| # taz.de -- Rechtsextremismus in der DDR: Was nicht sein darf | |
| > Die DDR konnte ihr Ideal des antifaschistischen Bollwerks nur formell | |
| > aufrechterhalten. Rechte Gewalt wurde von den Offiziellen einfach | |
| > verschwiegen. | |
| Bild: Hinter dem „antifaschistischen Schutzwall“ gab es nicht weniger Rassi… | |
| Im Hochsommer 1979 ereignet sich in Merseburg, einer Kleinstadt bei Leipzig | |
| in der damaligen DDR, ein Vorfall, über den nicht geredet werden sollte. In | |
| der Nacht zum 13. August werden zwei Männer in die Saale gestoßen. Sie | |
| ertrinken. Die Tat ist die Folge einer Auseinandersetzung zwischen | |
| DDR-Bürgern und Kubanern, die als sogenannte Vertragsarbeiter aus dem | |
| sozialistischen Bruderstaat in die DDR gekommen waren. Und sie ist das Ende | |
| einer Hetzjagd auf Delfin Guerra und Raul Garcia Paret. | |
| Im November 2017, also 38 Jahre später, geht ein MDR-Rechercheteam dem Fall | |
| nach. Sie finden heraus: Bei den Ermittlungen wurden damals Zeugen verhört, | |
| die die Tat beobachtet und sogar zwei Tatverdächtige gefunden haben. Dann | |
| sei jedoch von der obersten Staatsführung angewiesen worden, die | |
| Ermittlungen einzustellen, wie es im MDR-Bericht heißt. | |
| Die beiden Kubaner waren zwei von mehreren zehntausend Menschen, die im | |
| Rahmen der „sozialistischen Bruderhilfe“ als VertragsarbeiterInnen ab den | |
| 1960er Jahren in die DDR kamen – außer aus Kuba kamen sie überwiegend aus | |
| Angola, Mosambik und vor allem Vietnam. Sie sollten billige Arbeitskräfte | |
| sein und die marxistisch-leninistische Ideologie erlernen – keinesfalls | |
| jedoch Teil der DDR-Gesellschaft werden. Nach spätestens fünf Jahren | |
| sollten sie wieder gehen. | |
| Die verschwiegene Geschichte von Delfin Guerra und Raul Garcia Paret ist | |
| eine von vielen, denen der Historiker Harry Waibel durch jahrzehntelange | |
| Forschung und Recherche in Stasiakten eine Erzählung gibt. In seinem Buch | |
| „Die braune Saat“ spricht er von „etwa 9.000 neonazistischen, rassistisch… | |
| und antisemitischen Propaganda- und Gewalttaten“, die in der DDR geschahen. | |
| Bei über 200 gewalttätigen Angriffen seien Tausende Personen aus über 30 | |
| Ländern verletzt worden – mindestens zehn davon auch getötet. So wie Guerra | |
| und Garcia Paret. | |
| ## Der Historiker Waibel ist nicht unumstritten | |
| Waibel ist einer der wenigen HistorikerInnen, der rassistische und rechte | |
| Gewalt in der [1][vermeintlich antifaschistischen DDR] erforscht. Er | |
| argumentiert, es gebe eine Kontinuität rechter Ideologie, die von der | |
| SED-Führung nie aufgearbeitet wurde. Zudem arbeitet er heraus, dass schon | |
| zu DDR-Zeiten Netzwerke zwischen ostdeutschen und westdeutschen | |
| neonazistischen Organisationen existierten. | |
| Der Historiker ist allerdings nicht unumstritten. Er polemisiere zu oft und | |
| bleibe „konsistente Analysen weitgehend schuldig“, schreibt beispielsweise | |
| der Soziologe Hartmut Griese in einer Rezension zu Waibels Buch. Andere | |
| kritisieren, dass seine Kritik an der deutschen Geschichtswissenschaft | |
| mitunter zu pauschalisierend ausfalle. „Die Leistung bedeutender | |
| Fachkollegen wird nicht gewürdigt, wenn einerseits die gesamte ostdeutsche | |
| Fachliteratur zur Geschichte der DDR beinahe ausnahmslos als | |
| nostalgisch-verklärt bezeichnet wird, obwohl aufklärende Titel andererseits | |
| vom Autor verschwiegen werden“, schreibt der Rezensent Riccardo Altieri. | |
| Einig sind sich die diversen RezensentInnen jedoch darin, dass es ein | |
