| # taz.de -- Recycling in China: Giftig und wertvoll | |
| > Mülltrennung war in China bislang kein Thema. Nun gilt in Schanghai eines | |
| > der strengsten Recycling-Gesetze der Welt. Kontrollen inklusive. | |
| Bild: In Shanghai versteht man seit Juli keinen Spaß mehr: Was Mülltrennung a… | |
| Schanghai taz | Die Frau ist sichtlich überfordert. Ratlos steht sie vor | |
| den großen Tonnen, die neuerdings am Eingang ihres Wohnblocks stehen. „Ich | |
| möchte es ja richtig machen“, sagt sie. Aber diese Unterteilung sei ihr | |
| dann doch zu kompliziert. Yang Hu beruhigt sie. „Keine Sorge“, sagt er. Der | |
| Mittfünfziger, der stolz seine blaue Mülluniform mit dazugehöriger | |
| Schirmmütze zur Schau stellt, erklärt ihr, welcher Müll in welche Tonne | |
| gehört. Yang Hu ist einer von stadtweit 30.000 freiwilligen Helfern, die in | |
| diesen Tagen in ihren Wohnvierteln den Mitbürgern das Mülltrennen erklären. | |
| Und er gibt sich dabei größte Mühe: Toilettenpapier, Thermoschalen – sofern | |
| sie ausgespült sind –, Staubsaugerbeutel und sauber abgenagte Rinderknochen | |
| könnten in die Tonne für trockenen Müll, erklärt er freundlich und | |
| geduldig. Fischgräten, Wassermelonenschalen und Gemüsereste gehörten in die | |
| Tonne für Nassmüll. Alles aus Plastik, Glas, Papier und Tetra-Paks dürfe | |
| wie gehabt in die Recyclingtonne. Und dann gebe es die Gifttonne, sagt Yang | |
| und zeigt auf die orangefarbene Tonne. Die sei ausschließlich für alte | |
| Akkus, Medikamentenreste und Fieberthermometer. | |
| Seit einem Monat gibt es in Schanghai kaum ein Thema, das die Menschen in | |
| der 23-Millionen-Metropole so beschäftigt wie der Müll. Chinas reichste | |
| Stadt hat sich zum Ziel gesetzt, der 22.000 Tonnen Müll am Tag Herr zu | |
| werden und die Mülltrennung konsequent durchzusetzen. Und zwar ganz in | |
| Manier der Kommunistischen Partei: mit einer groß angelegten Kampagne, | |
| vielen Kontrolleuren und saftigen Strafen. | |
| Unterschiedliche Tonnen für den Abfall hat es vorher zwar auch schon | |
| gegeben, aber kaum einer hat sich daran gehalten. Plastikverpackungen, | |
| Glas, volle Windeln, alte Klamotten, [1][Elektroschrott – alles landete in | |
| einer Tonne.] Zuweilen fischten Wanderarbeiter in den Tonnen nach | |
| Wertstoffen, die sie dann gegen ein kleines Entgelt in der örtlichen | |
| Recylingstelle abgeben konnten. | |
| Damit soll in Schanghai nun Schluss sein. Die Stadtregierung hat schon zu | |
| Jahresbeginn eine Kampagne gestartet, die der Bevölkerung die Trennung in | |
| die vier Müllkategorien erklären soll. Große Plakate mit entsprechender | |
| Erläuterung hängen seitdem an jedem Hauseingang, Broschüren stecken im | |
| Briefkasten einer jeden Wohnung. Die abendliche Lichtshow der Skyline von | |
| Schanghai entlang des Huangpu-Flusses besteht nun aus Werbeclips, in denen | |
| ebenfalls die Mülltrennung erklärt wird. Eine von der Stadt bereitgestellte | |
| App soll alle Fragen zur Mülltrennung beantworten. | |
| Zudem hat die Stadtverwaltung jede Starbucks-, jede McDonald’s- und jede | |
| Kentucky-Fried-Chicken-Filiale dazu verpflichtet, zusätzlich jemanden | |
| einzustellen, der allein damit beschäftigt ist, den Kunden die Mülltrennung | |
| zu erklären. Zehntausende hat die Stadtverwaltung entsprechend schulen | |
| lassen. | |
| Seit dem 1. Juli ist das neue Gesetz in Schanghai in Kraft. Wer erwischt | |
| wird, den Müll falsch zu trennen, muss mit zum Teil harten Strafen rechnen. | |
| Privatpersonen drohen Bußgelder in Höhe von 250 Yuan (rund 30 Euro). | |
| Sollten aber Geschäftstreibende oder Unternehmer gegen die Regeln | |
| verstoßen, drohen ihnen Bußgelder bis zu einer halben Million Yuan (65.000 | |
| Euro). In den Wohn- und Häuserblocks patrouillieren nun sogenannte | |
| Müllwächter. | |
| Zusätzlich gibt es bei Zuwiderhandlungen soziale Minuspunkte. Chinas | |
| Führung ist derzeit dabei, landesweit ein sogenanntes soziales Kreditsystem | |
| einzuführen. Das gesamte Verhalten aller chinesischer Staatsbürger soll | |
| erfasst und mit Punkten bewertet werden. | |
| Wer bis zu einem bestimmten Stichtag eine hohe Punktzahl erzielt, erhält | |
| Vergünstigungen etwa bei Reisen. Wer hingegen nur eine geringe Punktzahl | |
| aufweist, wird bestraft, etwa in Form von Reiseverboten. Dieses System soll | |
