# taz.de -- Chinas Sozialkreditsystem: Die Kontrolle trifft EU-Firmen | |
> Die Führung in Peking will ihr Sozialkreditsystem auf die Wirtschaft | |
> ausweiten. Europäische Firmen sind wenig vorbereitet. | |
Bild: In der Stadt Rongcheng probiert China sein umstrittenes soziales Bewertun… | |
Berlin taz | „Verdrängung“ sagt der deutsche Geschäftsmann, der namentlich | |
nicht genannt werden möchte. Was in China mit seinem sozialen | |
Bewertungssystem auch auf ausländische Unternehmen zukommt, sei so | |
„radikal“, dass sich niemand damit beschäftigen will, vermutet er. Der | |
47-Jährige lebt seit acht Jahren in Peking. „Hier droht die | |
Totalüberwachung und keiner will’s wahrhaben.“ | |
Sowohl die EU- als auch die Deutsche Handelskammer warnen davor, dass die | |
meisten deutschen und europäischen Firmen in China nur unzureichend auf die | |
Einführung des umstrittenen Sozialkreditsystems vorbereitet sind. Die | |
EU-Kammer bezeichnet es in einem Positionspapier als „zutiefst | |
besorgniserregend“, in welch geringem Ausmaß Unternehmen bislang für die | |
anstehenden Veränderungen vorgesorgt hätten. Chinas Führung werde dieses | |
Sozialkreditsystem zur Bewertung und Kontrolle auf Firmen ausweiten. Dieses | |
System könne dabei „Leben oder Tod für einzelne Unternehmen“ bedeuten. Die | |
Kammer bezieht sich auf eine Studie, die das Forschungsinstitut Synolytics | |
mit Sitz in Berlin für sie erstellt hat. Titel der Studie: „Die digitale | |
Hand“. | |
Tatsächlich macht Chinas kommunistische Führung Ernst mit seinem | |
Sozialbewertungssystem. Es richtet sich zuallererst gegen die Bürger. Wer | |
etwa Schulden nicht rechtzeitig begleicht oder sich im Straßenverkehr | |
rüpelhaft benimmt, bekommt Punkte abgezogen. Wer sich etwa für die Partei | |
oder im sozialen Bereich engagiert, erhält Pluspunkte. Das könnte bedeuten, | |
dass regierungskritische Äußerungen etwa in sozialen Medien zu Punktabzug | |
führen. Noch hat die chinesische Führung das Sozialbewertungssystem nicht | |
landesweit eingeführt, sondern es lediglich in Pilotregionen ausprobiert. | |
Im nächsten Jahr ist die Hauptstadt Peking dran. Firmen sollen nicht | |
verschont bleiben – auch ausländische nicht. | |
Die Deutsche Handelskammer warnt, dass rund ein Jahr vor der geplanten | |
Einführung sieben von zehn befragten deutschen Unternehmen mit dem System | |
und seiner Wirkungsweise im Geschäftskontext nicht vertraut seien. Mehr als | |
300 Kriterien könnten angewendet werden. Die EU-Kammer hält dieses System | |
keineswegs nur für schlecht. Wird ein Unternehmen mit vielen Punkten | |
positiv bewertet, könnte es womöglich mit niedrigeren Steuersätzen belohnt | |
oder mit Aufträgen der öffentlichen Hand bedacht werden. Wer hingegen zum | |
Beispiel gegen Umweltauflagen verstößt, Steuern hinterzieht oder korrupt | |
ist, bekommt Punkte abgezogen. Das könnte zum Geschäftsverbot führen. | |
## Intransparenter Algorithmus | |
„In mancher Hinsicht sind das gute Nachrichten“, heißt es in dem Papier. | |
Denn ein vollautomatisiertes System könnte dafür sorgen, dass alle Firmen | |
gleich behandelt werden. Das ist in China derzeit oft nicht der Fall. | |
Chinesische Firmen, allen voran die Staatsunternehmen, werden gegenüber | |
ausländischen Firmen oft bevorteilt. Auch könnte das System dazu führen, | |
dass sich Unternehmen untereinander stärker kontrollieren. Ausländische | |
Firmen könnten womöglich besser einschätzen, mit wem sie in China zu tun | |
haben, bevor sie eine Geschäftsbeziehung eingehen. | |
Zugleich monieren die Kammern, dass nach dem derzeitigen Kenntnisstand die | |
Einführung des Systems mit zahlreichen Ungewissheiten verbunden ist. Unklar | |
sei etwa nach wie vor, wie die Bewertungskriterien gewichtet werden. Das | |
System, in dem alle Daten zusammengeführt werden, beruhe auf einem | |
„intransparenten Algorithmus“, kritisiert die Deutsche Handelskammer, die | |
in der Volksrepublik mehr als 2.000 deutsche Firmen vertritt. | |
EU-Kammer-Präsident Jörg Wuttke vermisst an dem System Transparenz. | |
Die Deutsche Handelskammer fordert von der Führung in Peking, dass sich die | |
Datenabfrage „auf das notwendige Minimum“ beschränken soll. Genau das – | |
also das Sammeln von Daten – will Chinas Führung in den nächsten Jahren | |
aber massiv ausweiten. | |
29 Aug 2019 | |
## AUTOREN | |
Felix Lee | |
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