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# taz.de -- Raumfahrtforschung in Bremen: 120 Meter Weltall
> Im Bremer Fallturm kann die Erdanziehungskraft ausgesetzt werden.
> Nirgendwo auf unserem Planeten geht das so lange wie hier.
Bild: Raum für Experimente in der Schwerelosigkeit: Bremer Fallturm
Bremen taz | Der Vergleich mit einem übergroßen Bleistift ist so klassisch,
dass es am Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation
(Zarm) der Universität Bremen tatsächlich kleine Fallturm-Bleistifte gibt.
Vorbild beim Bau des 146 Meter hohen Turms auf dem Bremer Campus war aber
kein Stift, sondern die Saturn-5-Rakete, erklärt Thorben Könemann,
wissenschaftlicher Leiter des Fallturms. Dieser Raketentyp brachte in den
60er- und 70er-Jahren die Apollo-Astronauten zum Mond.
Erinnert das Äußere des Fallturms an die Vergangenheit der Raumfahrt, ist
sein Inneres ihrer Zukunft gewidmet. In der lichtdurchfluteten Halle, die
das untere Ende des Turms umschließt, tüftelt ein Forscherteam aus Schweden
an einem Experiment zur Vorbereitung einer Forschungsrakete. Ein paar Meter
weiter beugen sich Astrophysiker von der Uni Duisburg-Essen über Kabel und
Sensoren für einen Versuch, bei dem die [1][Entstehung von Planeten]
erforscht wird.
Die Experimente finden in einer zylindrischen Fallkapsel statt, die
ungefähr so groß ist wie ein Kühlschrank. Anders als man in Bremen munkelt,
werden weder Autos noch Steine und schon gar nicht Menschen – auch keine
Astronaut:innen – die 120 Meter hohe Fallröhre hinuntergeworfen. Viele
Forschungsteams bevorzugen den Start von unten mit dem Katapult. Denn so
kann die Zeit, in der die Kapsel im freien Fall und deshalb schwerelos ist,
von 4,74 auf 9,3 Sekunden erhöht werden. Ein weltweiter Rekord.
## Forschung auch fürs Irdische
Seit 1990 finden im Fallturm täglich bis zu drei solcher Flüge statt.
Anderthalb Stunden lang wird dafür Luft aus der Fallröhre gepumpt, denn die
Abwürfe finden in einem Vakuum statt. Was dann noch an Luft im Turm übrig
ist, reicht gerade mal für einen Fußball. Während die Kapsel fliegt,
herrscht in ihrem Innern nur ein Millionstel der [2][Gravitationskraft der
Erde].
Nachdem das Vakuum wieder abgebaut ist, können die Ingenieure die innen
knallgelbe Fallrohre betreten und die Kapsel aus dem acht Meter hohen
Auffangbehälter voll Polystyrolkügelchen fischen. Trotz großen Staubsaugers
stecken die Styroporperlen in allen möglichen Ritzen.
Während das Experiment im Turm vorbereitet, durchgeführt und nachbereitet
wird, rauscht nebenan eine zweite Kapsel gleich mehrmals hoch und runter.
Seit kurzem hat der große Fallturm einen kleineren Kollegen: Der
„Gravitower Bremen Pro“ ist 16 Meter hoch und schafft 2,5 Sekunden
Schwerelosigkeit. Anfang März flog darin das erste wissenschaftliche
Experiment.
Das Besondere: Er funktioniert ohne Vakuum, täglich kann die Kapsel hier
bis zu hundertmal fliegen. Thorben Könemann spricht auch von einer
„Zeitenwende“ für Falltürme. „Der Mechanismus für den Gravitower wurde…
vor kurzem hier am Zarm entwickelt“, sagt der Ingenieur und Physiker.
Für die Forschungsteams ist diese hohe Wiederholungsrate sehr praktisch:
Manchmal sei es nötig, nur sehr kleine Dinge am Experiment zu verändern, um
wichtige Prozesse beobachten zu können, sagt ein Wissenschaftler, dessen
Team die Brennbarkeit verschiedener Kühlmittel in der Schwerelosigkeit
erforscht – die Erkenntnisse daraus sind auch für die Sicherheit solcher
Mittel auf der Erde wichtig.
## Trittstein in den Weltraum
Mit dem Gravitower müssen die Forschenden nach einer kleinen Justierung nun
nicht mehr lange warten, sondern können die Kapsel gleich wieder auf die
Reise schicken.
Als „stepping stone into space“, eine Art Brückenkopf ins Weltall also,
beschreibt Könemann die Rolle des Turms für die Raumfahrt. Hier wurde etwa
ein Teil der [3][japanischen Hayabusa-2-Mission] vorbereitet: Wie deren
Lander funktionieren muss, um in der Schwerelosigkeit Proben von einem
Asteroiden einzusammeln, testeten die Forschenden im Fallturm.
Viele Forschende brauchen die Versuchsergebnisse aber auch für ganz
irdische Fragen, wenn es zum Beispiel darum geht, wie Emissionen verringert
werden könnten oder um Verbrennungsprozesse ohne den Einfluss der
Schwerkraft zu beobachten.
Oft nutzt die Forschung im Fallturm allen. Etwa bei Sensoren zur
Überwachung von Prozessen im Körper oder beim Experiment „2diZplays“, das
ein leuchtendes Pulver zur Herstellung von Displays erforscht und diese
viel energieeffizienter machen könnte. Diese könnten sowohl im All als auch
auf der Erde leuchten.
4 Jun 2022
## LINKS
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## AUTOREN
Teresa Wolny
## TAGS
Physik
Experiment
Weltraum
Forschung
Bremen
Universität Bremen
Nasa
Weltraum
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