| im Laufe des nächsten Jahres landesweit eingeführt werden. Mülltrennung | |
| wird künftig Teil des Bewertungssystems sein. | |
| Das Ziel der Schanghaier Stadtregierung: Noch in diesem Jahr soll die | |
| Recylingquote von aktuell unter 20 auf 35 Prozent steigen und dann jedes | |
| Jahr um weitere zehn Prozentpunkte. Bereits im kommenden Jahr sollen 46 | |
| weitere Städte dem Vorbild Schanghais folgen. 2025 soll es das | |
| Mülltrennungssystem dann landesweit gelten. | |
| Das strenge Recyclinggesetz hat einen Grund. Die chinesische Regierung hat | |
| schon früh erkannt, dass im Abfall wichtige Wertstoffe zu finden sind, die | |
| das Land für seine Wirtschaft dringend benötigt. Weil es der Volksrepublik | |
| etwa an Erdöl mangelt, das sie für die Produktion von Kunststoffen braucht, | |
| kaufte sie noch allein 2016 weltweit rund sieben Millionen Tonnen | |
| Plastikabfall auf. Das entsprach mehr als der Hälfte des weltweiten | |
| Aufkommens – und entlastete entsprechend [2][das Müllproblem nicht zuletzt | |
| auch der Deutschen.] | |
| Auch als Brennstoff zur Energiegewinnung ist Plastikabfall inzwischen | |
| lukrativer und umweltschonender als etwa Braunkohle. Je mehr der Preis für | |
| fossile Energieträger stieg, desto wertvoller wurde Müll als | |
| Ersatzbrennstoff. | |
| ## Anlagen statt Wanderarbeiter | |
| Dank billiger Arbeitskräfte konnte es sich China viele Jahre lang leisten, | |
| Abfälle von Menschenhand sortieren zu lassen. Ein Millionenheer von | |
| Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeitern war für wenig Geld bereit, den Müll | |
| auf den Boden zu kippen und die verwertbaren Stoffe auszusortieren. Dass | |
| das eine sehr schmutzige und auch gesundheitsschädliche Arbeit war, | |
| interessierte in China lange Zeit kaum jemanden. | |
| Doch diese Arbeitskräfte sind in den vergangenen Jahren rar und damit | |
| teurer geworden und die Umweltauflagen strenger. [3][2017 stoppte China die | |
| Einfuhr von Müll aus aller Welt.] Die Regierung ist nun darum bemüht, | |
| landesweit moderne Müllanlagen zu errichten, die weitgehend automatisch den | |
| Abfall trennen. | |
| Ein besonderes Problem ist der Nassmüll. Der stellt alle Länder mit | |
| modernen Müllanlagen vor Schwierigkeiten. Denn in den Verbrennungsanlagen | |
| brennt nasser Restmüll nur sehr schlecht und mindert deshalb den Brennwert. | |
| Da in chinesischen Haushalten viel gekocht wird und damit viel Nassmüll | |
| entsteht, ist die miserable Moral bei der Mülltrennung zu einem großen | |
| Problem für die chinesische Müllindustrie geworden. Daher hat die Stadt | |
| Schanghai nun zusätzlich den Restmüll in trocken und nass unterteilt. Der | |
| trockene Müll lässt sich leichter maschinell sortieren, der nasse Abfall | |
| könnte zur Energiegewinnung genutzt werden, zum Beispiel durch Biogas. | |
| Das ist leichter gesagt als getan. Hühnerknochen sollen in den feuchten | |
| Abfalleimer gegeben werden, Schweineknochen gelten jedoch als trockener | |
| Müll. Handybatterien sind Sondermüll, ältere Batterien werden jedoch in den | |
| Hausmüll gegeben. Der Abfall muss zu bestimmten Zeiten morgens oder abends | |
| unter Aufsicht von Freiwilligen an den dafür vorgesehenen Stellen abgegeben | |
| werden. „Jeden Tag wachst du mit einer Frage auf: Wie hältst du es heute | |
| mit dem Müll?“, beklagt sich ein Kommentator auf Sina Weibo, dem in China | |
| weit verbreiteten Twitter-Pendant. | |
| In den sozialen Netzwerken finden sich allerdings auch Faustregeln. Ein | |
| Blogger empfiehlt, sich in ein Schwein zu versetzen und zu überlegen, wie | |
| es vorgehen würde. Wenn ein Schwein den Müll fressen könnte, geht er in die | |
| Tonne für feuchten Müll. Wenn der Müll für das Schwein zwar genießbar wär… | |
| aber nicht besonders attraktiv, handelt es sich um trockenen Abfall. Wenn | |
| das Schwein wahrscheinlich an dem Fressen sterben würde: Gifttonne. | |
| Und wenn es sich um Müll handelt, den man verkaufen kann, um sich ein | |
| Schwein zu kaufen, handelt es sich um recycelbaren Abfall. Mit dieser | |
| Faustregel, so der Blogger, lasse sich die Mülltrennung „bestens | |
| verstehen“. | |
| 3 Aug 2019 | |
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| Felix Lee | |
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