| Verdienst Waibels ist, Hunderte von Akten durchleuchtet zu haben, um | |
| rassistische und rechte Gewalt daraus zu lesen. Denn damit begegnet er dem | |
| größten Problem der Forschung: Es gibt kaum Belege für die Taten. „Für die | |
| SED und die DDR war der Antifaschismus einer der wesentlichen Werte zur | |
| Legitimation ihrer selbst“, sagt Waibel. | |
| Geschehnisse, die eine andere Realität zum Ausdruck brachten, seien | |
| regelrecht vertuscht worden. „Wenn es Auseinandersetzungen zwischen | |
| Deutschen und Ausländern gab, wurden die Ausländer in der Regel inhaftiert | |
| und dann ohne Gerichtsverfahren in ihre Heimatländer zurückgeführt“, sagt | |
| Waibel. Später habe es in vielen Fällen geheißen, es hätte von Hooligans | |
| ausgehende Gewalt und Rowdytum gegeben – von rechter Gewalt war nie die | |
| Rede. | |
| ## Aufwachsen in einer „rein weißen Umgebung“ | |
| Ebenso wenig von Alltagsrassismus. Sandra Wilhelm ist 1972 in Leipzig | |
| geboren. Ihre Eltern lernten sich im Studium kennen, ihre Mutter ist | |
| Leipzigerin. Ihr Vater kam als sogenannter Gaststudent auf Basis eines | |
| Vertrages der Warschauer-Pakt-Staaten aus Kenia in die DDR – und musste sie | |
| nach Abschluss des Studiums, kurz vor Wilhelms Geburt, wieder verlassen. | |
| Sie wuchs als schwarze Deutsche in einer „rein weißen Umgebung“ auf. | |
| „Meine Wahrnehmung als Kind war die des Andersseins“, sagt Wilhelm. Dies | |
| fing im Kindergarten als eigene Beobachtung an und zog sich durch die | |
| gesamte Schulzeit. Da waren die Bemerkungen der Erzieherinnen, die sie zu | |
| sich riefen, um ihre Haare anzufassen und anderen zu zeigen. Da waren die | |
| Kinder, die mit dem Finger auf sie zeigten und lachten – „hässlich, hämis… | |
| und dreckig“, wie sich Wilhelm erinnert. Die kohleverschmierten Männer, die | |
| Lieferungen für die Heizöfen brachten und sagten: „Du bist ja genauso | |
| schwarz wie ich.“ Der Mann, der sie über Jahre hinweg auf der Straße | |
| beschimpfe und den sie bei der Polizei anzeigte. Die gegen dessen | |
| Beleidigungen nie etwas tat. | |
| „Der Antifaschismus war ein Ideal, mit dem ich groß geworden bin“, sagt | |
| Wilhelm. „Aber es gab eine Diskrepanz, die ich am eigenen Leib gespürt | |
| habe.“ Stets wurde ihr vermittelt, dass sie unerwünscht sei, „eher ein | |
| Unfall“. Sie hätte sich ein Eingreifen seitens der LehrerInnen und | |
| Autoritäten gewünscht. Und eine Anerkennung dessen, dass es Diversität | |
| gibt, dass Menschen verschieden sind. „Das wurde zwar behauptet, aber die | |
| Realität sah anders aus“, sagt Wilhelm. | |
| Den Grund für den gesellschaftlichen Alltagsrassismus sieht sie auch in | |
| staatlichen Ausrichtung der DDR. „Die strikte Trennung, bei der streng | |
| darauf geachtet wurde, dass sich die einheimische Bevölkerung nicht mit den | |
| Vertragsarbeitern und Studierenden aus anderen Kontinenten mischt und sie | |
| mit einander in Berührung kamen, hat sicher einen Anteil daran“, sagt | |
| Wilhelm. | |
| ## Die DDR-Offiziellen schwiegen zum Thema | |
| Denn [2][die DDR] war eine homogene Gesellschaft, in der alle, die nicht in | |
| das Bild passten, als „fremd“ wahrgenommen wurden – als Angehörige einer | |
| „anderen“ Gemeinschaft, nicht jedoch als Deutsche. Wurde eine | |
| Vertragsarbeiterin schwanger, musste sie entweder abtreiben – oder das Land | |
| verlassen. Die DDR legte großen Wert auf die gesellschaftliche Segregation | |
| zwischen „Einheimischen“ und „Ausländern“. „Dadurch ist es das 'Frem… | |
| geblieben“, sagt Wilhelm. | |
