# taz.de -- Immer mehr Elektroschrott: Wohin damit? | |
> Wir produzieren jährlich Unmengen an Elektroschrott. Hamburg engagiert | |
> sich für eine bessere Entsorgung, aber die Umsetzung ist schwer. | |
Bild: Müll-Gebirge: Allein in Hamburg kommen mehr als 10.000 Tonnen pro Jahr z… | |
HAMBURG taz | „Der Fernseher dürfte nicht älter als zwei Jahre alt sein, so | |
flach wie er ist“, stellt Leif Jönsson, Teamleiter des Recyclinghofs der | |
Stadtreinigung in Hamburg-Wandsbek, fest. Er steht im Container, in dem | |
Bildschirme gesammelt werden, und untersucht eines der Geräte – inmitten | |
eines Berges ausrangierter Bildschirme. Die meisten sehen alt aus, einige | |
auch ganz neu. Es ist ein ständiges Hin und Her, Menschen laden | |
Elektrogeräte von Lampe bis Computer aus ihrem Sprinter und stellen sie in | |
die Container. Ein Mitarbeiter in orangefarbener Latzhose passt auf, dass | |
ja nichts falsch einsortiert wird. | |
Die Elektrogeräte werden hier gesammelt und später an private Unternehmen | |
zur Wiederverwertung oder Entsorgung verkauft. Sie enthalten viele | |
wertvolle Rohstoffe wie Gold und Kobalt, die entnommen und wiederverwertet | |
werden sollen. Aber auch gefährliche Stoffe wie Quecksilber oder | |
Kühlflüssigkeiten, die große Schäden verursachen können, wenn sie nicht | |
ordnungsgemäß entsorgt werden. Das allerdings ist vielen Menschen nicht | |
bewusst. | |
Da Entsorgung und Wiederverwertung in Deutschland kostspielig sind, landen | |
viele Elektrogeräte auf Müllhalden in fernen Ländern und werden daher bei | |
Diskussionen über Klimawandel und Umweltschutz gerne vergessen – „aus den | |
Augen, aus dem Sinn“. Seit 2015 verbietet das europäische Gesetz allerdings | |
den Export von kaputten Elektrogeräten (siehe Kasten). | |
Dafür sollen bis Ende des Jahres 65 Prozent des Elektromülls der EU, auch | |
des deutschen Mülls, in den Wirtschaftskreislauf zurückgeführt werden. Zu | |
diesem Zweck wurde das europäische Force-Projekt ins Leben gerufen: Am | |
Standort Hamburg suchen Akteure aus der Wirtschaft, der Forschung und der | |
Stadt gemeinsam nach nachhaltigen Lösungen für die Vermeidung und | |
Entsorgung von Elektromüll. | |
Eine davon ist die Plattform „Cycel“, auf der Bewohner*innen in ihrer | |
Umgebung geeignete Anlaufstellen für die Entsorgung ihrer Elektrogeräte | |
finden. „Die Ziele der EU werden wir aber nicht schaffen“, sagt Ute Müller, | |
Sprecherin der Plattform. Deutschland erreicht 2019 zum ersten Mal die 45 | |
Prozent – das war schon für 2016 geplant gewesen. | |
In Hamburg erfasste die Stadtreinigung 2018 etwa 7.500 Tonnen | |
Elektroschrott, zusätzlich landeten allerdings etwa 3.000 Tonnen fehlerhaft | |
im Restmüll. „Insgesamt sprechen wir also von deutlich über 10.000 Tonnen | |
Elektromüll im Jahr“, sagt Kay Goetze, Sprecher der Stadtreinigung. Die | |
Menge an Elektroschrott, die im Restmüll landet, ist in Hamburg jedoch | |
gesunken. | |
„Der Verstärker funktioniert noch“, sagt ein Mann und stellt ihn auf den | |
Annahmetisch. „Solange solche Elektrogeräte mechanisch noch in Ordnung | |
sind, spenden wir sie an Stilbruch, das Gebrauchtwaren-Kaufhaus der Stadt“, | |
erklärt Jönsson von der Stadtreinigung. Gerade werden Objekte für das | |
Kaufhaus in einen LKW eingeladen, auch der Verstärker. Dort werden sie | |
geprüft, repariert und weiterverkauft, bekommen „ein zweites Leben | |
geschenkt“, wie Jönsson sagt. | |
Entsorgung ist das eine, aber im Vorhinein muss sich an der Müllproduktion | |
etwas ändern. Das größte Problem sei der Konsum, sagt Müller von Cycel: „… | |
ist ein Irrsinn, welche gigantischen Mengen an Geräten jedes Jahr | |
angeschafft werden.“ Und es beträfe längst nicht mehr nur übliche | |
Elektrogeräte: Sogar Schuhe tragen heutzutage Lichter. Das Problem ist | |
allerdings, dass „unter der Bevölkerung ein großes Unwissen über den Umgang | |
mit alten Elektrogeräten herrscht“, bedauert Müller. Das bestätigt auch | |
Jönsson von der Stadtreinigung. Deshalb landen so große Mengen im Restmüll | |
oder verstauben in Kellern. | |
Eine Lösung gegen Abfall hat sich bereits verbreitet: Repair Cafés. Anstatt | |
sie wegzuschmeißen und neue zu kaufen, werden defekte elektronische Geräte | |
instand gesetzt. Im Repair Café in Wandsbek kommen freiwillige Handwerker | |
alle zwei Monate. Sie würden die Objekte begutachten und könnten dann | |
entweder selbst reparieren oder den Besitzer*innen davon abraten. Das würde | |
