# taz.de -- Putsch in Ägypten: Bye bye, Mursi! | |
> Das Militär putscht, Kairo jubelt: Die Armeeführung hat den umstrittenen | |
> Präsidenten Mohammed Mursi entmachtet. Seine Gegner feiern eine | |
> Riesenparty. | |
Bild: Mursifrei und Spaß dabei: Feiernde am Tahrir-Platz in Kairo. | |
KAIRO taz | Kaum hat die neue Phase begonnen, ist der Slogan auf dem | |
T-Shirt schon überklebt: „Bye bye, Mursi!“ steht auf einem Sticker, mit dem | |
die Anfang-20jährige den Spruch auf ihrer Brust verdeckt hat. Die bisherige | |
Forderung der Protestbewegung – „Mursi, hau ab!“ – ist überholt: Der | |
umstrittene Präsident ist entmachtet. | |
Nach tagelangen Massenprotesten in Kairo und anderen ägyptischen Städten | |
hat die Armee der Amtszeit Mohammed Mursis nach nur einem Jahr und drei | |
Tagen ein Ende bereitet. In der Kairoer Innenstadt herrschte bis in die | |
frühen Morgenstunden hinein Volksfeststimmung. | |
Rund um den Tahrir-Platz und vor den beiden Kairoer Präsidentenpalästen | |
versammelten sich hunderttausende jubelnde Mursi-Gegner – in den Straßen, | |
auf Autos, Hausdächern und Laternenmasten. Feuerwerksraketen ließen den | |
Himmel leuchten, Freudenschüsse mischten sich mit den Hupkonzerten der | |
Autokorsos. | |
„Wir haben Mursi und sein faschistisches Regime gestürzt“, ruft Aya, um die | |
Vuvuzelas und Trillerpfeifen zu übertönen, „gemeinsam mit dem Militär.“ … | |
letzte Nacht hat sie in einem der etwa hundert Zelte vor dem | |
Präsidentenpalast im Stadtteil Heliopolis verbracht. Auf der mit | |
Protestgraffiti besprühten Mauer vor dem Palast schwingen Menschen die | |
schwarz-weiß-roten Nationalflaggen. Bengalische Feuer nebeln das Fahnenmeer | |
ein. Kinder klettern auf die Schultern ihrer Eltern, um besser sehen zu | |
können. | |
## Hubschrauber über dem Tahrir | |
Mursis Gegner haben ihr Ziel erreicht: den Sturz des im Juni 2012 frei | |
gewählten, islamistischen Präsidenten. Seit dem Wochenende waren die | |
Ägypter wie schon 2011 in Millionen auf die Straße gegangen. Am | |
Mittwochnachmittag dann lief ein 48-stündiges Ultimatum aus, das die | |
Armeeführung den Konfliktparteien, insbesondere der Regierung gesetzt | |
hatte, die einen Ausweg aus der Staatskrise finden sollte. | |
Einen Rücktritt lehnte Mursi ab, wiederholte allerdings noch am Mittwoch | |
sein Angebot, eine umfassende Koalitionsregierung zu bilden, die alle | |
politischen Kräfte samt der Jugendbewegung einschließen würde. | |
Die Generäle überzeugte das nicht: Am Mittwochabend betraute die | |
Armeespitze Adli Mansur, den Präsidenten des Verfassungsgerichts, | |
übergangsweise mit der Staatsführung. Die Verfassung setzte sie | |
vorübergehend außer Kraft und kündigte vorgezogene Präsidentschaftswahlen | |
an. | |
In Erwartung der Ereignisse hatten sich tausende Regierungsgegner schon am | |
Nachmittag auf dem Tahrir-Platz versammelt. Als es soweit war, brach Jubel | |
aus, der nur noch durch die ohrenbetäubende Begrüßung eines | |
Militärhubschraubers übertroffen wurde, der im Tiefflug über die Menschen | |
hinwegflog. | |
## Armeechef als Held | |
Einige hundert Meter vom Tahrir-Platz entfernt bezogen unterdessen | |
Militärfahrzeuge Stellung. Auf der zur Innenstadt führenden Nilbrücke | |
ließen sich schwer bewaffnete Soldaten Arm in Arm mit Demonstranten | |
fotografieren – die Pepsi-Dose in der einen, das Maschinengewehr in der | |
anderen Hand. Auf dem Platz bekam man von der Militärpräsenz nichts mit. | |
Den Fernsehsender der Muslimbruderschaft schalteten die Militärs ab. Andere | |
islamistische Sender sendeten ebenfalls nicht mehr. Auch ein Büro des | |
Nachrichtensenders Al Jazeera wurde gestürmt. | |
Der Held des Abends, auf Postern hundertfach in die Höhe gehoben, war Abdul | |
Fatah al-Sisi, der Armeechef und Verteidigungsminister im Kabinett Mursi. | |
Nun werde eine „starke und fähige“ Regierung gebildet, die „alle nationa… | |
Kräfte“ einschließe, kündigte der oberste Militär in einer Fernsehansprac… | |
an. Medien berichteten, die Übergangszeit solle nicht länger als ein Jahr | |
dauern. | |
## Sechs Tote bei Zusammenstößen | |
Mursis Anhänger verhielten sich in der Nacht auf Donnerstag weitgehend | |
ruhig. In der Innenstadt zeigten sie sich kaum. Eine der Kairoer Hochburgen | |
der Mursi-Anhänger unweit des Präsidentenpalastes sperrten Soldaten | |
weiträumig ab. Autofahrer, Feiernde und Journalisten forderten sie auf | |
umzukehren. In verschiedenen anderen Städten kam es dagegen zu | |
Zusammenstößen zwischen Pro-Mursi-Demonstranten und Sicherheitskräften, die | |
mindestens sechs Tote forderten. | |
Mursi selbst rief seine Gegner und Anhänger zunächst auf, Blutvergießen zu | |
vermeiden, und versuchte, sich gegen seine Entmachtung zu wehren. Er sei | |
„der gewählte Präsident Ägyptens“, betonte er in einer Videobotschaft. Am | |
Donnerstagmorgen teilte die Armee schließlich mit, dass sie Mursi | |
„vorsorglich“ festhalte und auch andere hochrangige Muslimbrüder | |
festgenommen habe. | |
„Mursi ist zwar gewählt worden, aber er hat seine Chance verspielt“, | |
erklärt Ahmed, der mit seinen Freunden vor dem Präsidentenpalast feiert. | |
„Ein Jahr an der Macht und es hat sich nichts getan. Der Tourismus bleibt | |
aus, die Wirtschaft ist am Boden, die Preise steigen. Die Leute hungern.“ | |
Die von der Armeeführung angekündigte zivile Übergangsregierung unter Adli | |
Mansur soll nun für einen Neuanfang sorgen. Dass es zweieinhalb Jahre nach | |
dem Sturz der Militärregierung von General Mubarak doch wieder die Generäle | |
sind, die bestimmen, wo es lang geht, sieht man gelassen: „Alles ist besser | |
als Mursi“, ist sich Ahmed sicher, „das Militär beschützt uns.“ Es habe | |
seit dem Sturz Mubaraks viel dazugelernt und sich grundlegend verändert. | |
„Ohne das Volk geht nichts mehr. Eine Militärdiktatur wie unter Mubarak ist | |
keine Option.“ | | |
4 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Jannis Hagmann | |
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