| Die DDR-Offiziellen schwiegen zum Thema. An keiner Stelle sind in den von | |
| Harry Waibel recherchierten Stasiakten die Worte Rassismus oder | |
| Rechtsextremismus zu lesen. Stattdessen wurden die Taten von staatlicher | |
| Seite entpolitisiert. | |
| Überdies sind laut Waibel zahlreiche Eliten aus dem NS-Regime in wichtige | |
| Positionen übernommen worden, ohne dass ihre Vergangenheit politisch oder | |
| juristisch geprüft worden sei. „Diese Fahrlässigkeit war eine der Ursachen, | |
| dass die braune Saat gesetzt wurde und aufgegangen ist“, sagt Waibel. | |
| Ab Mitte der 70er Jahre und mit dem verstärkten Anwerben von | |
| VertragsarbeiterInnen habe sich so immer stärker eine rassistische Szene | |
| entwickelt. In den 80ern sei diese immer raumgreifender geworden. „Es | |
| fanden Pogrome statt, in den Fußballstadien der Oberliga wurden | |
| antisemitische Gesänge hörbar“, so Waibel. | |
| ## Mit der Wende begann die Gewalt | |
| Schließlich kulminierte die Szene [3][in den sozialen Umbrüchen der | |
| Wendezeit]. „Alles, was ich bis zur Wende erlebt habe, habe ich zwar als | |
| Rassismus, aber nicht als rechte Gewalt wahrgenommen“, sagt Wilhelm. Dann | |
| wurde sie von Rechten offen bedroht oder verfolgt – und begann Orte zu | |
| meiden, fuhr im Dunklen nicht mehr Straßenbahn, weil man da wie auf einem | |
| Tablett sitze. „Mit der Wende hat für mich die rechte Gewalt wahrnehmbar | |
| und spürbar zugenommen.“ | |
| Die Bilder der Pogrome aus Hoyerswerda oder Rostock-Lichtenhagen stehen | |
| heute symbolbildlich für rassistische Pogrome der Nachwendezeit. Zwar waren | |
| sie in ihrem Ausmaß unvergleichbar – doch die ideologischen Grundlagen | |
| wurden lange vorher gelegt. Taten wie die Morde an Delfin Guerra und Raul | |
| Garcia – oder auch Manuel Diogo und Carlos Conceicao aus Mosambik – bleiben | |
| bis heute ungeahndet. „Der Mangel an Aufarbeitung und Aufklärung ist eine | |
| Voraussetzung für das gewesen, was in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen | |
| geschehen ist“, sagt Historiker Waibel. | |
| Sandra Wilhelm fühlt sich heute wieder an damals erinnert. „Ich sehe in | |
| Chemnitz wieder die Gefahr, dass es wie damals werden könnte“, sagt sie. | |
| Die rechten Aufmärsche, aber auch die zunehmend rassistischen Angriffe der | |
| vergangenen Jahre und die Wahlerfolge der AfD bringen insbesondere die | |
| ehemaligen DDR-Gebiete in den Fokus der Debatte. „Dass Leute aufgrund ihres | |
| Äußeren durch die Straßen gejagt werden, davor habe ich Angst“, sagt | |
| Wilhelm. Und auch wenn die politischen Umstände andere sind, ist es doch | |
| der Rassismus, der die Geschehnisse eint. | |
| Waibel sagt, [4][Chemnitz] sei nur ein Beispiel unter vielen für eine | |
| neonazistische und antisemitische Kontinuität. Nicht nur seine Forschungen | |
| belegen die zahlreichen rechten Gewalttaten – auch die Erfahrungsberichte | |
| der vom Rassismus betroffenen Personen lassen wenig Raum für | |
| Interpretation. | |
| Bis heute gibt es jedoch keinerlei Entschädigung für die Opfer – weder | |
| finanziell noch symbolisch. Auch im Fall Garcia Paret: Erst durch die | |
| MDR-Recherchen erfuhr seine Familie auf Kuba, was ihrem Sohn tatsächlich | |
| widerfahren ist. Kürzlich wurden die durch die MDR-Recherchen neu | |
| aufgerollten Vorermittlungen wegen Mordes zum Fall Guerra und Garcia von | |
| der Staatsanwaltschaft Halle eingestellt. Begründung: Man sehe keinen | |
| Anfangsverdacht für Mord. Weil nie benannt wurde, was nicht sein durfte. | |
| 16 Oct 2018 | |
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