moderne Methoden. Einige
Organisationen, darunter auch konservative Studierendenverbände, haben sich
Ende März zur Kampagne „Save the 8th“ zusammengeschlossen – es geht beim
Referendum um den 8. Zusatzparagrafen zur Verfassung. Er sei „der einzige
Schutz für die Ungeborenen“, sagt Niamh Uí Bhriain, Direktorin der
Kampagne.
Um den Paragrafen zu erhalten, haben die Abtreibungsgegner den
IT-Spezialisten Thomas Borwick rekrutiert. Seine Firma Kanto, ein
britisches Ein-Mann-Unternehmen, ist auf politische Onlinekampagnen
spezialisiert. Borwick hat bei Cambridge Analytica gelernt und bei der
Brexit-Kampagne im Auftrag der EU-Gegner in den sozialen Medien Stimmung
gegen die EU gemacht.
In Irland hätte er wohl im Internet Horrormeldungen über Abtreibungen
verbreiten sollen. Doch daraus wurde nichts: Google hat vor gut zwei Wochen
jegliche Stimmwerbung per Anzeige verboten. Auch Facebook unterband
Anzeigen von ausländischen Organisationen für ein Ja oder Nein beim
Volksentscheid. Beide Unternehmen wollten verhindern, dass ihnen wie bei
den US-Wahlen Einflussnahme vorgeworfen wird. In Irland waren nämlich – vor
allem auf Seiten der Abtreibungsgegner – undurchsichtig finanzierte
Anzeigen und angeblich neutrale Webseiten geschaltet worden, die alles
andere als neutral waren.
Das Werbeverbot betrifft zwar beide Seiten, aber vor allem die
Abtreibungsgegner hatten auf die Onlinekampagne gesetzt. „Online war die
einzige Möglichkeit für die Nein-Kampagne, um mit den Wählern direkt zu
sprechen“, erklärte Uí Bhriain von „Save the 8th“.
Doch das stimmt nicht. Erstens ist ganze Irland mit Nein-Plakaten
zugepflastert, zweitens hat man Flugblätter an sämtliche Haushalte
verschickt, drittens wurde beiden Seiten dieselbe Sendezeit in Radio und
Fernsehen eingeräumt, und viertens durften die Abtreibungsgegner ihre
Botschaft in katholischen Kirchen von der Kanzel verbreiten.
## Das Ja-Lager
Das Thema Schwangerschaftsabbruch spaltet Irland; und zwar nicht nur die
Parteien und Gewerkschaften, sondern die ganze Insel. In den Städten liegt
die Ja-Seite deutlich vorne, in den ländlichen Regionen haben die
Abtreibungsgegner die Oberhand.
Die wichtigste Kampagne für die Abschaffung des Verfassungsparagrafen ist
„Repeal the Eighth Amendment“, der gut 100 Organisationen angehören. Ihr
Argument: Der Paragraf verhindere nicht Abtreibungen, sondern lediglich
sichere Abtreibungen.
Noch immer reisen täglich bis zu zehn irische Frauen für einen
Schwangerschaftsabbruch nach England. Auch wegen des höheren logistischen
Aufwands und der Kosten für die Reise liegt der Prozentsatz der Irinnen,
die erst nach der 20. Woche abtreiben, viel höher als bei Engländerinnen.
Schon im Jahr 1992 entschied das höchste irische Gericht, dass
Schwangerschaftsabbrüche bei Lebensgefahr für die Schwangere – und dazu
zählten die Richter Suizidgefahr – statthaft seien. Doch erst Ende vorigen
Jahres beschlossen die Politiker, die längst fälligen Gesetze zu
verabschieden. Dazu müssen sie sich aber – wie bei jeder
Verfassungsänderung – das Plazet der Wahlberechtigten holen.
Dabei sind sich die Fraktionen im Parlament keineswegs einig. Weder die
Regierungspartei Fine Gael („Stamm der Gälen“), noch die großen
Oppositionsparteien Fianna Fáil („Soldaten des Schicksals“) und Sinn Féin
(„Wir selbst“) sind offiziell für Abtreibung. Die drei ParteichefInnen
haben sich zwar für ein „Ja“ ausgesprochen, aber es gibt bei diesem
Referendum keinen Fraktionszwang. Jeder Abgeordnete und jede Senatorin
entscheidet selbst, auf welcher Seite sie Wahlkampf betreibt und informiert
die Wählerinnen und Wähler im Internet über ihre Position.
Anne Conway war 21, als sie 1970 die Reise nach London antrat. Jetzt ist
sie 69 und engagiert sich bei der Ja-Kampagne. „Ich kannte bisher keine
andere Frau, die eine Abtreibung hatte“, sagt sie. „Die Atmosphäre ist nach
all den Jahren noch immer die gleiche: die Angst, die moralische
Verurteilung, das Stigma bei einer Abtreibung.“ Im Zuge der Ja-Kampagne
sprechen inzwischen auch andere Frauen öffentlich über ihre Abtreibung.