sich in vielen Fällen nicht mehr lohnen, meint Frank Hellberg, der das Café | |
organisiert. In Hamburg gibt es 23 davon, das Konzept kommt aus den | |
Niederlanden. Ökologisch, ressourcenschonend und zudem auch sozial, das sei | |
der Grundgedanke, sagt Hellberg. | |
Der Hamburger Hafen spielt im Handel mit Elektroschrott eine wichtige Rolle | |
als Container-Umschlagplatz und als EU-Außengrenze, so die Umweltbehörde. | |
Der Export unterliegt europäischen Gesetzen: Elektrogeräte, die noch | |
funktionieren, dürfen grundsätzlich exportiert werden. | |
Der Export von nicht-funktionierenden Geräten ist dagegen | |
genehmigungspflichtig. Ausschlaggebend ist dabei, ob ein „umwelt- und | |
sicherheitsgerechtes Recyclingsystem im Empfangsstaat“ existiert, erklärt | |
Behördensprecher Jan Dube. Deshalb ist „der Export von Elektrogeräten in | |
afrikanische Staaten per se verboten“. Dass sich daran teilweise nicht | |
gehalten wird, geht jedoch aus [1][einer Studie] der Europäischen | |
Kommission hervor. | |
Das Elektro- und Elektronikgeräte-Gesetz (ElektroG) soll reiche Länder | |
daran hindern, einkommensschwache Länder als kostengünstige Müllhalde zu | |
missbrauchen – und verlagert die Verantwortung für die Müllentsorgung von | |
den Kommunen auf die Hersteller. Diese sind nun für das normgerechte | |
Recycling ihrer Produkte verantwortlich. Sie müssen Elektroware wieder | |
zurücknehmen, auch im Online-Handel. | |
In der Praxis sehe das jedoch anders aus, sagt Philipp Sommer, Leiter der | |
Kreislaufwirtschaft bei der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Die | |
Rücknahmepflicht werde von vielen Händlern nicht eingehalten: Bei | |
verdeckten Testbesuchen in Elektrowarenläden hätten Händler Verbraucher, | |
die Elektrogeräte abgeben wollten, abgewiesen. Laut Sommer sei vor allem | |
das IT-Unternehmen Apple betroffen. Außerdem seien Zoll und | |
Wasserschutzpolizei regelmäßig unterbesetzt und könnten zu wenige | |
Kontrollen durchführen, sagt Sommer. | |
„Beamte und Beamtinnen sind zu wenig auf Elektroschrott geschult und haben | |
andere Prioritäten“ meint er. „Vor allem sind aber die Strafen für Verst�… | |
gegen das ElektroG zu gering und wirken keineswegs abschreckend auf | |
Exporteure.“ Um gegen den illegalen Export und für eine bessere Aufklärung | |
anzukämpfen, fordert die DUH die Gründung einer bundesweiten zentralen | |
Behörde, welche die Rücknahme und legale Entsorgung koordiniert – und mehr | |
Zollkontrollen. | |
Über eine erfolgreiche Kontrollaktion darf sich Hamburgs Umweltbehörde | |
freuen: Zoll und Wasserschutzpolizei konnten im Februar gemeinsam 123 | |
Kontrollen in Handelsunternehmen in einem Industriegebiet im Hamburger | |
Osten und im Hafen durchführen, 19 Mal kam es zu Beanstandungen. Besonders | |
beim Export von Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffe (FCKW)-haltigen | |
Kühlschränken sind „so gravierende Mängel festgestellt worden, dass die | |
betreffenden Transporte als mutmaßlich illegale Verbringungen eingestuft | |
und gestoppt wurden“, heißt es in einer Pressemitteilung der Polizei. | |
Die positiven Auswirkungen des Exports von in Deutschland unerwünschten | |
Elektrogeräten könne man dennoch nicht verschweigen, meint Ivonne Stresius, | |
Doktorandin an der Hochschule für Angewandte Wissenschaft (HAW) und | |
Mitarbeiterin des europäischen Force-Projekts. Gebrauchte Elektrogeräte | |
würden in anderen Ländern ein zweites Leben bekommen, sie schaffen | |
Arbeitsplätze und ermöglichten die Digitalisierung derer, die sonst keinen | |
Zugang zu Elektrogeräten haben. | |
Obwohl es genügend Angebote für eine umweltfreundlichere Entsorgung von | |
Elektrogeräten in Deutschland gibt und insbesondere Hamburg ein | |
funktionierendes System betreibt, endet noch zu viel Elektromüll in der | |
Natur und verseucht dort Wasser, Luft und Lebewesen. FCKW, ein | |
ozonschichtschädigendes Kühlmittel, ist zwar verboten, befindet sich jedoch | |
noch in etlichen Kühlschränken, die heute entsorgt werden. | |
Um die Menge an produzierten Elektrogeräten zu verringern, und somit die | |
CO2-Bilanz, muss Müll vermieden werden. Dafür gibt es genügend | |
Alternativen. Also zwei Mal überlegen, bevor man sich ein neues | |
Elektrogerät kauft. | |
31 Jul 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.cwitproject.eu/wp-content/uploads/2015/09/CWIT-Final-Report.pdf | |
## AUTOREN | |
Julika Kott | |
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