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# taz.de -- Rechtsextremer Terror in Norwegen: Versäumt und verschleppt
> Ein Bericht zum Moscheeattentat 2019 zeigt: Die Sicherheitsbehörden waren
> gewarnt. Doch sie informierten nicht über die erhöhte Bedrohung.
Bild: Einsatz an der Moschee des „al Noor Islamic Centre“ in Bærum am 10. …
Stockholm taz | „Deprimierendes Déjà-vu“, kommentiert das liberale
„Dagbladet“ in seiner Freitagausgabe. „Es erinnert an den 22. Juli“, ti…
die konservative Aftenposten. Durchweg fragen norwegische Medien: Haben
Verfassungsschutz und Polizei des Landes aus ihren Versäumnissen, die nach
dem rechtsterroristischen Massenmord vom 22. Juli 2011 auf der Insel Utøya
offenbar geworden waren, eigentlich immer noch nicht die notwendigen
Konsequenzen gezogen haben?
Anlass dazu gibt ein am Donnerstag veröffentlichter 262-seitiger
[1][Untersuchungsbericht] zum Terroranschlag auf die Moschee des „al Noor
Islamic Centre“ in Bærum am 10. August 2019. Nicht den norwegischen
Sicherheitskräften war es zu verdanken, dass es damals nicht erneut zu
einem Blutbad gekommen war.
Zwei Moschee-Besucher im Seniorenalter hatten entschlossen eingegriffen und
den [2][mittlerweile zu lebenslanger Haft verurteilten Terroristen]
überwältigt. Außerdem hatte dieser mit dem Samstag den aus seiner Sicht
„falschen“ Tag erwischt: Zum Freitagsgebet am Tag vor dem Anschlag hatten
sich rund 300 Besucher in dieser Moschee aufgehalten, zum Opferfest am
Sonntag, waren doppelt soviele erwartet worden. Zum Zeitpunkt der Tat
allerdings hielten sich nur drei Gläubige in der Moschee auf.
Dabei wäre es dringend angezeigt gewesen, die Moschee in Bærum ebenso wie
alle anderen muslimischen Versammlungslokale in Norwegen vor einer erhöhten
Terrorgefahr zu warnen und sie im Zusammenhang mit diesem hohen Festtag
womöglich gar unter Polizeischutz zu stellen. Denn der norwegische
Sicherheitsdienst PST war sich über eine erhöhte Terrorgefahr durchaus im
Klaren, wie der Untersuchungsbericht der von der dänischen Terrorexpertin
Anja Dalgaard-Nielsen geleiteten Kommission nun zeigt.
## Polizei und Verantwortliche wurden nicht informiert
Intern hatte PST nach dem Terroranschlag auf zwei Moscheen in Christchurch
am 15. März 2019 das Gefahrenniveau für eine ähnliche Tat in Norwegen am
27. Juni von „wenig wahrscheinlich“ auf „möglich“ hochgestuft. Man
analysierte auch zutreffend, welche Ziele betroffen sein könnten:
„Symbolziele, wie Versammlungslokale von Muslimen oder Migranten.“
Informiert wurden aber weder die Polizei noch mögliche Anschlagsziele oder
die Öffentlichkeit. Die Begründung: Man rechnete für diesen Fall mit
umfassenden Reaktionen und Rückfragen, doch wegen der Ferienzeit war die
Kommunikationsabteilung nicht entsprechend besetzt. Deshalb wollte man mit
der Bekanntgabe bis zum Ende der Sommerferien warten. Die Veröffentlichung
der geänderten Lagebeurteilung war für den 12. August geplant gewesen: Zwei
Tage nach dem Anschlag und dem Tag, nachdem die Feierlichkeiten zum Eid
al-Adha bereits begonnen hatten.
Der Rapport kritisiert nun nicht nur grundsätzlich eine derartige
Verschleppung von sechs Wochen als völlig unverständlich: „Öffentlichkeit,
Moscheen und Polizei hätten sofort informiert werden müssen.“ Es wird auch
die Frage aufgeworfen, ob die „multikulturelle Kompetenz in Teilen von PST
und Polizei so mangelhaft“ sei, dass man „keine Aufmerksamkeit auf den
Zeitpunkt größerer kultureller und religiöser Anlässe norwegischer
Minoritätsgruppen richte“. Obwohl das doch eigentlich gerade im Hinblick
auf mögliche Risikosituationen „absolut natürlich“ sein müsse.
Nicht nur solche Versäumnisse dürften nicht mehr passieren, betonte
Dalgaard-Nielsen bei der Vorstellung des Berichts, sondern auch der Umgang
des Verfassungsschutzes mit Gefahrenhinweisen und die operative
Polizeiarbeit müssten sich ändern. Ähnlich wie schon bei Anders Breivik
hatte PST konkrete Hinweise auf eine Radikalisierung des Täters von Bærum
erhalten, sah aber keine Veranlassung, diesen nachzugehen. Und wie schon im
Fall des Anschlags von Utøya, als ein unzureichendes Navigationssystem
wertvolle Zeit gekostet und die alarmierten Polizeikräfte erst in die Irre
geführt hatte, verspätete sich auch am 10. August der Einsatz der Polizei.
Mangels Ortskenntnisse versuchten die Polizisten, sich mühsam über
Google-Maps zu orientieren, und verfuhren sich dabei wegen
Straßenbauarbeiten.
Irfan Musthaq vom Vorstand der Moschee, der die Polizei alarmiert hatte,
berichtete gegenüber Medien zusätzlich, wie er der Alarmzentrale erst lang
und breit habe erklären müssen, dass es wirklich ein dringender Fall sei,
wenn da gerade ein bewaffneter Mann mit mehreren Schusswaffen in die
Moschee eingedrungen war. „Das erste, was man mich fragte, war, ob wir da
denn interne Konflikte hätten“, so Musthaq. „Was hat das denn damit zu tun?
Wenn ich von Waffen und Schüssen berichte, dann muss es doch sofort Alarm
geben!“
PST-Chef Hans Sverre Sjøvoll reagierte selbstkritisch: Man nehme die
gesamte Kritik wirklich sehr ernst: „Es ist ganz klar, dass wir nun daraus
lernen müssen“. „Aber warum hat man das denn eigentlich bislang noch nicht
getan?“, fragt Aftenposten.
4 Jul 2020
## LINKS
[1] https://www.politiet.no/globalassets/04-aktuelt-tall-og-fakta/al-noor---ter…
[2] /Urteil-gegen-rassistischen-Terroristen/!5692236&/
## AUTOREN
Reinhard Wolff
## TAGS
Schwerpunkt Rechter Terror
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