# taz.de -- Spuren des Christchurch-Attentäters: Massenmörder aus der Provinz | |
> Wie wurde aus einem schüchternen australischen Jungen der rassistische | |
> Mörder von Christchurch? In seiner Heimat wird auf Auslandsreisen | |
> verwiesen. | |
Bild: Trauer um die Opfer des rassistischen Terrors von Christchurch kurz nach … | |
SYDNEY taz | Grafton ist eine kleine Stadt in Australien. So wie Dutzende | |
andere. 19.000 Einwohner, schöne Landschaft, hohe Arbeitslosenrate, hohe | |
Jugendsuizidrate, provinziell. Mit einer konservativen Bevölkerung, die | |
eigentlich nett ist, liebenswert, ein wenig ignorant und weltfremd, und | |
unterschwellig rassistisch. Vor allem gegenüber jenen, die zuerst da waren. | |
Seit Tausenden Jahren leben Ureinwohner an den Ufern des Flusses Clarence, | |
sechs Stunden Autofahrt nordöstlich von Sydney. Doch sie haben Mühe, in | |
diesem mehrheitlich weißen Städtchen in den Pub gelassen zu werden oder | |
eine Wohnung anmieten zu können. | |
[1][Fadenscheinige Ausreden] wie „alles voll“, böse Blicke, negative | |
Kommentare hinter versteckter Hand. „Alltag“ nennen es die Betroffenen. | |
„Beiläufiger Rassismus“ heißt es bei Soziologen. | |
Grafton im Bundesstaat New South Wales ist so typisch für das ländliche | |
Australien, typischer geht es nicht. Hier wuchs der größte Massenmörder der | |
jüngeren australischen und neuseeländischen Geschichte auf. | |
## Er soll ein schweigsamer Junge gewesen sein | |
Der inzwischen [2][29-Jährige wird diese Woche im neuseeländischen | |
Christchurch verurteilt]. Ihm wird der Mord an 51 Menschen vorgeworfen, der | |
versuchte Mord an 40 weiteren sowie Terrorismus. Am 15. März 2019 hatte er | |
in der südneuseeländischen Stadt mit einem Schnellfeuergewehr zwei Moscheen | |
gestürmt und auf Gläubige geschossen. | |
Der Sohn einer bekannten großen Familie sei ein schweigsamer Junge gewesen, | |
„und interessiert an Computern“, gab ein Nachbar zu Protokoll, als | |
Journalisten kurz nach der Tat über Grafton herfielen. In der Stadt wollte | |
niemand verstehen, weshalb der frühere Schüler von Grafton High zum Mörder | |
geworden war. | |
Schüchtern sei der Junge gewesen, so ein Nachbar, „freundlich, aber sehr | |
ruhig“. Wenn er ihm auf der Straße begegnet sei, habe der zwar „immer Hallo | |
gesagt. Aber er schaute einem nie in die Augen. Er ging immer mit gesenktem | |
Kopf.“ | |
## Tod des Vaters | |
Irgendwas müsse „geklickt“ haben in dem jungen Mann, als 2010 sein Vater an | |
Krebs starb, sagen andere. Er war inzwischen ein muskelbepackter | |
Fitnesstrainer, der in einem Studio in Grafton arbeitete. Doch nach dem Tod | |
des Vaters entschied sich sein Sohn zu reisen: er brauche Zeit für sich | |
selbst. | |
Er war Jahre unterwegs, kam nur ab und zu nach Hause, etwa zum Geburtstag | |
seiner Schwester oder zu Weihnachten. Seine Suche nach dem Sinn des Lebens, | |
seines Lebens, brachte ihn nach Europa, nach Österreich und Frankreich, | |
Nordkorea sogar, und nach Pakistan. | |
Dort soll sich der Mann, der später seine Magazine in die Körper | |
unschuldiger Betender in einer Moschee entleeren würde, „wirklich für den | |
Islam und den Koran interessiert haben und dafür, wie wir beten“, sagt der | |
Besitzer des Hotels, in dem der Täter gewohnt hatte. | |
„Die ganze Zeit sammelte er Informationen, während er vorgab, Muslime zu | |
mögen. Er kam mit mir in die Moschee, um zu beten … wir waren völlig | |
überrascht, als wir von der Schießerei in Neuseeland hörten“, sagt Israr | |
Osho Tang. | |
## Rassenwahn aus dem „Dark Web“? | |
In Facebook-Einträgen schien der spätere Terrorist echte Liebe für Pakistan | |
zu zeigen. Voller „warmherziger und gastfreundlicher Leute“ sei das Land, | |
schrieb er. | |
Es war wohl das Internet, das sein Leben für immer verändern sollte – und | |
das seiner Opfer und ihrer Angehörigen. Über das „Dark Web“ habe er seine | |
Gedanken mit Rassenwahn infiziert, glauben Ermittler. | |
Aus dem schüchternen, aber freundlichen jungen Mann aus der Provinz wurde | |
ein hasserfüllter Extremist, der die „weiße Kultur“ zu seiner Religion | |
machte und schließlich nur eines im Sinn hatte: möglichst viele Angehörige | |
„minderwertiger“ Menschengruppen ausradieren. | |
In Grafton will man nicht mehr über den berüchtigtsten Sohn der Stadt | |
sprechen. Die Zeiten, als man sich noch gefragt hatte, wie der so werden | |
konnte, sind vorbei. Wer seinen Namen nennt, dem wird die kalte Schulter | |
gezeigt. | |
So bleibt einem neugierigen Besucher wenig anderes, als vor der Weiterreise | |
im Pub noch ein Bier zu trinken. In einer Ecke liegt eine vergilbte Zeitung | |
aus den Tagen nach der Tat. Der Massenmörder sei nicht ein Produkt von | |
Grafton, wehrt darin Bürgermeister Jim Simmons ab. „Wir dürfen nicht | |
vergessen, dass er seit vielen Jahren nicht mehr hier gelebt hat. | |
Irgendetwas geschah mit ihm, als er im Ausland war.“ | |
24 Aug 2020 | |
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## AUTOREN | |
Urs Wälterlin | |
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