„Ich wohnte damals zunächst bei Verwandten“, sagt Conway, „aber ich hatte
Angst, dass sie merken würden, warum ich in London war. Ich zog deshalb in
eine Herberge im Norden der Stadt.“
Im Guy’s Hospital sagte man ihr, dass sie in eine private Abtreibungsklinik
gehen müsste. Als Irin stand ihr der englische Nationale Gesundheitsdienst
nicht zur Verfügung. In einer Privatklinik kostete eine Abtreibung 100
Pfund, was damals sehr viel Geld war. Ihr Ex-Freund beteiligte sich an den
Kosten.
Conway war in der 14. Woche, als die Schwangerschaft abgebrochen wurde.
„Seit dem Referendum von 1983 haben mehr als 170.000 Irinnen in England
abgetrieben“, sagt sie. „Es ist an der Zeit, dass wir den Mund aufmachen
und sagen, dass es keine furchtbare Sache ist, die wir getan haben.“
## Die Fanatiker aus den USA
Dublin, Anfang Mai: Etwa ein Dutzend junger Menschen hält vor dem
Rotunda-Krankenhaus, der ältesten Entbindungsklinik Europas, Plakate mit
verstümmelten Föten hoch. Abtreibung sei Mord, rufen die Leute mit
deutlichem US-amerikanischen Akzent.
Das irische Referendum über die Abschaffung des konstitutionellen
Abtreibungsverbots ist längst zu einem Schlachtfeld der internationalen
Antiabtreibungs-Lobby geworden. Die Aktivisten vor den Kliniken gehören dem
Center for Bio-Ethical Reform an. Das Zentrum wurde 1990 in Kalifornien
gegründet. Der Geschäftsführer Gregg Cunningham, ein Republikaner, war im
Januar in Irland – er wollte der irischen Sektion „helfen, die
Abtreibungslobby zurückzudrängen“, heißt es auf der Webseite der
Organisation.
„Wir wollen genauso multinational sein wie die Abtreibungsindustrie“, sagt
die Chefin der irischen Sektion, Jean Engela, „Die entschuldigt sich auch
nicht dafür, dass sie ihre internationalen Partnerorganisationen schickt,
um vor dem irischen Volk zu dozieren.“
Andere US-Organisationen wie die Pro-Life Action League aus Chicago, die
Abtreibung in der ganzen Welt abschaffen will, schicken schon seit Jahren
Hunderttausende Dollar an irische Abtreibungsgegner wie die Youth Defence,
die 1986 als Kampagne gegen die Legalisierung von Scheidung in Irland
gegründet wurde. Nachdem sie das Scheidungsgesetz nicht verhindern konnte,
engagiert sie sich nun gegen den Zugang zu Abtreibungen. Youth Defence hat
enge Kontakte zu rechtsextremen Gruppen in Großbritannien, Italien und
Deutschland. Mitglieder der Organisation treten regelmäßig als Redner auf
NPD-Veranstaltungen auf und stehen in Kontakt mit dem US-Faschisten William
Luther Pierce. Auch die erzkatholische US-Organisation Human Life
International aus Minnesota hat den irischen Abtreibungsgegnern Materialien
und Geld zur Verfügung gestellt.
Die Legalisierung von Verhütungsmitteln, von Homosexualität und Scheidung,
selbst die gleichgeschlechtliche Ehe konnte in Irland nicht verhindert
werden – aber die letzte große Schlacht wollen die katholischen Verbände
gewinnen.
Nach irischem Recht ist es verboten, Spendengelder aus dem Ausland
anzunehmen, wenn damit der Ausgang von Wahlen oder Volksentscheiden
beeinflusst werden soll. Organisationen wie Amnesty International und die
Abortion Rights Campaign, die für das Recht auf Abtreibung eintreten,
mussten deshalb Spenden zurückzahlen. Die Abtreibungsgegner blieben
unbehelligt. Die Demonstrationen vor den Kliniken hätten nichts mit dem
Referendum zu tun, argumentierte der irische Ableger des Center for
Bio-Ethical Reform. Man sei eine Bildungsorganisation.
„Dieser Protest hat bei unseren Patientinnen für sehr viel Leid und Ärger
gesorgt“, sagte eine Sprecherin des Rotunda-Krankenhauses. Sie rief die
Polizei, die die Demonstranten nach Hause schickte.
25 May 2018
## AUTOREN
Ralf Sotscheck
## TAGS
Feminismus
Schwerpunkt Abtreibung
Irland
Referendum
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